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Die dunklen Wolken über dem Rundfunk Berlin-Brandenburg wollen sich noch nicht verziehen.

© dpa

Ein Sender, eine Krise und eine mögliche Lösung: Der RBB allein zu Haus

Wer den ARD-Sender aus der Misere führen kann: die Programm-Macher und eine Persönlichkeit aus der Kreativwirtschaft an der Spitze. Eine Position.

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg könnte auch zum Opfer des digitalen Medienhypes werden. Kaum ein Tag, an dem nicht neue Posten auf das Schuldenkonto der entlassenen Intendantin Schlesinger gebucht werden. Die Unschuldsvermutung gilt auch in diesem Fall relativ, denn die Krise des Senders hat ein Gesicht, das so permanent und oft erscheint, dass es zum Steckbrief taugt. Und als klassischer Fall einer self-fulfilling prophecy lässt sich der wie tief auch immer verlaufende Fall des angeschlagenen Senders bestens nutzen. Viele haben es immer schon gewusst und holen ihre Stehsätze aus den vergangenen Jahren der Systemkritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus der Schublade mit dem Tenor: wie wenig flexibel die Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – schon im Begriff ist das beharrend Behördliche angelegt – auf die neuen Zeiten eingestellt sind; wie sehr sie sich im geschützten Raum des Kulturauftrags und bestens alimentiert vom Bürger als Gebührenzahler in ihrer „Blase“ bewegen, quasi selbst versorgen und dabei anfällig werden für Fehlkalkulationen und persönliche Fehlgriffe.

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Für deren Verfolgung gibt es zwar ausreichend Rechtsmittel und Untersuchungsinstrumente, deren „Mühlen“ aber langsam arbeiten und damit die scheinbaren Erwartungen der permanent erregten Zeit nicht sofort bedienen. Als da sind die aktuelle Fortschreibung der Rundfunkgesetze wie jetzt in Berlin und Brandenburg, die Positionierung des „alten“ Rundfunks im digitalen Netzwerk oder der Streit um die Höhe der Rundfunkgebühren – nicht zuletzt die öffentliche Meinung.

In die Reihe der Besserwisser will ich mich nicht einreihen, ich habe es immer gehasst, wenn Altvordere Ratschläge für eine Zeit erteilten, die sie schließlich mit verursacht haben.

Aber aus der Distanz wage ich zwei Feststellungen und wenige Anregungen, weil es zum Wohle aller Stakeholder am öffentlichen Rundfunk unabdingbar scheint, aus dem Modus „die totale Krise“ und dem Narrativ „das System ist fast erledigt“ – oder kalauernd: „heute stehen wir am Abgrund, morgen sind wir einen Schritt weiter“ – herauszukommen. Eine kritische Betrachtung könnte dazu dienen, zu überlegen, was jetzt zu tun wäre. Das schließt bittere Einschätzungen und gewagte Thesen nicht aus, soweit sie als Wegweiser nutzen können.

Gesamte Geschäftsleitung zur Disposition?

Meine erste Feststellung lässt sich doppelt verstehen: Der RBB ist allein zu Haus. Ob und wie weit seine gesamte Geschäftsleitung wie oft wohlfeil gefordert zur Disposition steht, ist aber jetzt im Einzelnen und schon gar nicht aus der Distanz zu bewerten. Manche Schieflage ist indes auszumachen. Das jetzt ausgesetzte Bonussystem des RBB gehört nicht in einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und kommt mir deshalb absurd vor, weil es sicher auch dazu dient, Führungskräfte dafür zu belohnen, dass sie anderen im Rahmen etwa von Sparzielen etwas wegnehmen.

Weitgehend alleingelassen ist der RBB von seinen Treuhändern und von der Solidargemeinschaft ARD. Bezüglich des Wirkens der Treuhänder im Auftrag der Rundfunkteilnehmer, von Rundfunk- und Verwaltungsrat ist die Aussage der zurückgetretenen Vorsitzenden des Rundfunkrats bekannt, wonach sie dem Sinn nach aufgrund ihrer Tätigkeit als Ehrenamt im natürlich hochprofessionellen Rundfunkbetrieb überfordert sei. Ich halte das für eine billige Ausrede, die den Respekt vor einer kompetenten, konstruktiven ehrenamtlichen Tätigkeit vermissen lässt und sich als schlichtes Organisationsversagen entpuppt. Natürlich muss es bei aller Notwendigkeit, arbeitsteilig zu verfahren, eine Kontrolle geben wie das simple Vieraugenprinzip, auch um zu vermeiden, dass ein Alleinverwalter nicht auf einem Auge erblindet. Auswärtiges Fachwissen, Gutachter sind auch von Aufsichtsgremien kostengerecht „einzukaufen“.

Armseliger Vertrauensentzug

Der demonstrative Vertrauensentzug der Intendanten der ARD gegenüber der Geschäftsleitung des RBB wirkt armselig. Einer Solidargemeinschaft, für die sich die ARD doch weithin hält, ist er unwürdig, juristisch im Ergebnis von durchschlagender Wirkungslosigkeit, vor allem aber kurzsichtig: Der Versuch, eine Brandmauer zu errichten, den „Laden“ ARD vor dem RBB sauber zu halten, provoziert geradezu die Suche nach Brandnestern an anderer Stelle im System. Erste Ergebnisse sind zu besichtigen.

