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Nachruf auf Roland C. Stegemann: „Was bist du denn für ein Vogel?“

Mittelpunkt seines Kosmos’ war stets er selbst. Und stets zog es ihn weiter.

Roland hatte eine wirklich große Knollnase. Wenn er erzählte, was er von allen Dingen vielleicht am liebsten tat, schien sie regelrecht zu tanzen. Dann war da sein Lachen, das sich mit seinen vollen Lippen immer breiter und breiter zog. Oder seine angenehme, sonore Stimme. Seine Kleidung war immer Ton in Ton, grüne Schuhe zum grünen Sakko, und das Hemd immer halb aufgeknöpft. Manchmal sah er aus wie ein Paradiesvogel, und vielleicht war Roland das auch. Ein Mann, der im Guinnessbuch der Rekorde von 1990 steht, der mit einem Prinz von Preußen befreundet war, der sich vieles erlauben konnte. Auch im Alter von 80 noch.

„Was bist du denn für ein Vogel?“, fragte er den neuen Aushilfsbarmann im „Heidelberger Krug“ am Kreuzberger Chamissoplatz. Der Barmann, Carlo heißt er, erinnert sich genau an diese Szene: „Bei jedem anderen hätte ich das als Beleidigung empfunden. Mit Roland hatte ich so einen  Blickkontakt, da war gleich klar, dass wir uns verstehen würden.“ Roland vertraute Carlo an, dass die anderen in der Kneipe ihn für einen Verrückten hielten. Was ihm aber egal sei: Wenn man verrückt ist, weil man große Ideen hat, weil man mit 80 noch Projekte voranbringt, bitte schön. Jetzt brauche er aber erstmal seine Medizin, einen Cynar. Das ist ein Artischocken-Likör aus Italien. Schließlich fragte er den Barmann nach seinen Arbeitszeiten. Er könne nämlich Hilfe mit dem Internet gebrauchen.  

Mit dem schwimmenden Gemälde ins Guiness-Buch

Dann die Geschichte mit Karl. Der saß vor einer Pizzeria am Mehringdamm, als Roland sein Klapprad vorbeischob. Das hatte ihm irgendjemand geschenkt, wie so vieles das Roland gebrauchen konnte. Roland lächelte Karl an, schon saßen sie nebeneinander, und Roland erzählte und erzählte. Wenn man selber was sagen wollte - schwierig. Aber Rolands Erzählungen waren gut, hatten einen Anfang, einen Höhepunkt und ein Ende. Zum Beispiel die, wie er es mit dem größten schwimmenden Gemälde der Welt ins Buch der Rekorde geschafft hatte.

1989 war das. Hamburgs Hafen wurde 800 Jahre alt und Roland war bei einer Hafenrundfahrt auf die Idee gekommen, die Stadt mit einem großen Bild zu beglücken. Irgendwie schaffte er es, den Verantwortlichen der Werft „Blohm+Voss“ davon zu überzeugen, dass die Außenwand des größten Schwimmdocks Europas gerade groß genug sei für das, was er vorhatte. Dann sammelte er Sponsorengeld ein, insgesamt 1,2 Millionen Markt, stellte zehn Mitarbeiter ein und malte los. Die Geschichte des Hafens auf 250 x 13 Metern mit drei Tonnen Farbe. Als er fertig war, führte eine NDR-Reporterin in einem Fernsehinterview kritische Stimmen von Kunstverständigen an. Da stand Roland, lässig mit weit geöffnetem Hemd, im Hintergrund sein Werk und konterte: „Wenn sie was Öffentliches machen, müssen sie mit der Kritik leben. Was irgendwelche Kunstästheten als zu kitschig verstehen, das interessiert mich überhaupt nicht. Die Menschen müssen es verstehen.“ Neun Jahre hielt das Gemälde, dann wurde es schwarz übermalt. 30 Jahre später schaffte Roland es, Karl von dieser Geschichte so zu begeistern, dass sie zusammen einen Dokumentarfilm darüber drehten. 

Roland wurde in Zernsdorf am See geboren. „Sammeln, Tauschen, Hamstern begleiteten meine Spiel- und Lernphase, Rucksäcke und Holzschuhe waren eine schmerzhafte Prägung“, schrieb er in einem knappen Lebenslauf. 1951 zog die Familie nach West-Berlin, wo der Vater als Kinoreklamemaler arbeitete und seine Freikarten an den Sohn weiterreichte. Die Farbe, die der Vater mit Eiern anrührte, stank wie die Hölle. Roland entschied sich für eine Tischlerlehre, da roch es besser.

Die Freuden des Fleisches

Er schuftete auf dem Bau, um sich das Bauingenieurstudium zu finanzieren. Eine Baumaschinenfirma aus den USA heuerte ihn an, Roland wurde mit Anfang 20 hochkarätiger Vertreter, hatte sogar ein Autotelefon. Gleichzeitig machte er ein Architektur-Fernstudium. Und außerdem noch dies: „ ... bin dann den Freuden des Fleisches verfallen, war charakterlich meinen Einkünften nicht gewachsen.“ Er lieferte sich Autorennen mit seinen Kollegen; wer als letztes im Stripclub ankam, musste bezahlen.

Und plötzlich machte er Schluss mit alledem. Ob es daran lag, dass sein Führerschein eingezogen wurde, oder weil er einfach dieses Leben satt hatte? Es sind verschiedene Versionen überliefert, eine davon steht in der „Kreuzberger Chronik“. Roland schmiss die Schlipse und die Anzüge fort, zerbrach die Vertrauen erweckende Brille mit den Glasgläsern und wurde Maler, „Hippie-Maler“, wie er sich nannte. Er hatte Ateliers in Berlin und auf Sylt und mehrere Ausstellungen pro Jahr. Seine Spezialität aber wurde das Großgemälde, ob auf Häuserwänden oder in Restaurants, Hotels, Autohäusern. Daneben baute er Skulpturen, aus allem, was er fand, Fahrrad, Kirchturmglocke, Anker, „von alten Zwecken entbunden“. Wenn all das zu wenig Geld einbrachte, verdingte er sich als Bauleiter.

Frauen kamen und gingen, dreimal war er verlobt, einmal verheiratet, er hatte einen Sohn, mit dem er sehr lachen und rumalbern konnte. Doch nichts war von Dauer. Mittelpunkt seines Kosmos’ war stets er selbst, und stets zog es ihn weiter. 2004 starb sein Sohn mit 16 bei einem Autounfall. Das zog Roland den Boden unter den Füßen weg. Hunderte Briefe schrieb er an den toten Sohn, all das, was er ihm zu Lebzeiten nie gesagt hatte. Er warf sich in ein Kunstprojekt nach dem anderen, auf der Suche nach Sinn.

Immer wieder halfen ihm Freunde dabei, wobei kaum jemand sagen konnte, warum er das tat. Der Weinhändler in der Bergmannstraße, in dessen Schaufenster Rolands Objekte stehen. Ein Mann, der ihm immer mit dem Auto herumfuhr. Ein anderer, der ihm bei der Technik und den Computern half. Einer, der ihm kostenlos das Atelier stellte. Die Liste der Helfer würde länger und länger. Verabredungen musste er immer wieder absagen, weil etwas anderes Wichtiges dazwischen gekommen war, Farbe kaufen etwa.

Dann, an einem Wochenende, mit vielen hatte er die Tage noch telefoniert, starb er, plötzlich und einfach so.

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