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Berlin: Staatsgäste, die aus der Kälte kamen

Tausende folgten gestern bei eisigen Temperaturen der Einladung Horst Köhlers ins frisch renovierte Schloss Bellevue

Der rote Teppich für die Bürger war exakt 540 Meter lang. Zur Wiedereröffnung von Schloss Bellevue markierte er die Wegstrecke der ersten Besucher beim Tag der offenen Tür durch den renovierten Amtssitz des Bundespräsidenten. Draußen vor dem Tor hatten sich schon früh Interessenten versammelt, die zu den ersten 40 gehören wollten, die Horst Köhler persönlich führen wollte. Um zehn Uhr sollte es losgehen, wer nach halb acht kam, hatte keine Chance mehr. Ein Buch über Eisenhowers Jahre im Weißen Haus in der Hand, zur Verkürzung der Wartezeit, versuchte Stefan Lunze der Situation positive Aspekte abzugewinnen. Bei minus sechs Grad im gerade heraufdämmernden Morgen genoss der 27-jährige Doktorand der Rechtswissenschaft „die MoMA-Schlangen-Atmosphäre, denn da kriegt man so viel menschliche Wärme“. Zu den frühen Schlangestehern gehörte auch Gertrud Richter aus Minden, die gemeinsam mit ihrem Mann „den ICE um 4.23 Uhr“ genommen hatte. „Wir haben von der Einladung des Bundespräsidenten in der Zeitung gelesen und wollten uns einen schönen Sonntag machen.“

Nachdem Bauminister Wolfgang Tiefensee um punkt zehn Uhr auf der Freitreppe dem Hausherrn einen gigantischen Schlüssel überreicht hatte, feierte das Musikkorps der Bundeswehr fröhlich die eisige „Berliner Luft“. Das „dicke Lob für die Bauleute und alle Beteiligten“ verschob der Bundespräsident auf eine Ansprache im Innern. Zuvor begrüßte er die ersten 40 Gäste, die in der Eingangshalle wie Staatsgäste an ihm und seiner Frau Eva Luise vorbeidefilierten, mit auflockernder Herzlichkeit. „Grüß Gott, Hauptsache, nicht mehr frieren“, rief er und bat den zuständigen Referatsleiter Dieter Kalthoff, die Neuerungen zu erläutern. Im offiziellen Amtszimmer des Bundespräsidenten mit den gut gefüllten Bücherregalen verriet Köhler, dass er auch noch ein Arbeitszimmer hat: „Das ist direkt dahinter.“ Neu ist das Musikzimmer im ersten Stock mit einem großen Flügel, auf dem auch Eva Köhler spielen wird. Im Schinkelsaal will der Bundespräsident künftig Abendessen für 18 bis 20 Personen halten, solche, „bei denen man auch mal über den Tisch miteinander reden kann.“ Im großen Saal waren zwei Tische liebevoll feierlich gedeckt wie beim Staatsbankett. Zufrieden lächelnd freute sich Protokollchef Martin Löer auf die deutlich verbesserten Arbeitsbedingungen.

Aus der früheren „Bruchbude“, wie der an diesem Morgen von vielen zitierte Roman Herzog das Schloss mal genannt hat, ist nach 20 Monaten Bauzeit und etwa 24 Millionen Euro endlich „ein angemessener, inspirierender Ort zum Repräsentieren“ geworden, dem Horst Köhler zudem eine „fast leichte Eleganz“ bescheinigte. In der alten Dienstwohnung gibt es jetzt modern ausgeleuchtete Räume für Besprechungen und Essen im kleinsten Kreis. Etwa 90 Prozent der Neuerungen steckten allerdings in den Wänden, sagte Kalthoff. Tatsächlich hat sich nach außen, von neuen Vorhängen und anmutigen Anstrichen abgesehen, nicht dramatisch viel verändert. Die ausladenden Kronleuchter glitzern deshalb so herausfordernd, weil sie frisch poliert wurden, das Mobiliar ist fast durchweg geblieben, und auch viele Kunstwerke werden Stammgästen vertraut vorkommen, die „Begegnungen“ von Graubner etwa, die im großen Speisesaal nicht nur die Optik, sondern auch die Akustik verbessern. Mit denen konnte Renate Schimetzek nicht viel anfangen. Als Ureinwohnerin des angrenzenden Hansa-Viertels ist sie „seit 50 Jahren Nachbarin“. Besonders der Blumenschmuck sei wunderschön, kommentierte sie mit Kennermiene. „Für die Gläser müssten sie allerdings ein neues Spülmittel finden.“ Typisch für die Berliner Abneigung gegen allzu exaltierte Ahhs und Ohhs erscheint auch die Bemerkung von Horst Knopf, der als Müllfahrer regelmäßig am Schloss vorbeikommt und sich die einmalige Chance, mal hineinzugucken, nicht entgehen lassen wollte: „Kann man nichts gegen sagen.“

„Ich hoffe, dass sich niemand erkältet hat“, verabschiedete sich Horst Köhler und verteilte einige der 10 000 mit goldenem Bundesadler verzierten und von den Mitarbeitern des Bundespräsidialamts mit schwarzrotgoldenen Bändchen verpackten Nougatpralinen. Draußen gab er noch bis kurz vor zwölf Autogramme.

Bis 18 Uhr waren etwa 10 500 Besucher über den zur Schonung für den normalen Belag eigens ausgerollten roten Samtvelours gewandert.

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