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Servicepersonal wird derzeit fast überall gesucht.

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„Die Gastronomie muss total umdenken“: Geringe Löhne, fehlende Wertschätzung und schlecht planbare Arbeitszeiten

Seit Beginn der Pandemie haben 300.000 Mitarbeiter:innen der Branche diese verlassen. Wohin sind sie verschwunden und warum?

„Mitarbeiter gesucht“ oder „Wegen Personalmangel geschlossen“– eines von beiden ist gerade an nahezu jedem Restaurant, jedem Hotel, jeder Bar zu lesen. Allerorten gekürzte Öffnungszeiten, geschrumpfte Speisekarten, erschöpfte Mitarbeiter:innen.

Personal für die Gastronomie zu finden wird immer schwerer, rund 300.000 Beschäftigte haben die Branche während der Corona-Krise verlassen, die wenigsten von ihnen sind zurückgekehrt. Woran liegt es? Das wollte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) genauer wissen und hat im Zeitraum von Mai bis August Arbeitnehmer:innen des Gastgewerbes dazu befragt. Mehr als 4000 Beschäftigte haben an der Umfrage teilgenommen. Vor allem Menschen mit langer Berufserfahrung von zehn Jahren und mehr hätten sich beteiligt, sagte der Vorsitzende der NGG Guido Zeitler. Die Ergebnisse hat die NGG am Dienstag in Berlin vorgestellt.

Sie sind größtenteils ernüchternd. Lässt man die Zahlen sprechen, so ist der regelmäßige Restaurantbesuch in Zukunft keinesfalls gesichert: Nur ein Drittel der Befragten kann sich vorstellen, langfristig in der Branche zu bleiben. Als als belastend, führten 3177 von ihnen Personalmangel an, 2382 nannten Zeitdruck und Stress, 1521 kurzfristige Änderungen der Arbeitszeiten und 1415 lange Arbeitstage und Überstunden. Mehrfachnennungen waren möglich.

Vor allem Leute aus der Hotellerie kommen eigentlich fast überall unter – und werden auch fast überall besser bezahlt.

Guido Zeitler, Vorsitzender der Gewerkschaft NGG

Während der Pandemie seien die Schwachstellen des Systems besonders deutlich geworden, sagt Zeitler. „Über 80 Prozent der befragten Beschäftigten waren aufgrund von Corona in den vergangenen zwei Jahren in Kurzarbeit. Für einige dürfte das auch einen Aha-Effekt herbeigeführt haben, zu sehen, dass das Leben nicht nur aus Schichtarbeit besteht.“ Er ist sich sicher, dass in der Branche mit einer noch viel größeren Abwanderung gerechnet werden müsse, wenn nicht dagegen gesteuert würde.

300.000
Mitarbeiter haben die Branche verlassen.

Gastronomiefachkräften stünden viele Türen offen, sagt Zeitler. Während der Corona-Pandemie seien sie vor allem in den Einzelhandel gegangen, in die Ernährungsindustrie und die Logistik. Auch Arztpraxen, Anwaltskanzleien und Empfänge von Unternehmen seien ein beliebtes Betätigungsfeld. „Vor allem Leute aus der Hotellerie kommen eigentlich fast überall unter – und werden auch fast überall besser bezahlt.“

Nur ein Drittel der Befragten will bleiben

Es seien nicht mehr nur Hilfskräfte, die die Branche verließen, bestätigt Sebastian Riesner, der NGG- Geschäftsführer in Berlin-Brandenburg, inzwischen fehle es überall an Fachkräften bis hin zur mittleren Management-Ebene. „Mit ist ein Fall bekannt, wo unlängst eine ganze Küchenbrigade hier in Berlin gekündigt hat, weil sie nach 20 Jahren die Schnauze voll hatten. Einige haben auf Busfahrer bei der BVG umgeschult.“

Als Gründe für ein etwaiges Ausscheiden aus der Branche nannten 80 Prozent der Personen, die möglicherweise gehen wollen, zu wenig Geld. 70 Prozent fühlen sich nicht genug wertgeschätzt, 57 Prozent empfinden die psychische Belastung als zu hoch, ebenfalls 57 Prozent bemängeln, dass ihr Job nicht mit ihrem Privatleben und einer Familie vereinbar sei.

