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Glückliche Zeiten: Apotheker Ernst Isidor Levy mit seinen Kindern Werner und Ursula in Berlin-Moabit, 1927. 

© M. Schumacher / Govi Verlag Eschborn, Fotograf unbekannt

Brücke der Verständigung : Wie die Spende eines jüdischen Apothekersohns bis heute nachwirkt

Seit den 1970er Jahren fördert die Levy-Stiftung an der Freien Universität den deutsch-israelischen Wissenschafts- und Studierendenaustausch. Wer war ihr Stifter?

Von Melanie Hansen

Die Diana-Apotheke in der Moabiter Turmstraße existierte bereits seit 1885, als der jüdische Apotheker Ernst Isidor Levy sie 1907 übernahm. Das Geschäft lief gut. Bis die Nationalsozialisten ab 1936 schrittweise damit begannen, ihm sein Lebenswerk zu entreißen. Wurde er zunächst gezwungen, die Apotheke zu verpachten, musste er sie 1939 verkaufen: Jüdischen Deutschen war das Recht entzogen worden, eigene Geschäfte zu führen. Bereits im August 1938 war Ernst Isidor Levy gemeinsam mit seiner Frau nach Schottland emigriert. Was hat das mit der Freien Universität zu tun? Viel mehr, als man zunächst vermuten würde. Und definitiv mehr, als Hans-Martin Meis erwartet hatte, als er vor etwa drei Jahren auf Dokumente der Levy-Stiftung stieß.

Von dieser Stiftung hatte Meis, der zu dieser Zeit als Referent in der Abteilung Internationales der Freien Universität tätig war, zuvor noch nie gehört. „Ich bin davon ausgegangen, dass hinter der Stiftung eine Institution in Israel stehen würde“, sagt er. Doch das war nicht der Fall – im Internet fand Hans-Martin Meis keinerlei Informationen zu der Stiftung. „Und dann fing ich an, die Sache richtig interessant zu finden“, erzählt Hans-Martin Meis weiter.

An der Universität fragte er Expertinnen und Experten – doch niemand kannte den Hintergrund der Levy-Stiftung. Schließlich fand Hans-Martin Meis in Ansgar Koch einen Mitstreiter für die Recherche. Als Studiengangskoordinator am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft bemühte er sich bereits aktiv darum, die Mittel der Levy-Stiftung für den Aufenthalt israelischer Austauschstudierender am Institut einsetzen zu können. 

Im Archiv der Freien Universität stießen die beiden auf erste interne Dokumente. Diese zeigten, dass hinter der Stiftung keine Institution stand, sondern der Stiftungsakt einer Person: Dr. Werner Levy. Wer war dieser Mann? Und warum spendete er im Jahr 1965 der Freien Universität 30.000 D-Mark zur Unterstützung der deutsch-israelischen Hochschulkooperationen? Mit der Beantwortung dieser Fragen verbrachten Ansgar Koch und Hans-Martin Meis viele Stunden ihrer Freizeit.

Werner Levy hatte sich 1965 in einem Brief an den damaligen Rektor der Freien Universität gewandt: „Aus den Mitteln, die ich durch die meinem verstorbenen Vater zugeflossene Wiedergutmachung erhalten habe, möchte ich gern eine Summe zur Verfügung stellen, um einen jährlichen Preis von etwa DM 1000,- für Studenten auszuschreiben.“

Ursprünglich wollte er das Geld als Gewinn für einen studentischen Essay-Wettbewerb verwenden. Diese Idee ließ sich jedoch nicht umsetzen. „Die Universität konnte ihn davon überzeugen, das Geld lieber dafür einzusetzen, die Bande mit israelischen Partnern zu stärken, etwa mit der kurz zuvor gegründeten Universität in Tel Aviv“, sagt Ansgar Koch.Mit der Zeit erfuhren Hans-Martin Meis und Ansgar Koch immer mehr über die Familien- und Lebensgeschichte des Stifters Werner Levy. Ihre Recherche führte sie virtuell vom Universitätsarchiv in Lankwitz nach Schottland, nach Neuseeland, in die USA und nach England. Sie recherchierten in Museen, Archiven und Zeitungen.

„Oft wussten wir nicht mehr so recht, wie wir weiter vorgehen sollten“, sagt Ansgar Koch. Aber dann ergab sich doch ein Zufall nach dem anderen, und sie machten weiter. Mit jeder neuen Information wurde der Mensch Werner Levy für sie erfahrbarer. „Das war für mich persönlich besonders berührend“, sagt Hans-Martin Meis. 

Werner Levy, geboren am 6. Mai 1916 in Berlin, war der Sohn von Ernst Isidor Levy, jenem jüdischen Apotheker, der 1938 mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten nach England geflohen war. Mindestens zwei Schwestern von Ernst wurden im Holocaust ermordet. Werner Levy hatte ab 1934 in Glasgow Medizin studiert und war später Arzt in London. Er war ledig und kinderlos. Das Geld, das er der Freien Universität spendete, stammte aus Wiedergutmachungszahlungen, die sein Vater vom Land Berlin erhalten hatte: als Entschädigung für das entzogene umfangreiche Apotheken-Warenlager und konfiszierten Schmuck, der einst Ernst Isidor Levys Frau Betty gehört hatte. Der Betrag wurde in Wertpapieren angelegt und beläuft sich nun auf knapp 70.000 Euro, deren Zinseinnahmen bis heute als Stipendien für den Austausch zwischen israelischen und Berliner Studierenden eingesetzt werden.  

Der 20. Dezember 2022 ist ein besonderer Tag für Ansgar Koch und Hans-Martin Meis. An diesem Tag sind sie mit einem Verwandten des Stifters zu einem Videotelefonat verabredet: Peter Neville ist der Neffe von Werner Levy und lebt in der Nähe von London. „Peter Neville ist ein ganz aufgeschlossener und sehr netter Mensch und er hat uns viel über den Charakter seines Onkels verraten“, sagt Hans-Martin Meis. Werner Levy sei warmherzig und sozial engagiert gewesen – aber auch kauzig und sehr speziell. „In seiner Praxis hatte er keine Angestellten, weil er der Meinung war, dass zwischen Arzt und Patient nichts stehen dürfe“, erzählt Hans-Martin Meis. Auch Peter Neville erfuhr Neues über seinen am 5. April 2006 verstorbenen Onkel: „Die Familie hat von der Stiftung überhaupt nichts gewusst. “

Eine Frage bleibt aber noch ungeklärt: Warum spendete sein Onkel das Geld ausgerechnet der Freien Universität Berlin? „Wir können nur mutmaßen, dass es vielleicht seine Art der Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte gewesen ist“, meint Hans-Martin Meis. „Vielleicht war es der Versuch, die Verbindung zu seiner Heimatstadt Berlin aufrechtzuerhalten“, ergänzt Ansgar Koch. Eine Verbindung, die anhält. Bis heute unterstützt das Geld der Levy-Stiftung, das einst aus der Wiedergutmachung von NS-Unrecht stammte, israelische Studierende dabei, die Freie Universität Berlin zu besuchen.

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