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Schule: Einfach nicht wegzukriegen, dieser Typ

Weil 2006 die GL-Klasse kommt, dachten alle, für die G-Klasse sei nach 27 Jahren Schluss. Aber bei Mercedes hatten sie ein Einsehen.

Im nächsten Jahr kommt der Neue. Zunächst wurde der GL als Nachfolger der legendären G-Klasse von Mercedes-Benz vorgestellt. Ein Rundling wie die meisten seiner Konkurrenten – und dazu ein wahrer Riese mit sieben Sitzen. 5,09 Meter Länge und ein Radstand von 3,08 Meter, das sind Daten, die unter den Fans der G-Klasse Entsetzen auslösen. Für sie ist der GL in Form und Größe eine Schreckensvision. Lieben sie die G-Klasse als einmaligen und unverwechselbaren Charakter, so schimpfen sie über den GL als mainstream – mag er auch noch so modern sein.

Doch inzwischen ist klar: Die G-Klasse überlebt. Denn der neue GL rollt in Tuscaloosa in Alabama vom Band, gemeinsam mit M-Klasse und R-Klasse, mit denen er sich die Plattform teilt. Er ist ein Amerikaner und soll zum größten Teil auch in Amerika verkauft werden. Das „G“ der kantigen Legende dagegen steht auch für Graz. Hier wird die G-Klasse seit 27 Jahren gebaut, hier beginnt bereits 1972 deren Geschichte und hier wird sie auch fortgeschrieben. Die traditionsreichen Produktionsanlagen für den G werden nicht stillgelegt. Dazu hat sich Mercedes nicht etwa aus Nostalgie entschlossen, sondern vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Denn der weitgehend handgefertigte G, der hier bei Magna Steyr als fabrikneuer Oldtimer vom Band rollt, verkauft sich auch heute noch überraschend gut. Mehr noch: Vor gerade einmal zwei Jahren kürten ihm die Leser des Fachmagazins Offroad sogar zum Geländewagen des Jahres 2003 – weil er im Gelände „immer noch das Maß der Dinge sei“.

Nur wer ihn nicht kennt, kann überrascht sein von solchem Lob für den Youngtimer, der sich längst einer breiten Schar modernerer Konkurrenten gegenübersieht. Aber jünger ist nicht unbedingt besser. G-Klasse-Fahrer wissen seit jeher: Nichts kann uns aufhalten. Wo auch nur die geringste Andeutung einer passierbaren Piste erkennbar ist – mit der G-Klasse finden sie selbst dort noch ihren Weg, wo viele Konkurrenten längst die Räder strecken.

Aber so war sie ja auch konzipiert worden, als Daimler-Benz und Steyr-Daimler-Puch – beide Unternehmen tragen längst andere Namen – 1972 jenen Kooperationsvertrag schlossen, der 1978 zum G-Modell führte. Ein leichter Geländewagen mit Allradantrieb für private Nutzer sollte es werden, kein Allrad-Pkw, aber auch kein spartanisch ausgestatteter Nur-Geländewagen. Eben anders als alle damaligen Konkurrenten. Robust, zuverlässig, uneingeschränkt geländegängig und zugleich ein vollwertiges, komfortables Straßenfahrzeug für den extrem sicheren Transport von Personen und Lasten.

Klang alles ein wenig nach Eier legender Wollmilchsau. Znächst schüttelten die Entwickler den Kopf. Ein Unding, all das in einem Fahrzeug unter einen Hut zu bringen! Doch wie es sich für richtige Entwickler gehört, machten sie sich daran, das Unmögliche doch möglich zu machen. Heraus kam jenes kantige Gefährt mit robustem Leiterrahmen, zwei Starrachsen, aufwändigen Differenzialsperren und voll synchronisiertem Verteilergetriebe, das private Nutzer, Land- und Forstwirte ebenso überzeugte wie kommunale Betriebe und das Militär.

Gerade dort ist die Funktion wichtiger als die Optik. Da braucht man keine raffinierten Lichtkanten, keine modischen Wechselspiele konkaver und konvexer Flächen. Glatt und kantig ist angesagt, beim Blech ebenso wie beim Glas. Das lässt sich leicht produzieren und ebenso leicht reparieren. Und ganz entscheidend: Kanten sind zeitlos. Da zeigte sich die G-Klasse eng verwandt mit einem kleinen Auto einer ganz anderen Klasse, dem 1980 fast zeitgleich eingeführten Fiat Panda, der „tollen Kiste“, die ebenso kantig und glatt war und zu deren wichtigsten Aufgaben es zählte, den Bauern Italiens ihre Mulis zu ersetzen – mit gewaltigem Erfolg, wie knapp vier Millionen Pandas bewiesen.

