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Korrigiertes Wohnungsgesuch in Berlin.

© imago

Erzählen Sie uns Ihre Geschichte: Gesucht – 2-Zimmer, Küche, Wahnsinn

Wenn SPD-General Kevin Kühnert keine Wohnung findet, wie soll es dann normalen Leuten gehen? Wir suchen die schlimmsten Geschichten des Berliner Mietmarktes.

Klingt fast zu schön, um wahr zu sein, denkt Lina Ewald, als sie die Wohnungsanzeige liest: Da vermietet doch tatsächlich jemand ein WG-Zimmer in der angesagten Weserstraße in Berlin-Neukölln für 100 Euro die Woche.

Was für ein Schnäppchen! Der geflieste Raum habe eine tolle Akustik, es dürfe geraucht werden und der Weg zur Toilette sei kurz. Eine Matratze müsse man bitte selbst mitbringen, Gäste seien immer willkommen.

Außer zwischen 6.30 und 8.00 Uhr - dann müsse man wegen der Morgentoilette der Mitbewohner:innen auf das Sofa ins Wohnzimmer umziehen, könne dort aber mit dem dreibeinigem WG-Hund spielen. Lina Ewald, die eigentlich anders heißt, wird stutzig. Es dauert einen Moment, bis sie versteht: Es geht um ein Badezimmer, dass da vermietet wird.

Ein schlechter Scherz? Auf keinen Fall, man sei sich bewusst, dass es seltsam klinge, aber fest entschlossen, bei der angespannten Mietsituation in Berlin zu helfen, heißt es weiter in der Anzeige.

[Wohnungssuche auf ungewöhnlichem Wege: Wie Sie in Berlin an eine Wohnung kommen, ohne bei Immoscout und Co. zu suchen]

Lieber ein seltsames Angebot als gar keins, denkt sich auch Lina Ewald, die eigentlich anders heißt. Aber selbst in ihrer Notlage erscheint ihr die Aussicht, in einer Toilette zu leben, doch zu abwegig.

Sie muss ausziehen, denn in ihrer Wohnung hält sie es nicht mehr aus. Jeden Morgen um 7 Uhr beginnt das Rumpeln und Getrampel über ihrem Kopf. Sogar am Wochenende. Einmal klopft sie bei ihren Nachbarn an der Tür: Es stellt sich heraus, dass die vierköpfige Familie, die über ihr wohnt, sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung teilt, weshalb sie die Betten der Kinder morgens ab- und abends wieder aufbauen müssen.

26 Quadratmeter für 950 Euro Kaltmiete

Lina Ewald ist freie Regisseurin und lebt in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Neukölln. Wie schwer wird das schon sein, eine andere Bleibe zu finden, denkt sie noch zu Beginn der Suche. Ein oder zwei Zimmer würden schon reichen.

Auch die Lage ist kein Muss. Falls nötig, könnte sie auch in Britz oder Köpenick glücklich werden. Bei einem Portal für Immobilienangebote schließt sie eine Premium-Mitgliedschaft für 29,99 Euro im Monat ab.

Künftig sollen ihre Nachrichten ganz oben im Postfach der Anbieter:innen landen. So das Versprechen. Zudem locken exklusive Angebote - und ein Algorithmus, der mithilfe ihrer Daten vorab berechnet, wie gut ihre Chancen für die jeweilige Immobilie stehen. Sie sind unterirdisch, jedes Mal.

Bei einem Objekt, für das sie sich interessiert, haben bereits 6687 Personen angefragt. Also lieber doch die möblierten 26 Quadratmeter für 950 Euro Kaltmiete? Oder 66,7 Quadratmeter für 1920 Euro?

Dann die erste Antwort: „Liebe Frau Ewald., wir wissen nicht, ob Sie schon etwas gefunden haben. Aber bei einer Immobilie, für die Sie sich interessiert haben, hat sich der Preis geändert.“ Von der großen Nachfrage überrascht, hat der Vermieter kurzerhand 223 Euro draufgeschlagen.

Jeden Tag investiert die Regisseurin eine Stunde für die Suche. Sie findet ein Durchgangszimmer zu einer Küche. Ein Hochbett in einem WG-Flur. Und das Angebot im Badezimmer. Nach neun Monaten kündigt sie frustriert ihr Konto bei der Plattform.

Über 100 Anfragen hatte sie da verschickt, drei magere Einladungen zu Besichtigungen erhalten und keine einzige Zusage. Heute lebt Lina Ewald mit ihrer Freundin in einer 1,5-Zimmer-Wohnung. Die Vermieterin war großzügig. Sie verlangte für den Zuschlag nur 500 Euro unter der Hand.

Sie haben die Massenbesichtigung überlebt, den Schlüssel schon fast in der Hand – nur um dann doch von jemandem ausgestochen zu werden, der die olle Ikea-Küche des Vormieters für 6.000 Euro übernimmt? Sie sind nach 25 Jahren aus Ihrer Wohnung geflogen und zahlen jetzt für ein Zimmer weniger das Fünffache? Und welcher bekloppte Makler hat sich eigentlich diese Index-Mieten ausgedacht? Fest steht: Die Wohnungssuche in Berlin ist zeitaufwändig wie ein Vollzeitjob und anstrengend wie zwei Kleinkinder mit Magen-Darm-Infekt. Der einzige Trost: Sie sind nicht allein. Schreiben Sie uns ihre Geschichte an story@tagesspiegel.de.

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