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Kräuter an die Macht: Fassbrause-Herstellung bei „Heidenpeters“. 

© Carla Ulrich

Lass uns einen trinken gehen: Fröhlich ohne Promille

Von der Weinmesse zum Getränkemarkt: Bei „Prosit!“ in der Markthalle Neun kann man kosten, was heute getrunken wird – immer öfter alkoholfrei.

Woran denken wir, wenn wir uns verabreden, um noch einen trinken zu gehen? An einen Negroni, eine Flasche Nebbiolo oder Nichtalkoholisches? Dass unser Sozialleben automatisch von Promille getrieben wird, gilt nicht mehr als ausgemacht. Der Anteil derer, die nur ausgewählt oder gar nicht mehr trinken, nimmt ständig zu. Auch die Gastronomie macht sich Gedanken, was es bedeutet, einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes mit Alkoholika zu erzielen.

Einen Überblick über den Stand des Trink-Diskurses bietet die Markthalle Neun an diesem Sonntag. Unter dem Motto „Prosit!“ wird zum „guten Getränkemarkt“ geladen. Bei der Premiere im vergangenen Jahr hatte man sich noch traditionell als „Weinmarkt“ angekündigt, bei dem die Händler der Stadt die Erzeugnisse ihrer Winzer zur Probe ausschenkten: vergorenen Traubensaft, laut Gesetz das einzige Getränk, das sich „Wein“ nennen darf.

Neue Wege, alte Methoden

Was sich hinter „Proxies“ verbirgt, die in aufwändig gestalteten Weinflaschen auf den Markt kommen, ist nicht geregelt. „Wir meinen damit eigenständige, komplexe Getränke, die geschmacklich ganz neue Wege gehen und Spaß machen, ohne dabei etwas sein zu wollen, was sie nicht sind: Wein“, sagt Jennifer Kießling von „The mindful drinking Club“, die „Prosit!“ co-kuratiert hat. Alternativen ohne Alkohol sollen nicht nur so vielschichtig wie Wein sein, sie wollen auch emotional an seine Stelle treten, Verkostung aus teuren Gläsern inklusive.

Eine Methode hat sich dabei als wenig ansprechend erwiesen: Fertigem Wein Alkohol technisch wieder zu entziehen, führt zu einem schmalen Geschmacksbild, einem „kastrierten Produkt“, wie Holger Schwarz von „Viniculture“ meint. Stattdessen hat der Naturweinhändler früh auf Getränke gesetzt, die Fermentationstechniken mit Auszügen von Tees, Kräutern oder gar Hölzern vereinen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Proxies der Berliner Kombucha-Künstler von „Bouche“: Rauchiger Oolong-Tee trifft auf destillierte Feigenblätter und einen Hauch Meersalz oder Quitte auf Walnussblätter und Eichenholz.

Pionier ohne Promille

Skandinavische Produzenten sind stark vertreten im wachsenden Proxy-Segment, inspiriert von einer Küche, die sich auf regionale Zutaten konzentriert. Wie alkoholfreie Getränkebegleitungen zu einem verlängerten Arm des Küchenchefs werden können, zeigt das Restaurant „Horváth“. Was die Sommeliers ins Glas geben, wird zusammen mit Sebastian Frank entwickelt – zwei Sterne, die man trinken kann, ohne Sterne zu sehen. Eine derart enge Verzahnung zwischen Küche und Bar findet man in der Weinwelt selten.

Zwei Sterne, nüchtern betrachtet: alkoholfreie Getränkebegleitung im Restaurant „Horváth“.

© Kaiserhappen

Und dann ist da noch der Aspekt von Sucht und Gesundheit. Während weder Bier noch Wein als „bekömmlich“ beworben werden dürfen, gehen einige Hersteller von Pflanzenextrakten in die Offensive: „Ada“ aus der Schweiz traut seinen Drinks aus Säften, Teeauszügen und Wermutkraut zu, für „euphorische und entspannte Genussmomente“ zu sorgen. Versprechen, die wir unterschwellig mit Alkohol verbinden.

In der Markthalle Neun duftet es derweil nach Rosmarin, Basilikum, Pfefferminze und Ingwer. Brauer Johannes Heidenpeter und seine Auszubildende Lisa Scholz extrahieren Aromen für ihre Fassbrause. Zusammen mit Apfelsaft, Wasser, Brauwürze und Kohlensäure entsteht so die moderne Interpretation eines traditionellen Getränks ohne. Der Apotheker Ludwig Scholvien erfand die Fassbrause Anfang des 20. Jahrhunderts, um seinen Sohn darüber hinwegzutrösten, dass er noch zu jung für Bier war. Um etwas über Genuss ohne Promille zu lernen, ist man nie zu alt.

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