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 Franziska Giffey

© imago/Christian Spicker / IMAGO/Christian Spicker

Sondersitzungen des Parlaments nötig: Berliner Senat will Milliardenprogramm für Energie-Nothilfen in vier Wochen fertigstellen

Am 16. November entscheidet das Verfassungsgericht über eine Wahlwiederholung. Der Nachtragshaushalt für Flüchtlinge und Energiekrise soll schon vorher kommen.

Das Milliardenprogramm des Berliner Senats für die Kosten der Energiekrise und Inflation soll schon in vier Wochen vom Parlament verabschiedet werden. Der Berliner Nachtragshaushalt soll noch vor dem 16. November stehen. Das kündigte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag in der Senatspressekonferenz an. Am 16. November wird das Berliner Verfassungsgericht sein Urteil über eine mögliche Wahlwiederholung sprechen.

Es gehe darum, gerade in der Zeit multipler Krisen handlungsfähig zu bleiben, erklärte Giffey. Die Regierungschefin begründete den Schritt nach der Senatssitzung am Dienstag mit der Handlungsfähigkeit von Senat und Parlament. „Wir gehen auf Nummer sicher“, sagte die SPD-Politikerin. Der Nachtragshaushalt habe eine „ganz zentrale Bedeutung“, so Giffey. „Wir wollen die Beschlussfassung zu einem Zeitpunkt treffen, bei dem klar ist, dass Parlament und Senat auch agieren können.“

Mit dem Nachtragshaushalt will der Senat unter anderem das 29-Euro-Ticket finanzieren, außerdem Hilfen für Privatpersonen, die Berliner Verwaltung und Wirtschaftsunternehmen wegen der stark gestiegenen Energiekosten. Vom Beschließen des Haushaltes hängen also ganz zentral die Hilfen des Landes Berlin für die Berlinerinnen und Berliner ab.

Konkret sollen etwa soziale Träger und Vereine mit einem Energiegeld von 300 Euro pro Platz entlastet werden. Auch das Kündigungsmoratorium für kommunale Berliner Mieter muss gegenfinanziert werden. Ebenso diskutiert wird ein Stromrabatt, auch Hilfen für von der Insolvenz bedrohte Unternehmen sind geplant.

Alle Hilfen hängen vom Beschluss des Nachtragshaushaltes ab

Zudem müssen Nachteile für den Landeshaushalt durch Hilfsmaßnahmen des Bundes ausgeglichen werden – etwa die Absenkung der Mehrwertsteuer für Gas und Fernwärme. Zuletzt war auch überlegt worden, ob ein Teil der Kosten für die Versorgung von Flüchtlingen darüber finanziert werden könnten. Alles hängt aber davon ab, dass der Nachtragshaushalt beschlossen wird.

Die Entscheidung für den deutlich vorgezogenen Nachtragshaushalt war kurzfristig am Dienstag im Senat gefallen. Besonders SPD und Linke hatten darauf gedrungen, hieß es aus dem Senat. Beide Parteien teilen die Sorge über eine mögliche Rechtsunsicherheit nach der endgültigen Entscheidung des Landesverfassungsgerichtshofes über eine Wahlwiederholung.

Das Gericht hatte jedoch bereits festgestellt, dass das Parlament weiter Entscheidungen treffen darf. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Werner Graf, kommentierte die Entscheidung deshalb zurückhaltend: „Ein Haushalt verlangt eine ordentliche parlamentarische Befassung, auch die Opposition muss einbezogen werden.“ Für die Grünen gelte, dass sie auch nach dem 16. November ein handlungsfähiges Parlament wollten.

Werner Graf, Fraktionsvorsitzender der Berliner Grünen-Fraktion, beurteile die Entscheidung des Senats zurückhaltend. Ein Parlament brauche Zeit, um zu arbeiten.

© Bündnis 90/Die Grünen

Graf mahnt dringend die notwendigen Konzepte zur Umsetzung der vielen geplanten Hilfen an: „Die zuständigen Senatsverwaltungen müssen nun die Zeit nutzen, um die Konzepte für den Härtefallfonds und den Energiekostenzuschuss vorzulegen.“ Den Berlinerinnen und Berlinern sei nicht geholfen, wenn Geld da sei, dieses aber nicht bei ihnen ankomme. Noch immer fehlen nach Tagesspiegel-Informationen die genauen Konzepte dafür, wie das Geld zielgenau an arme Menschen ausgeschüttet werden soll. Viele juristische und verwaltungspraktische Fragen sind weiter ungeklärt.

