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Stricken liegt voll im Trend - zumindest in der Berliner S-Bahn (Symbolbild).

© Mike Wolff

Glosse "Von Tag zu Tag": Stiller Stricksport in der S 1

Fahrgäste in der S-Bahn lesen, dösen oder starren auf ihre Handys. Nur eine Frau schwärmt für handgemachte Textilien.

Gestern in der S 1: Touristen, Hand- und Kopfarbeiter, Studiosi. Manche dösen und gähnen. Drei lesen Bücher. Zwei telefonieren. Zehn beblicken oder beklicken ihre Handys und Suchmaschinen, bespielen ihre Jahrhunderterrungenschaft oder teilen Tante Frieda Neuigkeiten aus dem S-Bahn-Tunnel mit: „Bin gerade Anhalter, setz doch schon mal die Kartoffeln auf!“

Nur eine widersetzt sich: Versunken sitzt sie am Fenster in der Ecke und zeigt, dass sie das ganze Ringsum nix angeht. Sie hat zwei Finger erhoben, zwischen denen Wollfäden um den einen Finger gewickelt werden, während der andere mit spitzen Nadeln hantiert. Wie eine Strickmaschine, aber ohne Strom, sondern „handmade“. „Nein, kein Strampelanzug“, sagt die Frau mit dem blau-weiß- gelb geringelten Stück Stoff, „es wird ein Plaid. Für den Herbst und für mich.“

Zwei Wochen benötigt sie noch, dann soll der Herbst kommen. Nicht früher! Das selbst produzierte Umhängetuch sei ein teurer Zeitvertreib, aber es mache glücklicher als etwas fertig Gekauftes. Die Wolle wird zwar immer teurer, klagt sie, dennoch: „Stricken liegt voll im Trend. Immer mehr junge Leute schlagen die Maschen an, im Internet gibt es Anleitungen für eine erfolgreiche Strickerei. Nur Mut.“

Stiller Stricksport. Leise entsteht etwas Neues unter geschickten Händen, mit Ausdauer und Geduld. Aber knobelt gerade in diesem Moment nicht irgendein Hipster und Newcomer an einem Projekt, das Stricknadeln zum Reden bringt oder wenigstens Musik spielt und die genaue Zeit ansagt? Furchtbar wär’s.

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