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Fabian Wolff

© Jüdische Allgemeine/Marco Limberg

Der Jude, der keiner war: Fabian Wolff verstrickt sich in Widersprüche

Der Autor Fabian Wolff galt in Deutschland als junge jüdische Stimme, die harte Kritik an Israel übt. Nun machte er öffentlich: Er ist gar nicht jüdisch. Doch der Fall wirft noch weitere Fragen auf.

Zum Beispiel der jährliche Al-Quds-Marsch. Ins Leben gerufen auf Befehl von Ayatollah Chomeini, sein unverhohlenes Ziel ist die Auslöschung des jüdischen Staats. Teilnehmer bekennen sich zur Terrororganisation Hisbollah, es gab schon Sprechchöre wie „Zionisten ins Gas“ oder „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“. Antisemitismusbeauftragte, die Jüdische Gemeinde und Teile der Zivilgesellschaft fordern immer wieder ein Verbot dieser Hetzparade.  

Nicht so Fabian Wolff, der junge jüdische Autor. Wer beim Al-Quds-Marsch mitlaufe, zeige bloß „friedliche Palästinasolidarität“. Und Menschen, die dies anders sähen, sollten besser schweigen. Schließlich seien diese – im Gegensatz zu ihm – nicht jüdisch. Daher gehe sie das Ganze nichts an: „You have no stake in this so take a fucking seat.“

Seine Stimme hatte besonderes Gewicht

Als jüdische Stimme, die nicht nur Israel kritisierte, sondern auch immer wieder den Zentralrat der Juden in Deutschland sowie jüdische Gemeinden, der gleichzeitig Partei für die Israel-Boykotteure vom BDS ergriff und eine Künstlerinitiative gegen Antisemitismus als „schlecht organisierte Clownparade“ verspottete, war Fabian Wolff in der deutschen Medienöffentlichkeit begehrt. Er durfte das alles sagen. Und weil ein Jude es sagte, hatte es besonderes Gewicht.

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Diese Woche veröffentlichte derselbe Fabian Wolff nun einen Text, in dem er erklärte, dass er doch nicht jüdisch sei. Das wisse er allerdings erst seit einigen Monaten. Nicht er selbst habe sich sein Jüdischsein ausgedacht. Seine Mutter habe ihn angelogen.

Diese Geschichte ist schrecklich und tragisch, sollte sie stimmen. Der Autor verdient Mitgefühl und Respekt für den Versuch einer Richtigstellung. Das Problem ist allerdings, dass Wolff in seinem sehr langen Essay zwar ausführlich eigene Befindlichkeiten beschreibt und sein Verhältnis zur Mutter ausbreitet, jedoch kein Wort darüber verliert, was er mit seinen provokanten politischen Äußerungen angerichtet hat. Wie er unter falschen Voraussetzungen auf den Diskurs einwirkte. Dass er eben kein deutscher Jude ist, der – warum auch immer – um Verständnis für den Al-Quds-Marsch wirbt. Sondern dass Fabian Wolff ein nichtjüdischer Deutscher ist, der den Quds-Marsch als Ausdruck „friedlicher Palästinasolidarität“ verharmlost. Ein sehr bedeutender Unterschied.

Ein ungeheuerlicher Vorwurf

Viele Menschen hatten schon länger massive Zweifel an seiner Identität. Die „Jüdische Allgemeine“ schreibt: „Zu viel wirkte konstruiert, nicht plausibel; auf Nachfragen reagierte er dünnhäutig und ausweichend.“ Doch die Zweifler zögerten, ihren Verdacht öffentlich zu machen. Denn was ist das bitte für ein ungeheuerlicher Vorwurf: einem jüdischen Publizisten zu unterstellen, dass er in Wahrheit gar nicht Jude ist. Zudem bestand die Sorge, Wolff könnte sich im Fall einer Aufdeckung etwas antun. So wie 2019 die Bloggerin Marie Sophie Hingst. Nachdem öffentlich wurde, dass sie sich ihre komplette jüdische Familiengeschichte ausgedacht hatte, nahm sich Hingst das Leben. Also blieb Fabian Wolffs Geheimnis gewahrt.

