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Zweimal pro Stunde ist auf dem Bahnhof ein bisschen was los. Wenn Pendler-Züge halten.

© Kai Müller / Tagesspiegel

Die Station meines Lebens eben außerhalb Berlins: Gleise Richtung Nirgendwo

Wie ich zum Pendler wurde und warum Ankommen in Potsdam-Rehbrücke schöner ist als Abfahren.

Besuch bekommen wir selten, zu weit draußen für Berliner. Wenn doch, gilt mein Angebot: Ich hole euch vom Bahnhof ab. Für mich ist er der „Bahnhof des Todes“. Nicht, weil es dort wirklich schon Tote gegeben haben soll, sondern weil mich menschenleere Bahnsteige und Gleise Richtung Nirgendwo an die schrille Melodie der Mundharmonika aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ erinnern.

Dabei ist der Bahnhof Rehbrücke sogar ein Knotenpunkt. Von hier aus führt eine Straßenbahn ins Zentrum von Potsdam und eine Regionalbahn ins Zentrum von Berlin. Fahrtzeit jeweils 20 Minuten. So weit draußen wohnen wir gar nicht. Es gibt Busse, die von hier aus noch weiter rausfahren. Züge halten zweimal in der Stunde. Manchmal rumpeln Güterzüge durch die Nacht. Was fehlt, ist der Ort, der sich im Wald versteckt.

Seinen Namen verdankt der Bahnhof übrigens dem Umstand, dass er genau auf der Grenze zwischen Potsdam und Rehbrücke liegt. Aber Rehbrücke ist größer geschrieben, was absolut korrekt ist

© Kai Müller / Tagesspiegel

Tatsächlich verdankt sich Rehbrücke diesen Gleisen. Die Villen-Kolonie entstand, als die Berliner Ende des 19. Jahrhunderts zu Wohlstand gelangten und sich Grundstücke kauften entlang der strahlenförmig ins preußische Umland spreizenden Bahntrassen. Nachdem 1897 der Bahnhof Rehbrücke gebaut war, wurde die Siedlung für großstadtmüde Berliner noch interessanter.

Seither hat es weitere Stadtfluchtperioden gegeben, was zu bestimmten Tageszeiten dazu führt, dass Auftrieb ist am Bahnhof durch das Rein-Raus von Pendlern und Pendlerinnen oder von Schülerinnen und Schülern. Der Spuk ist schnell vorbei, wenn sie sich auf Autos, Fahrräder oder Waldwege verteilt haben. Es ist dasselbe Spiel wie in anderen Vorstädten dieser Welt. Manchmal bin ich dabei und wünschte, ich wäre es nicht.

Mir gefällt das Ankommen besser als das Abfahren. Es ist mit einer Ruhe verbunden, die ich seit meiner Dorfkindheit mehr vermisst habe, als ich zugegeben hätte, ehe wir aus Kreuzberg ins Umland zogen. Die Stadt war ein Theater, das aus der Loge unserer Wohnung beachtliche Dramen zu bieten hatte, faszinierend und erschöpfend. Diese Unruhe ist aus unserem Leben verschwunden. Die größte Attraktion sind Flugzeuge am Himmel und ausgestorbene Straßen in der Dunkelheit.

Neulich waren wir auf einem Dorffest, das uns langweilte. Also beschlossen wir, uns am Bahnhof Rehbrücke eine Performance anzusehen. In dem kahlen Raum einer renovierten Werkhalle stieß eine koreanische Künstlerin spitze Schreie aus. Wozu braucht es Berlin, dachte ich, wenn es so etwas jetzt auch hier draußen gibt?

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