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Für die Mobile Scouts ist ihr Smartphone ein treuer Begleiter für viele Aufgaben des täglichen Lebens geworden.

© dpa

Zu PAPIER gebracht: Das Leben ist ein Elektroschock

Seit Erfindung des Smartphones fällt es vielen Menschen schwer, Wartezeiten ohne Blick auf das Handy zu ertragen. Mitunter helfen nur drastische Maßnahmen.

Vor ein paar Wochen stand ich am Bochumer Hauptbahnhof und wusste nicht, wohin mit mir. Ich musste etwas Zeit totschlagen, bis der nächste Zug kam. Der Bahnhof in Bochum ist kein Ort, der zum Verweilen einlädt. Also ging ich hinaus auf den Vorplatz. Dort war es nicht viel besser, aber ich konnte wenigstens rauchen. Direkt neben dem Aschenbecher standen drei Männer und schauten auf ihre Smartphones. Die Annahme, dass es in Raucherecken immer besonders nett sei, muss aus einer Zeit vor dem mobilen Internet stammen. Ich gesellte mich dazu, zündete mir eine an und kramte mein Handy aus der Tasche. Ich schaute bei Facebook rein. Aktualisierte immer wieder meinen Twitteraccount. 25 Mal in acht Minuten, dann hatte ich aufgeraucht. Was ich auf meinem Handy gesehen hatte, interessierte mich kaum. Aber ich war beschäftigt, irgendwie.

Wir haben verlernt, einfach nur bei uns zu sein

Für den amerikanischen Stand-up-Comedian Louis C.K. ist der penetrante Griff zum Handy ein Zeichen dafür, dass wir verlernt haben, bei uns selbst zu sein. „Being a person“ nennt er es. Die Fähigkeit also, einfach nur dazusitzen, nichts zu tun, nachzudenken. Stattdessen greifen wir zum Handy. In den USA ist gerade eine wissenschaftliche Studie dazu veröffentlicht worden. Probanden wurden in einen Raum geführt und sollten nichts tun. Kaum einer hielt es länger als sechs Minuten aus. Die Alternative war, sich selbst Elektroschocks zu versetzen. Tatsächlich wählten die Probanden die Selbstverletzung. So waren sie zumindest beschäftigt, irgendwie. Das ist paradox. Gerade in einer Zeit, in der sich ein Großteil der Bevölkerung ständig beschwert, über die Maßen gestresst zu seien, mehr Auszeiten zu wollen. In einer Zeit, in der an der 40-Stunden-Woche geruckelt wird, in der Magazine wie „Landlust“ das entschleunigte Leben propagieren – und damit eine Riesenauflage erzielen. In dieser Zeit wählen die Leute Stromstöße statt Besinnung. Oder greifen zum Handy.

Wir alle machen das, so Louis C.K., weil wir Angst haben, alleine zu sein. Soziale Netzwerke, SMS und Whatsapp suggerieren uns, dass dort draußen immer einer ist. Ich habe mir jetzt vorgenommen, nicht immer gleich mein Handy in die Hand zu nehmen, wenn es offensichtlich nichts zu tun gibt. Vor einem kalten Entzug habe ich jedoch Angst. Deswegen habe ich mir jetzt einen Elektroschocker besorgt.

Als ich aus Bochum wieder in Berlin ankam, musste ich auf die S-Bahn warten. Links und rechts von mir leuchtende Displays und gesenkte Köpfe. Der Albtraum für einen, der an seinem Entzug arbeitet. Rechts in der Hosentasche war mein Handy. Ich aber griff in meine linke Hosentasche, drückte den Knopf auf meinem SDG-Elektroschocker und war unter Strom. Über das Leben als solches habe ich mir tatsächlich kurz Gedanken nachgedacht. Es kam mir plötzlich so elend vor.

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