Wo sich der Autor zum Thema äußerte, hob er hervor, dass er dies „als Jude“ tue. Wenn er etwa die gängige Antisemitismusdefinition ablehnte, weil sie zu vielen Menschen Antisemitismus unterstelle. Oder wenn er BDS-Aktivisten in Schutz nahm und den Bundestagsbeschluss gegen den BDS ablehnte. Oder wenn er den Rapper Haftbefehl gegen Antisemitismusvorwürfe verteidigte, die Amadeu-Antonio-Stiftung angriff, einem jüdischen Autorenkollegen „platte Farce im deutsch-jüdischen Gedächtnistheater“ unterstellte oder aber behauptete, dass manche Juden über nichts anderes als ihre eigene Diskriminierung und Marginalisierung als Jüdinnen“ sprächen: Immer tat er dies explizit als Jude. Dafür gab es in Deutschland Applaus.

Kam Fabian Wolff einem Outing zuvor?

Der Autor Tom Uhlig schreibt, Wolff habe „jahrelang aus vermeintlich jüdischer Perspektive Stimmung gegen Antisemitismuskritiker*innen gemacht“ und sei damit „dem sehr deutschen Bedürfnis nach Antisemitismusverharmlosung“ nachgekommen. Er habe diesen Sprechort bewusst gewählt „genau wie zahlreiche Aufschneider und Scharlatane vor ihm“. Die „Jüdische Allgemeine“ schreibt: „Er wurde gefeiert – und er ließ sich nur allzu gerne feiern.“ Und schließlich „Spiegel“-Autor Felix Dachsel: „Natürlich muss sich Fabian Wolff hinterfragen. Noch mehr hinterfragen sollten sich allerdings Deutsche, die jeden noch so wackeligen Kronzeugen hofieren, wenn er nur irgendwie gegen Israel argumentiert.“

Ob Wolff seine wahre Identität diese Woche gänzlich freiwillig öffentlich machte oder einem Outing zuvorkam, ist bislang unklar. In seinem Essay beschreibt er jedenfalls, wie er überhaupt erst dazu kam, zu glauben, er sei jüdisch. Kurz vor seinem Schulabschluss, nach seiner letzten Abiturklausur, habe er durch Zufall von seiner jüdischen Abstammung erfahren. Nach einer Folge der Sitcom „Curb Your Enthusiasm“ des jüdischen Komikers Larry David habe er den Impuls verspürt, seine Mutter zu fragen: „Mama, sind wir eigentlich jüdisch?“ Ihre Antwort sei gewesen: „Na ja, nicht wirklich, aber du weißt ja das mit deiner Großmutter.“ Diese habe nämlich jüdische Vorfahren gehabt.

Er verstrickt sich in Widersprüche

Fabian Wolff ging fortan davon aus, dass er eigentlich jüdisch sei. Er schreibt: „Auf einmal schien alles Mögliche Sinn zu ergeben. Ich wusste einfach, was es bedeutet, jüdisch zu sein ...“ Er unternahm auch lange keine Anstrengungen, herauszufinden, ob die Erzählung seiner Mutter stimmte. Er nahm sie dankbar hin.

Einiges spricht dafür, dass die neue Geschichte, die Wolff jetzt präsentiert, auch nicht die reine Wahrheit sein könnte. Denn er hat sich in Widersprüche verstrickt. Auf Twitter hatte er Ende 2021 etwa behauptet: „Ich kenne dieses Argument natürlich, bin mit diesem ,bad for the Jews/nicht vor den goyim’ auch aufgewachsen.“ Nun will er von seiner jüdischen Abstammung erst nach der letzten Abiklausur erfahren haben. Welche Version ist gelogen?

Man würde ihn gern zu diesen Widersprüchen befragen und auch dazu, wie er seine damaligen politischen Aussagen im Kontext seiner wahren Identität einordnet. Warum er ausgerechnet zu diesem Punkt schweigt. Doch Fabian Wolff reagiert nicht auf Interviewanfragen, hat stattdessen eine automatische Antwort eingerichtet: „Hallo! Ich bin bis zum 27. Juli komplett offline und lese keine E-Mails.“ Es kann ein Zufall sein.

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