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870.000 halbe Hendl gingen beim letzten Oktoberfest über den Tresen.

© Karl-Josef Hildenbrand/picture alliance / dpa

Corona, Krieg, Gasmangel: Am Samstag beginnt das Oktoberfest – mit vielen Fragezeichen

In München heißt es am Wochenende „O’zapft is“. Und das ohne jede Einschränkung. Die Meinungen darüber gehen auseinander.

| Update:

Das gibt es erstmals seit drei Jahren: Am Sonnabend wird Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) auf der Theresienwiese um 12 Uhr das erste Fass anzapfen, vermutlich mit zwei lässigen Schlägen, eine Maß Bier einschenken und ausrufen: „O’zapft is, auf eine friedliche Wiesn 2022.“

Nach den Corona-bedingten Absagen 2020 und 2021 ist dann wieder Oktoberfest, die Mutter aller Feste. Diese 187. Wiesn steht unter einem merkwürdigen Stern – mit der schwelenden Coronakrise, dem Krieg in der Ukraine, Gas- und Strommangel.

Dass sie stattfindet, sei „ein gutes Signal gerade auch in schwerer Zeit“, meinte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schon im Mai bei der Pro-Entscheidung der Stadt. Das Fest stehe für „Lebensfreude und Weltoffenheit“. Gefeiert werden dürfte aber auch mit einem gewissen Titanic-Gefühl.

Wollen die Leute es krachen lassen oder bleiben sie zu Hause?

Über nichts wird in München mehr spekuliert als über die Frage, wie diese Wiesn wohl wird: Gibt es in den 17 Tagen weniger Besucher als die sonst üblichen 5,7 bis 6,7 Millionen? Oder gar mehr, weil es die Leute jetzt richtig krachen lassen wollen? Und was macht Corona? Die Stadt hatte rechtlich keine andere Wahl, als das Fest ganz und ohne jede Einschränkungen abzuhalten oder gar nicht.

Es war diskutiert worden über Impfnachweise an den Eingängen oder verpflichtende Schnelltests – doch nichts davon wäre durchsetzbar gewesen. So appellierte Oberbürgermeister Reiter an die Eigenverantwortung der Besucher und ließ durchblicken, dass er sich dieses Jahr nicht oft auf der Theresienwiese tummeln wird.

Sein Vorgänger Christian Ude (SPD) teilte mit, dass er und seine Frau gar nicht gehen werden. Aufgrund ihres Alters (74 und 83 Jahre) gehörten sie zur „Hochrisikogruppe“.

Gerade bei den ganzen Problemen wollen die Leute mal abgelenkt werden.

Christian Schottenhamel, Wirt

Christian Schottenhamel indes blickt optimistisch auf die Wiesn-Tage. „Gerade bei den ganzen Problemen wollen die Leute mal abgelenkt werden“, sagt der Wirt des gleichnamigen Fest-Großzeltes und Vorstand des Münchner Gastro-Verbandes Dehoga. In den vergangenen Tagen würden die Reservierungen in den Zelten rasant an Fahrt aufnehmen.

Auch die Buchungen in den Hotels seien „sehr positiv“. Viele US-Amerikaner würden kommen, für die Deutschland aufgrund des Wechselkurses mittlerweile ein „Billig-Reiseland“ sei. Ein Blick ins Übernachtungsportal booking.com in dieser Woche zeigt aber auch: Es gibt noch genügend freie Hotelzimmer in München.

Für das mittlere Wochenende von 23. bis 25. September etwa, das so genannte Italiener-Wochenende, finden sich Doppelzimmer für 190 bis 220 Euro pro Nacht – in Wiesn-Zeiten vor Corona wären das absolute Schnäppchen gewesen.

Ob das Oktoberfest 2022 ein Superspreader-Event wird kann niemand sagen.
Ob das Oktoberfest 2022 ein Superspreader-Event wird kann niemand sagen.

© dpa/Sven Hoppe

Beim Personal sieht der Gastronom Schottenhamel das Fest gut aufgestellt. Bis vor einigen Wochen noch sei es schwer gewesen, Bedienungen, Schankkellner oder Spülkräfte zu rekrutieren. „Doch jetzt haben wir die Mitarbeiter, und wir haben auch einen Puffer eingebaut.“ Die Corona-Gefahr sei beherrschbar, meint der Festwirt – auch in den Großzelten, wo jeweils bis zu 10 000 Menschen eng an eng sitzen oder stehen, essen, trinken, singen und sich in den Armen liegen.

Schottenhamel verweist auf die vorangegangen bayerischen Volksfeste in Straubing und Rosenheim – das Gäuboden- und das Herbstfest. „Dort gab es keine Superspreader-Geschehnisse“, so der Gastronom. Die Krankenhäuser waren tatsächlich nicht überlastet, allerdings stiegen die Inzidenzen in beiden Orten nach den Festen drastisch an, Straubing lag mit dem Wert 737 plötzlich bundesweit an der Spitze.

Der Energieverbrauch ist kein Thema

Auch der hohe Energieverbrauch des Fests in Zeiten des Mangels wollen die Stadt und die Gastronomen nicht als Kritikpunkt gelten lassen. Laut Wiesn-Pressestelle verbrauche das Oktoberfest vier Gigawattstunden Strom und zwei an Gas. Dies seien nur 0,6 und 0,1 Promille des jeweiligen Gesamtverbrauchs der Stadt pro Jahr.

Christian Schottenhamel hat ein praktisches Beispiel: In einem modernen Grill einer Großküche ließen sich 150 Hendl mit der Energie braten, die vier Privathaushalte für je zwei Hendl im Backofen benötigten.

Wenn die Leute Layla wollen, dann bekommen sie es auch.

Christian Schottenhamel, Wirt

Und was ist mit dem viel diskutierten und auch deshalb so populär gewordenen Lied über die Puffmama Layla – „sie ist schöner, junger, geiler“? „Ich fand das etwas deppert“, meint Christian Schottenhamel. Jeder Wirt könne selbst entscheiden, was gespielt wird. „Und wenn die Leute Layla wollen, dann bekommen sie es auch.“

Wolfgang Köbele wird mit seiner Band „Münchner Zwietracht“ nach 25 Oktoberfesten diesmal nicht auf der Wiesn und im Marstall-Zelt sein. Er hat sich entschieden, in dieser Zeit kleinere Volksfeste zu bespielen, von Berlin über Braunschweig bis in die Schweiz. „Diese Wiesn wackelt hinten und vorne“, sagt er. „Jeder wird mit einem schlechten Gewissen hingehen.“

Diese Wiesn passt nicht zur Zeit.

Wolfgang Köbele, Musiker der Band „Münchner Zwietracht“

Würden sich bei einem kleineren Konzert mit 2000 Besuchern 20 infizieren, fiele das nicht groß auf. Bei 600.000 an Wiesn-Spitzentagen seien das aber 6000. „Und das jeden Tag neu. Das passt alles nicht, diese Wiesn passt nicht zur Zeit.“ Und auf das Puffmama-Lied verzichtet die Zwietracht auch: „Layla geht unter meine musikalische Gürtellinie.“

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