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Berlin: Strafe muss sein

Ob Kippen oder Müll: Ohne Verbote geht hierzulande nichts, sagen Juristen

Ob es die Rauchverbote sind, die Debatte um Alkoholwerbung oder der Schilderwald entlang der Straßen – oft ist von Regulierungswut der Verwaltung die Rede, und meist schwingt die zugespitzte Frage mit: Muss man denn alles verbieten? Beim Rauchverbot hat Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) die Antwort mitgeliefert: Freiwillige Vereinbarungen mit der Gastronomie seien auf ganzer Linie gescheitert. Woraus gleich die nächsten Fragen folgen: Muss alles, was verboten ist, auch bestraft werden? Oder kann eine Regelung auch funktionieren, wenn sie keine Drohung enthält?

Sie kann, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen, lautet das Fazit altgedienter Juristen. Der Staatsrechtler Markus Heintzen von der Freien Universität hält freiwillige Vereinbarungen ohne Strafandrohung nur dann für praktikabel, wenn es als sinnvoll empfunden wird oder wenig Mühe macht, sich daran zu halten. Das gelte für Hinweise zum Verbraucherschutz, sagt er: Es könne reichen, die Leute über schädliche Dinge zu informieren, um sie davon abzubringen.

Aber in den meisten Fällen des Lebens brauche es Kontrollen und Strafen, sagt Heintzen und nimmt ein Beispiel aus dem Steuerrecht: Während Unternehmer ihre Umsatzsteuern – wegen der relativ hohen Wahrscheinlichkeit einer Kontrolle – seit jeher brav dem Finanzamt meldeten, hätten viele Leute ihre Kapitalerträge ganz selbstverständlich verschwiegen, weil sie aufs Bankgeheimnis vertrauen konnten. Das Gegenmittel sei die „Quellensteuer“, die die Banken direkt ans Finanzamt überweisen müssen. So kommt es auf die Ehrlichkeit des Steuerzahlers nicht mehr an. „Ein gewisser Sanktionsdruck ist allgemein hilfreich“, resümiert Heintzen.

Doch warum verschwanden dann die Aschenbecher aus vielen Restaurants schon zu Jahresbeginn, obwohl damals bekanntermaßen noch nicht kontrolliert wurde? Warum melden die Hundeschulen verstärkten Andrang, obwohl die verschärften Auflagen sich in erster Linie gegen Kampfhunde richten? Und warum gehen die meisten Autofahrer, wie sich jetzt gezeigt hat, vor Schulen vom Gas, wenn dort ein harmloses Display steht, das schlicht „Danke“ zeigt?

„Das mit den Displays erstaunt mich auch“, sagt Uwe Wesel. Der emeritierte Professor für Rechtsgeschichte vermutet, dass es die relativ kleine Einschränkung ist, die die Leute zur Vernunft bringt: Für ein paar Sekunden den Fuß vom Gas – das tut niemandem weh. Beim Nichtraucherschutz lägen die Dinge anders: Bevor sie die Aschenbecher wegräumten, hätten die Restaurantbesitzer durchaus abgewogen, ob das ihren Umsatz schmälert oder nicht – und dann für sich entschieden. Und den von ihrer Sucht getriebenen Rauchern sei ohne Strafandrohung auf Dauer gleich gar nicht beizukommen. Strafe muss in der Regel sein, lautet Wesels Fazit, weil der Mensch Vor- und Nachteile abwäge: Ein Beispiel sei der Ladendiebstahl, auf dessen Vorteil (kostenlose Ware) der brave Bürger wegen des absehbaren Nachteils (Strafverfahren) lieber verzichte.

Schwieriger wird es, wenn sich die subjektiven Vor- und Nachteile umkehren. „Ich kenne Fälle von Jugendlichen, die ganz bewusst das Risiko einer Freiheitsstrafe auf sich nehmen“, sagt Wesel. „Wenn sie wieder herauskommen, sind sie in ihrem Bereich Helden.“ Er selbst habe einen Intensivtäter verteidigt, der die Unannehmlichkeiten der Haft erst als 30-Jähriger – nach insgesamt zehn Jahren im Gefängnis – so satt hatte, dass er seine kriminelle Karriere aufgeben wollte, um anderweitig Anerkennung zu suchen.

Wenn es die nur leichter gäbe, hätte auch die Stadtreinigung weniger zu tun, die mit allerlei Kampagnen an den Verstand appelliert. Wer im Sportverein erfolgreich sei, müsse nicht seine Initialen zur Selbstbestätigung an Wände schmieren, sinniert ein BSR-Oberer. Er stellt noch eine weitere Diagnose: „Müll ist magnetisch.“ Dabei muss es nicht gleich um wild entsorgte Sofas gehen: „In einem frisch gesaugten Flugzeug krümelt man doch weniger, als wenn es eh schon verdreckt war.“ Stefan Jacobs

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