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Susan Neiman, amerikanische Philosophin und Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums.

© imago/Jürgen Heinrich

Die Verunsicherung im Kulturbetrieb wächst: Droht ein „philosemitischer McCarthyismus“?

Die Philosophin Susan Neiman warnt vor einer Verschärfung der BDS-Resolution des Bundestages. Antisemitismus würde dies nicht verhindern, sondern nur Gesinnungsschnüffelei befördern.

Ein Kommentar von Nicola Kuhn

Während im Bundestag die Fraktionen der Ampelkoalition einen Entschließungsantrag zur Debatte „Historische Verantwortung übernehmen – Jüdisches Leben in Deutschland schützen“ vorbereiten, warnt die jüdische Philosophin Susan Neiman, Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums, in einem Interview mit dem Kunstmagazin Monopol vehement davor. Der Antrag knüpft an die bestehende BDS-Resolution an, der die Boykottkampagne BDS als antisemitisch einstuft und Kulturinstitutionen davon abzuhalten sucht, Unterstützer etwa zu Veranstaltungen einzuladen.

Neiman verweist darauf, dass eine verstärkte Resolution Antisemitismus keinesfalls verhindern würde, sondern vielmehr einen Backlash auslösen würden. Die Folgen wären für das Kulturleben in Deutschland verheerend. Schon jetzt würden deutsche Stiftungen von geförderten Kulturinitiativen aus dem Ausland gebeten, dass man ihren Namen von der Website nähme, da sie Problemen fürchteten. Neiman betont außerdem, dass sowohl der Wissenschaftsdienst des Deutschen Bundestages als auch diverse Gerichte bereits die erste BDS-Resolution für nicht verfassungskonform erklärt hätten.

Wie groß die Verunsicherung im Kulturbetrieb bereits ist, lässt sich an der Absage des Saarlandmuseums an die in Berlin lebende jüdische Künstlerin Candice Breitz ablesen, die 2024 eine Ausstellung zum Thema Prostitution in Südafrika bekommen sollte. Die Ausladung kam auf Grundlage medialer Berichterstattung über eine von Breitz organisierte Demonstration vor der Akademie der Künste zustande, bei der sie sich kontrovers zur Hamas geäußert haben soll.

Die Demonstration richtete sich wiederum gegen die Absage einer von ihr und dem US-Historiker Michael Rothberg organisierte Akademie-Tagung durch die Bundeszentrale für Politische Bildung, bei der es unter anderem um die Einordnung des Holocaust und anderer Genozide gegangen wäre.

Auch bei den Antisemitismus-Vorwürfen gegen den indischen Kurator Ranjit Hoskoté, der daraufhin die Documenta-Findungskommission verließ und damit das gesamte Gremium zum Rücktritt animierte, dämmert inzwischen die Erkenntnis, dass es sich um ein voreilig getroffenes Urteil gehandelt haben könnte.

In der aufgeheizten Stimmung meldet sich nun auch der PEN Berlin zu Wort. Dessen Sprecherin Eva Menasse erklärte, dass der Ansatz von BDS zwar falsch und mit den Werten des PEN nicht vereinbar sei, aber nicht gegen seine Anhänger verwendet werden dürfe. Hintergrund ist die Aussetzung des Bochumer Peter-Weiss-Preises an die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo, die ein entsprechendes Statement unterschrieben hatte.

Susan Neiman warnt in ihrem Interview vor einem „philosemitischen McCarthyismus“. Das klingt stark übertrieben. Doch in der aufgeheizten Stimmung sollten Absagen und Ausladungen sehr gut überlegt sein.

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