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Wolf Krötke

© privat

Nachruf auf Wolf Krötke: Seid ohne Angst!

Auf dem Lehrplan des Theologen in der DDR: der Atheismus und die Gottvergessenheit des Ostens

Von Jörg Machel

Wegen eines Schüttelreims über die reine Lehre ist er im Knast gelandet. 1958 war das, er Student der Theologie an der Universität Leipzig, zu dessen Studium auch eine Vorlesung zum wissenschaftlichen Marxismus gehörte. Er hatte seine Unterlagen liegen lassen, darin fand sich der ungehörige Reim, er wurde denunziert. Noch keine 20 Jahre alt, wurde er stundenlang verhört und saß er über lange Zeit in Einzelhaft. Sein gutes Gedächtnis half ihm, die Zeit durchzustehen: Er sang Kirchenlieder, memorierte Gedichte und Passagen irgendwann einmal gelesener Texte. Seelisch verwundet und doch innerlich gefestigt, verließ er das Gefängnis.

In der Wendezeit, als selbst ausgewiesene Stasispitzel die Augenblicke aufzuzählen wussten, in denen sie einen leisen Widerspruch gewagt hatten, hätte Wolf Krötke mit seinem Hafterlebnis reüssieren können, doch erst Jahre später sprach er öffentlich darüber, und es ging ihm nicht um seinen Heldenmut, sondern um die Absurdität der Diktatur.

Obgleich er nach der Haftentlassung 1959 in den Westen hätte gehen können, entschied er sich, in der DDR zu bleiben. Er wollte Pfarrer werden, jetzt erst recht. Zum ersten Geburtstag nach der Entlassung bekam er das Buch „Widerstand und Ergebung“, eine Textsammlung die Dietrich Bonhoeffer in der Nazihaft geschrieben hat. Aus der biografischen Nähe entwickelte sich eine intensive theologische Beschäftigung mit Bonhoeffer.

Die DDR wagte nie, das Konvikt zu schließen

Am „Sprachenkonvikt“, einer kirchlichen Hochschule in Berlin-Mitte, verbrachte er viele Jahre. Nach dem Krieg hatte die russische Militärverwaltung die Ausbildungsstätte genehmigt in Anerkennung des Widerstands der Bekennenden Kirche gegen die Nazis. Die DDR Regierung wagte es trotz beträchtlicher Vorbehalte nie, sie zu schließen.

Wolf Krötke studierte in den 60er Jahren dort, und er kehrte 1973 nach einer Zwischenstation als Studentenpfarrer zurück, um nun selbst Theologie zu lehren. Der junge Dozent erschien sportlich, unprätentiös. Mittwochs ging es nach dem Mittagessen auf den Fußballplatz. Pastorale Zurückhaltung durfte dort niemand erwarten, auch der Professor wurde nicht geschont. Wenn die Spieler einigermaßen lädiert in den Vorlesungssaal zurückkehrten, brauchte es immer eine Weile, bis die entscheidenden Szenen des Matchs ausgewertet waren.

Es herrschte eine besondere Atmosphäre am Konvikt: Wohnheim, Bibliothek, Seminarräume, alles unter einem Dach, eine Insel der Freiheit mitten im Sozialismus. Bücher, die in der nahen Staatsbibliothek nur mit Sondergenehmigung herausgegeben wurden, waren hier für jeden zugänglich.

Die Religionskritik von Feuerbach und Marx wurde heftig diskutiert. In den 70er und 80er Jahren stand die Auseinandersetzung mit dem Atheismus und, wie Wolf Krötke es nannte, mit der Gottvergessenheit des Ostens auf seinem Lehrplan. „Schaut genau hin, auch aus der Kritik an der Religion lässt sich etwas lernen. Wenn Marx sagt, dass die Religion das Opium des Volkes sei und Lenin daraus macht, sie sei Opium für das Volk, dann wird aus Analyse Politik.“

Der in manchen Kirchenkreisen gepflegte Antikommunismus war ihm zu platt, zuwider waren ihm die Anbiederungen von einigen sich fortschrittlich wähnenden Theologen an die Staatsmacht. Ihm ging es um das Training des aufrechten Gangs.

Mit nur etwa 100 Studierenden bei immerhin zehn Dozenten erwies sich das Sprachenkonvikt 1989/90 als eine Kaderschmiede der Revolution. Wolfgang Ullmann, Richard Schröder, Markus Meckel, Martin Gutzeit, Thomas Krüger, Stephan Steinlein, allesamt Konviktuale, die in die Politik wechselten. Manche sehen Wolf Krötke als eine prägende Figur.

„Meine Erinnerungen an das Sprachenkonvikt“, so schrieb er, „ist auch ein ,zwitscherndes Vogelnest‘ von Geschichten voller Lachen mit ganz freien Menschen unter den Kollegen und Studierenden und einer unbeschwerten Fröhlichkeit, die ich später an der Universität in dieser Weise nicht wieder erlebt habe.“

Wie schwer sich die Wiedervereinigung selbst für jene gestaltete, die sie herbeigesehnt und herbeigeführt haben, überraschte ihn. Sein Konvikt wurde Teil der Theologischen Fakultät der Humboldt Universität. Dort traf er auf eine Professorenschaft, die teilweise der Staatssicherheit zugearbeitet hatte, teilweise mehr aus Staatsloyalität als wegen ihrer Qualifikation zu ihren Stellen gekommen waren. Gleichzeitig wurde die West-Berliner Kirchliche Hochschule Teil der Fakultät, deren Angestellte sehr auf ihre Privilegien pochten. In dieser Zeit hatte er die Leitung inne und war schwer gefordert, seinen fachlichen, politischen und ethischen Ansprüchen gerecht zu werden.

Doch nicht nur die Hochschulpolitik beschwerte ihn, auch die Schwammdrüberhaltung mit der in der Kirche gern über Konflikte hinweggegangen wird. Er wollte Aufarbeitung. Was ist schief gelaufen im Verhältnis zwischen Kirche und Staat? Wer hat das Gute gewollt und das Falsche getan? Wo lag die Grenze zwischen Verhandlung und Verrat?

Bei Durchsicht der Stasiakten erfuhr er, dass ein enger Freund als Spitzel auf ihn angesetzt war. Immer aber betonte er, dass nicht solche Enttäuschungen entscheidend seien, sondern die Beobachtung, dass die meisten Anwerbungsversuche fehlschlugen. Es war möglich zu widerstehen. Er selbst hatte den Studenten Schützenhilfe gegeben: „Wenn euch die Stasi bedrängt, sagt, dass ihr das mit eurem Seelsorger besprechen müsst, dann werden sie euch in Frieden lassen. Seid ohne Angst!“

Von Gott so reden, dass auch die Menschen, denen das Christentum fremd geworden war, etwas damit anfangen können, das war ihm wichtig. Den Himmel im Blick behalten bedeutet das nicht, aus der Realität zu fliehen, sondern die Selbstbezogenheit hinter sich zu lassen. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“, das war für Wolf Krötke ein Bibelwort, das ihm Freiheit zusprach, auch in der ummauerten DDR, selbst in seiner Gefängniszelle mit zwei Schritten vorwärts, drei Schritten seitwärts.

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