Der RBB also allein zu Haus. Das kann zur Selbstbesinnung führen bei denen, die nicht bereit sind, im Jammertal der Krise der Anstalt zu versinken, sich gar der Verzweiflung hinzugeben, die ich angesichts der immer noch herrschenden positiven Einstellung zur Bedeutung einer unabhängigen Information für unsinnig halte. Gerade das von außen besehen ziemlich umfassende Leitungsvakuum im RBB setzt den Blick auf die Menschen frei, die jetzt zum Handeln aufgerufen sind – welche die auch zu Zeiten von Corona abgedroschene Weisheit beherzigen: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“

Taskforce aus der Mitte heraus

Die Programmmacher selbst sollten das Programmheft in die Hand nehmen, nicht nur daran arbeiten, wie Transparenz und Mitbestimmung im RBB gesichert werden, sondern eine Taskforce „aus der Mitte“ ihrer Arbeit bilden für Programmfragen und Perspektiven: etwa die Gefahr bedenken, dass das dritte Fernsehprogramm in der Publikumsgunst weiter stagniert, vielleicht, weil der RBB mit seiner Gründung als Medien-Pilotprojekt für eine gescheiterte Länderfusion herhalten musste, im Fernsehen also zusammengeführt wurde, was der unterschiedlichen Mentalität, den Themen zwischen Brandenburg und Berlin gar nicht entspricht, also nicht zusammengehört. Aus einer solchen „These“ ließen sich Schlüsse für die Gestaltung ziehen.

Oder als weiteres herausgegriffenes Reizthema: Die Planung eines Medienhauses ist, so liest man, da die Kalkulation aus dem Ruder gelaufen ist, gestoppt. Bevor diese im Prinzip verfolgenswerte Planung im Orkus der Abschreibungen verschwindet. Warum sollten nicht die potenziellen Insassen einer digitalen Architektur vor derer realistischen Planung die existenzielle Schlüsselfrage des Rundfunks für die Programm des RBB stellen: ob es ausreicht, in der Zukunft nach immer neuen Ausspielwegen zu suchen – jetzt im Internet; ob Rundfunk nicht untergeht, weil keine Sendung mehr angesagt wird, sondern Produkte gefragt sind, und wo denn in dieser Vernetzung eine Alleinstellung des Rundfunks wieder so errungen werden kann, dass sich die Finanzierung durch Gebühren legitimiert.

Aufbruch begleiten

Der Treuhänder, die Rundfunkgremien müssen diesen Aufbruch begleiten und nicht nach der schnellen Befriedung einer Krise suchen. Sie müssen selbst den Weg finden von einer Rundfunk- zur Netzpolitik und herausfinden, wo der Platz für eine unabhängige Landesrundfunkanstalt ist. Sie müssen eine Intendantin, einen Intendanten dafür finden. Die bekannt gewordenen Kriterien und damit verbundene Spekulationen zur Person sind nicht ermutigend. Warum ein Interimsintendant zur Überbrückung, zur Befriedung – das klingt nach „Verweser“.

Ebenso naheliegend in der Not, aber doch bequem ist die Zuweisung: nun aber aus dem Osten, womöglich aus Brandenburg. Die, der Beste muss es sein, soll nicht die Intendantenfindung als neue Form von Standortpolitik erscheinen. Und jeder, der früher mit dem RBB zu tun hatte, die Zeit davor bei ORB und SFB mitgestaltet hat, läuft als Intendant auch interimistisch Gefahr, sich selbst, seinen Entscheidungen wiederzubegegnen, zu gebunden, zu wenig offen zu sein. Das betrifft auch die Qualifizierung, soll sie aus der ARD kommen. Sie erfüllt nicht von vornherein den Herausforderung für den abenteuerlichen Job.

Persönlichkeit aus der Kreativwirtschaft

Der Radarschirm für die Suche nach einer neuen Intendantin/Intendant sollte ganz breit gefächert werden für eine Persönlichkeit, die vorzugsweise aus der Kreativwirtschaft kommt. Film, Oper/Theater, Verlage, Stiftungen, breit aufgestellte Medienunternehmen pflegen in den meisten Fällen eine lebendige Beziehung zum Rundfunk. Der Intendant muss kompetent managen, die Unternehmung RBB von den Fehlern ihrer Vergangenheit sorgsam trennen, offen für die Zukunft sein und die Freiheit meinen, die der unabhängige Journalismus braucht. Er muss den fremden Blick auf einen Apparat mitbringen. Und die Aufsichtsgremien, das hat schon die Idee des Interimsintendanten gezeigt, müssen und können den Arbeitsvertrag flexibel nach Möglichkeit und Notwendigkeit gestalten.

Sind diese Gedanken zu verwegen, ja abwegig? Sie markieren eine Richtung und bedenken, dass die Medienzeit keinen langen Verzug und halbherzige Zwischenlösungen duldet, der Rundfunk auch ohne RBB-Krise seine Zukunft sucht.

Persönlich getroffen

Eine persönliche Bemerkung zum Schluss: Ich war seit fast 30 Jahren an dem Vorhaben beteiligt, das Russland von Glasnost und Perestroika im Wissenschaftsbereich für einen unabhängigen Rundfunk zu gewinnen. Erst da ist mir bewusst worden, was ich lange für selbstverständlich hielt: wie kostbar der unabhängige Rundfunk ist und wie verletzlich, vielleicht sogar gefährdet im Zeitalter von Twitter und Fake News. In Russland ist unser Vorhaben jetzt abgeschaltet. Die Krise des RBB hat mich persönlich getroffen.

Jens Wendland arbeitete von 1993 bis 2002 als Hörfunkdirektor des Senders Freies Berlin.

Jens Wendland

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