Schon 1980 übernahm der G in Italien eine ganz besondere Aufgabe. Er wurde mit einer hohen transparenten Kuppel aus Kunststoff ausgestattet. Der Spezialaufbau machte das Auto zum Papamobil, begleitete Johannes Paul II. fortan mit dem vatikanischen Nummernschild SCV 7 auf vielen seiner Reisen; ein Zwillingsbruder trug das Kennzeichen SCV 6.

Militärische Karriere machte der G in Norwegen, der Schweiz und Argentinien. Ein (noch vor Produktionsbeginn) mit dem Schah von Persien 1975 geschlossener Auftrag über 20 000 Fahrzeuge der G-Klasse wurde von der iranischen Revolutionsregierung zwar storniert, hatte bei Mercedes aber entscheidende Impulse gesetzt, die Entwicklung des G voranzutreiben.

Heute ist die G-Klasse in fast allen Heeren Europas und sogar in den USA als einfach ausgestattete „Greenline“ anzutreffen. Und wem in Frankreich ein besonders schlichtes Peugeot-Militärfahrzeug P4 begegnet, dessen Motorhaube aussieht wie die der G-Klasse, der sieht das schon richtig – es ist eine extrem abgespeckte Variante der G-Klasse, die bei der Bundeswehr „Wolf" heißt.

Einige G-Modelle machten auch sportlich Schlagzeilen. Wie jene G-Klasse, die von Jackie Ickx pilotiert und mit Claude Brasseur als Beifahrer 1983 die Wüstenrallye Paris-Dakar gewann. Auch Clay Regazzoni fuhr mit ihr in den Folgejahren ganz vorn mit. Ungezählte Siege heimste sie bei Meisterschaften für Geländewagen ein; 1988 und 1989 errang sie den europäischen Trial-Titel.

Erst vor kurzen bewies sie erneut ihre Spitzenposition. Denn als Begleitfahrzeug für einen Hilfskonvoi nach Afghanistan bewältigte sie in dreieinhalb Wochen problemlos die 6000 km von Brüssel nach Hayraton. Allein die Wüste Karakum bedeutete 1000 km Sand- und Geröllpisten auf der „Neuen Seidenstraße“, dem von der EU geförderten Verkehrsprojekt „Traceca“-Korridor (Transport Corridor Europe Caucasus Asia). Hier soll auf den Spuren der alten Karawanenstraße schon bald eine europäisch-asiatische Straßenverbindung für die Lkw-Karawanen der Neuzeit entstehen.

Auf rund ein Dutzend Jahre hatte man die Produktionszeit der G-Klasse ursprünglich angesetzt. Doch längst ist sie mehr als doppelt so alt. Denn mit den Jahren veraltete sie im Unterschied zur Masse der Autos nicht etwa, nein, sie wurde permanent reifer und besser. Dr. Gerhard Fritz, ehemaliger Projektleiter G-Klasse, sagt es so: „Im Verlauf der Modellgeschichte haben wir das ursprünglich spartanische Interieur stark aufgewertet. Damit entwickelte sich der Geländewagen zum Lifestyle-Auto. Als professionelles Fahrzeug unterlag die G-Klasse allerdings nie der Mode. Sie hat ihren eigenständigen Charakter stets bewahrt, auch wenn sie technisch noch immer auf der Höhe der Zeit ist.“

Neben aktuellster Geländewagentechnik, die auch im Nachfolger kaum besser ist, stecken unter der eckigen Karosserie modernste Triebwerke. Deren stärkste, die beliebten V8-Motoren, stammen aus Berlin, dem Motorenwerk in Marienfelde. Von AMG in Affalterbach noch einmal extra getrimmt, lässt der G 55 AMG mit seinem 350 kW (476 PS) leistenden V8 und 700 Nm Drehmoment selbst hochkarätige Sportwagen stehen, erreicht er doch in nur 5,6 Sekunden Tempo 100 und schon nach 23 Sekunden Tempo 200, ehe er beim Tempo 210 abregelt. Und mit edelster Ausstattung und feinstem Leder macht er auch neben dem Klassiker Range Rover eine gute Figur.

Obwohl man sein Ende schon beinahe ausgerufen hatte, spricht nun doch vieles dafür, dass der seit 1979 rund 185 000 Mal gebaute G in zwei oder drei Jahren die Produktionszahl 200 000 erreichen wird. Der neue, runde GL kann den kantigen Typen eigentlich nicht ersetzen, allenfalls ergänzen.

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