Noch deutlicher wurde die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Julia Schneider. Sie bezeichnete die vorgezogene Verabschiedung als „gewagt“. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Steuerschätzung des Bundes erst Ende Oktober vorliege und noch nicht klar sei, wie genau die Entlastungen durch den Bund im Detail aussehen. Das sagte sie dem Tagesspiegel nach der Entscheidung. Auch sei es „eigentlich nicht in Ordnung“, als Exekutive dem Parlament vorzuschreiben, wann und wie es arbeite. Schneider zeigte sich auch verärgert darüber, von dem neuen Zeitplan aus der Presse erfahren zu haben.

Zwei Sondersitzungen des Parlaments in einer Woche geplant

Praktisch sieht der Zeitplan nun so aus: Der Senat wird in einer bislang nicht geplanten und in den Herbstferien liegenden Sitzung am 1. November per Videokonferenz seinen Entwurf für den Nachtragshaushalt verabschieden. Im Anschluss daran wird es, voraussichtlich in der Woche nach den Herbstferien, zwei Sondersitzungen des Parlaments geben.

Zuvor hatte der Senat geplant, das Urteil und die am 25. Oktober erwartete Steuerschätzung abzuwarten und in der letzten Plenarsitzung vor der Winterpause, am 15. Dezember, den Nachtragshaushalt zu verabschieden. Für die neu terminierte Verabschiedung bis Mitte November werden zwei Sondersitzungen des Abgeordnetenhauses notwendig. Ein Gesetz muss nämlich zwei mal im Parlament behandelt werden.

Die Fraktionen hätten ihre Zustimmung zu dem Vorgehen erteilt, sagte Giffey am Dienstag. Sie kündigte an, am Tag nach der Urteilsverkündung des Verfassungsgerichtshofs am 16. November eine Regierungserklärung abgeben zu wollen. An diesem Tag trifft sich das Parlament zu einer regulären Plenarsitzung. Führende Mitglieder der Regierungskoalition bestätigten das Vorgehen.

Aus der Opposition kommt jedoch Kritik. Christian Goiny, Haushaltsexperte der CDU-Fraktion, kritisierte den Senat dafür, die Opposition nicht in die Pläne eingeweiht zu haben. „Mit uns wurde nicht gesprochen, obwohl wir den Nachtragshaushalt bereits nach dem Ende der Sommerpause angemahnt haben“, erklärte Goiny. Es stelle sich die Frage, ob und wie in der Kürze der Zeit angemessen beraten werden kann, sagte der CDU-Haushälter. „Bei aller Eilbedürftigkeit darf die parlamentarische Beratung nicht zur Farce werden.“

FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja hatte dem Senat das nun gewählte Vorgehen sogar vorschlagen wollen. In einem Briefentwurf an Giffey, Wesener und die Vorsitzenden der anderen Fraktionen, der dem Tagesspiegel vorliegt, wollte Czaja darauf drängen, den Nachtragshaushalt aus dem Wahlkampf rauszuhalten und stattdessen „schnell und zielgerichtet“ zu helfen.

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker sagte dem Tagesspiegel: „Angesichts seiner zu erwartenden Niederlage vor dem Verfassungsgericht versucht der Senat, zu retten, was zu retten ist. Im Eilverfahren will er nun einen Nachtragshaushalt durchpeitschen. Ziel ist, noch schnell Wahlkampfgeschenke in Millionenhöhe verteilen zu können.“ Ihre Fraktion lehne dieses „hektische Vorgehen“ ab. Brinker sagte: „Es zeugt von Missachtung des Parlaments, wenn der Senat das Abgeordnetenhaus derart unter Zeitdruck setzt.“

Trotz der erwarteten kompletten Wahlwiederholung hatte das Berliner Landesverfassungsgericht in einer Anhörung Ende September klargestellt, dass Parlament und Senat bis zu dieser Wiederholung weiter handlungsfähig bleiben sollen. Dies wurde mit der „notwendigen Kontinuität staatlichen Handelns“ begründet. Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) hatte noch am Donnerstag im Parlament angedeutet, dass auch ein Nachtragshaushalt damit gemeint sein dürfte. Nun will man in der rot-grün-roten Koalition aber offenbar kein Risiko eingehen.

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