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Gut 500 ukrainische Jugendliche besuchen eines der 44 Berliner Oberstufenzentren.

© Malte Neumann 

Was wird aus den Schülern?: Ukrainischer Bildungsminister besucht Berliner Berufsschule

200.000 ukrainische Kinder und Jugendliche besuchen deutsche Schulen. Welche Bildungswege stehen ihnen offen? Was möchten sie werden – und vor allem: wo leben?

Klack, klack, klack. In der Schmiedewerkstatt der Hans Böckler Schule ist das unverwechselbare Geräusch zu hören, das ertönt, wenn Metall auf Metall prallt. Sechs Schüler:innen hämmern hier in Anwesenheit ihres Lehrers auf Metallobjekte ein. Als der ukrainische Bildungsminister Oksen Lisovyi, die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz und Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) sowie Mario Brandenburg, der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) eintreten, verstummen die Hämmer.

Im Rahmen seines zweitägigen Besuchs in Berlin stattet Lisovyi dem auf Metallarbeit spezialisierten Kreuzberger Oberstufenzentrum einen Besuch ab. Am Mittwoch traf der ukrainische Politiker bereits FDP-Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Die Amtskolleg:innen unterzeichneten eine Absichtserklärung, die wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit beider Länder zu vertiefen. Nachdem es am Mittwoch auch um die Perspektive der aktuell rund 9000 ukrainischen Forschenden in Deutschland ging, stand am Donnerstag die Zukunft der in Deutschland lernenden ukrainischen Schüler:innen im Vordergrund. 

7500

Ukrainische Schüler besuchen Berliner Schulen

Rund 200.000 ukrainische Kinder und Jugendliche besuchen derzeit deutsche Schulen, alleine in Berlin sind es circa 7500. Gut 500 von ihnen gehen auf eine der 55 Berliner Berufsschulen, die sogenannten Oberstufenzentren. An der Hans-Böckler-Schule sind unter den 850 Schüler:innen und Auszubildenden 21 Ukrainer:innen. Mit der Kampagne „16+ Deine Chance in Berlin“ will der Senat jugendlichen Geflüchteten wie ihnen berufliche Perspektiven aufzeigen.

Von der Willkommensklasse zum Studium?

Vor Ort erklärt Schulleiterin Karen Seypt dem Minister, dass ukrainische Schüler:innen je nach Leistungniveau einer der Willkommensklassen zugewiesen werden. Danach absolvieren sie die einjährige Integrierte Berufsausbildung (IBA), machen berufsorientierende Praktika und bereiten sich auf einen Schulabschluss vor. Mit dem Abschluss in der Tasche können die Jugendlichen dann an der Schule eine Ausbildung beginnen, mit einem mittleren Schulabschluss (MSA) sogar andernorts das Abitur angehen.

Schulleiterin Seypt erklärt Lisovyi, dessen Dolmetscherin, Günther-Wünsch und Brandenburg das Konzept der Hans Böckler Schule.

© Malte Neumann 

„Hier kann man es binnen weniger Jahre von der Willkommensklasse bis zur Ausbildung oder zum Studium schaffen. Das zeigt, wie durchlässig unser Bildungssystem ist“, erklärt Günther-Wünsch nicht ohne Stolz. Oksen Lisovyi hört ihr und Seypt, die sich als überzeugte Verfechterin des dualen Studiums zu erkennen gibt, aufmerksam zu. „Das deutsche Bildungssystem, gerade das Konzept der dualen Ausbildung, ist ein Vorbild für uns bei der Neustrukturierung des ukrainischen Bildungssystems“, sagt Lisovyi anerkennend. 

Das deutsche Bildungssystem, gerade das Konzept der dualen Ausbildung, ist ein Vorbild für uns bei der Neustrukturierung des ukrainischen Bildungssystems.

Oksen Lisovyi, ukrainischer Minister für Bildung und Wissenschaft

Dass die ukrainischen Jugendlichen aber kaum für Ausbildungsberufe zu begeistern sind, wird deutlich, als die anwesenden Schüler:innen über ihre Berufswünsche sprechen. Alona und Yehor besuchen die Willkommensklasse. Sicher sind sich die beiden 17-Jährigen aber darin, dass sie danach erst den MSA, dann das Abitur machen wollen. Yehor will danach IT oder Finanzmanagement, Alona Psychologie studieren.

Vielen wollen nicht zurück in die Ukraine

„Wir versuchen den Schüler:innen zu vermitteln, dass ein Studium nur einer von vielen Wegen ist. Eine duale Ausbildung abgeschlossen zu haben, ist in Deutschland nicht weniger wert als ein Studienabschluss. Das ist in anderen Ländern, dazu zählt sicher auch die Ukraine, anders“, ist sich Schulleiterin Seypt bewusst. Eine Ausbildung könne ein sinnvoller Zwischenschritt sein, sagt sie mit Blick auf ihren eigenen Bildungsweg. Wie auch der ukrainische Bildungsminister hat Seypt eine Lehre abgeschlossen, bevor sie auf Lehramt umstieg. „Natürlich begleiten wir die Schüler:innen aber auf dem Weg, den sie für den richtigen halten“, sagt Seypt.

Eine duale Ausbildung abgeschlossen zu haben, ist in Deutschland nicht weniger wert als ein Studienabschluss. Das ist in anderen Ländern, dazu zählt sicher auch die Ukraine, anders

Karen Seypt, Leiterin der Hans Böckler Schule

Zu welchem Bildungsabschluss dieser Weg Alona und Yehor führt, ist ungewiss. Für die beiden Jugendlichen steht aber fest, dass sie nicht zurück in die Ukraine wollen. Alona möchte in Deutschland bleiben, Yehor später in die USA ziehen. Während das auch unter ihren Klassenkamerad:innen eine verbreitete Haltung zu sein scheint, seien auch schon rund ein Dutzend Jugendliche, die die Hans Böckler Schule besucht haben, mit ihren Familien wieder in die Ukraine zurückgegangen, erzählt Seypt. Manche von ihnen in den sichereren Westen, andere, um nach ihrem 18. Geburtstag der Armee beizutreten. Das gelte es zu akzeptieren, sagt Seypt.

Am eigenen Willen der ukrainischen Schüler:innen an der Hans Böckler Schule zeigt sich an diesem Tag ein Zwiespalt der deutschen Migrationspolitik: So sagt der Parlamentarische Staatssekretär Brandenburg einerseits, dass „wir alle hoffen, dass diese tapferen jungen Menschen alle möglichst schnell in ihre Heimat zurückkehren können“. Andererseits solle das deutsche Bildungssystem ihnen einen „Übergang in ein erfolgreiches und friedliches Leben“ ermöglichen.

In der Ukraine sehen die meisten der Jugendlichen das aber offenbar nicht mehr als möglich. Und so bleibt auch Bildungsminister Lisovyi nichts andere übrig, als sich mit ermutigenden Worten an seine jungen Landsleute zu verabschieden: „Ihr seid Teil der Ukraine und werdet es immer bleiben. Egal, wo ihr lernt und lebt.“

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