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Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt empört sich auf seinem Youtube-Kanal über die Regierung.

© Tsp

Ex-„Bild“-Chef legt sich mit Bahn an: Warum sich Julian Reichelt über die Häme seiner Gegner freut

Der Youtube-Moderator blamiert sich beim Streit mit einer Schaffnerin. Das erzeugt Schadenfreude bei Kritikern. Doch Reichelt und seine Agenda profitieren davon.

Ein Kommentar von Hannes Soltau

Angehende Journalist:innen lernen in ihrer Ausbildung, dass sie die Öffentlichkeit mit gesellschaftlich relevanten Informationen versorgen. Doch ist es relevant, wenn ein 42-jähriger Mann sich mit dem Zugpersonal anlegt, weil er bei der Ticketkontrolle keinen Personalausweis vorzeigt?

Offensichtlich bedeutsam genug, dass derzeit viele Medien die Geschichte aufgreifen, die der „Spiegel“ am Wochenende veröffentlichte. Denn bei dem Mann handelt es sich um Julian Reichelt. Der Ex-„Bild“-Chef war 2021 vom Axel-Springer-Verlag wegen Vorwürfen des Machtmissbrauchs und der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen vor die Tür gesetzt worden.

In der Vergangenheit hat Reichelt die Deutsche Bahn gerne als „Trümmerhaufen der Nation“ und „Schande für unser Land“ bezeichnet. Folglich frohlocken Nutzer in sozialen Netzwerke nun vor Häme.

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Die Geschichte, die gleich drei „Spiegel“-Redakteure im süffisanten Tonfall aufschrieben, dürfte also in erster Linie das Bedürfnis nach Schadenfreude bedienen. Und vermutlich freut sich Julian Reichelt über diese Aufmerksamkeit mehr, als es seinen Kritikern recht sein dürfte.

Reicheltisierung der öffentlichen Debatte

Kritikwürdig ist das Verhalten des Ex-„Bild“-Chefs allemal. Nicht nur wegen seines mutmaßlich herabwürdigenden Verhaltens gegenüber Frauen. Heute moderiert er mit „Achtung, Reichelt“ ein Format auf Youtube, das regelmäßig auf reichweitenstarken Kanälen von rechten Verschwörungsideologen landet. 320.000 Abonnenten hat er so bereits gewonnen.

Die Folgen tragen reißerische Titel wie „Grüne Energiewende: Tausende Tote, weil die Heizkosten so hoch sind“, „Frauen werden für diese Trans-Politik mit ihrem Leben bezahlen“ oder „Massenselbstmord für Senioren? Die Linken haben einen Todes-Kult!“.

Darin verbreitet er als Prophet des Untergangs rechtspopulistische Schauermärchen, die von AfD-Sympathisanten in den Kommentarspalten bejubelt werden. Hier gäbe es inhaltlich viel entgegenzusetzen und verdrehte Fakten zu entlarven. Doch stattdessen ist eine schleichende Reicheltisierung der öffentlichen Debatte zu beobachten.

Der Ex-„Bild“-Chef peitscht nur allzu gerne Emotionen hoch und gießt Häme über politische Andersdenkende aus. Der Politikwissenschaftler Markus Linden beobachtet bei „Achtung, Reichelt“ zu Recht einen „radikalen Krawall-Journalismus“ und „kalkuliertes Empörungsgehabe“.

Personalisierung nützt ausschließlich Populisten. Durch die breitgetretene, aber vollkommen irrelevante Bahnaffäre bedienen Medien und Öffentlichkeit das Opfernarrativ von Julian Reichelt unnötig. Er mag seine Feindbilder auf unerträgliche Weise pflegen. Doch seine Kritiker:innen müssen sich daran messen lassen, ob sie es ihm gleichtun.

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