Bezeichnend ist auch, dass sich immer weniger junge Menschen für eine Ausbildung in der Gastrobranche entscheiden: Während 2007 noch mehr als 100.000 Schulabgänger:innen eine Ausbildung in diesem Bereich begannen, waren es 2021 nur noch etwas mehr als 43.000.

Die Gastronomie müsse total umdenken, heißt es in den Kommentarspalten der Umfrage. Die Branche sei ein Synonym für Ausbeutung. Dass die Arbeitsbedingungen im Luxussegment besser seien, sei ein weit verbreitetes Klischee, meint Oliver Riek, der viele Jahre als Restaurant-Fachmann in der Luxusgastronomie gearbeitet hat.

„Das Gegenteil ist der Fall, je mehr Sterne, desto schlechter die Bedingungen.“ Sachgrundlose Befristungen seien die Regel, mit dem mitunter höheren Trinkgeld rechtfertigten die Arbeitgeber niedrigere Löhne. „In kaum einer Branche wird so getrickst wie im Gastgewerbe, etwa durch in den Bruttolohn inkludierte Überstunden, da kratzt man dann am Mindestlohn, selbst wenn die Bezahlung eigentlich übertariflich ist.“

Derzeit liegt der Bruttolohn bei 2330 Euro

Wenn die Branche so weitermache, drehe sich die Abwärtsspirale aus fehlender Wertschätzung, entgrenzten Arbeitszeiten und Beschäftigtenflucht immer weiter, sagt Zeitler. „Politische Strategien reichen nicht, wenn sich in den Betrieben nichts ändert.“ Er selbst habe bereits während seiner Ausbildung vor vielen Jahren die Ausbildungsbedingungen im Restaurantfach kritisiert. „Getan hat sich seitdem nicht viel. Das ist sehr unbefriedigend, vor allem für mich als Gewerkschafter.

Was gedenkt die Politik zu tun? „Wir stehen solidarisch an der Seite der Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe“, erklärt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD Dagmar Schmidt auf Anfrage des Tagesspiegels.

„Mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro haben wir für viele Menschen im Gast- und Hotelgewerbe die Entlohnung spürbar verbessert. Gerade diejenigen, die einen Minijob haben oder in Teilzeit arbeiten, profitieren hiervon.“ Ein wirkungsvolles Mittel den Beruf attraktiver zu gestalten sei eine höhere Tarifbindung, die verbindlich gute Arbeitsbedingungen vorschreibe.“

Wenn Unternehmen auf so infame Weise das wirtschaftliche Risiko auf die Beschäftigten abwälzen, ist es kein Wunder, wenn diese sich beruflich umorientieren.

Susanne Ferschl, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag.

Die Tarifflucht ist in der Tat ein Problem: Während die Bezahlung der Branche nach Tarif bundesweit im Jahr 2010 noch bei 37 Prozent lag, ist sie bis 2018 auf nur noch 23 Prozent gesunken, in Berlin liegt sie sogar nur noch bei zehn Prozent.

Das Hotel- und Gastgewerbe sei ein Paradebeispiel dafür, dass der Fachkräftemangel hausgemacht ist, heißt es aus der Bundestagsfraktion der Linken. „Belastende Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und vielfach Arbeiten ohne soziale Absicherung auf Minijob-Basis mit den bekannten Folgen während der Corona-Krise.

Wenn Unternehmen auf so infame Weise das wirtschaftliche Risiko auf die Beschäftigten abwälzen, ist es kein Wunder, wenn diese sich beruflich umorientieren“, sagt die Stellvertretende Fraktionsvorsitzende Susanne Ferschl dem Tagesspiegel.  

Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass das Gastgewerbe eben die Instrumente nutze, die die Regierung zur Verfügung stelle. Die beschlossene Ausweitung der Minijobs und auch Überlegungen das Arbeitszeitgesetz zu flexibilisieren, seien keine probaten Mittel, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sondern Brandbeschleuniger für diesen. Ähnlicher Ansicht ist auch Guido Zeitler.

„Das Instrument des Minijobs, das vor allem Frauen in fatale Situationen ohne Absicherung bringt, gehört abgeschafft, die Löhne rauf.“ Derzeit liegt der Bruttolohn im Bund in der Gastronomie bei 2338,38 Cent. „3000 Euro, das muss für Fachkräfte in Zukunft das Minimum sein“, fordert Zeitler.

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