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Ab jetzt gemeinsam. Zara (Alina Sokhna, links) und Olja (Valeriia Berezovska) feiern mit ihren Mitbewohnern die Hochzeit von Olja mit Petja.

© dpa / Nataliia Khalan/ZDF

Kurzfilme von der Flucht : Fünf von 40 Millionen

Die Anthologie-Serie „Himmel & Erde“ erzählt ukrainische Geschichten aus dem deutschen Exil.

Die ukrainischen Schwestern Nika (Oleksandra Barstok) und Jaroslava (Maria Shtofa) sind von einem freundlichen Paar in Berlin aufgenommen worden. Nika fühlt sich wohl, erzählt am Tisch Anekdoten von der Flucht. Für sie ist es auch kein Problem, wenn ihr Gastgeber den offenen Brief gegen Waffenlieferungen an die Ukraine zur Sprache bringt.

Jaroslava dagegen fasst bald den Entschluss, in die Heimat zurückzukehren. „Ich will mit den Leuten und diesem Ort nichts zu tun haben“, sagt sie. Die Schwestern streiten, es fliegen die Fetzen, sie trennen sich – und finden doch wieder zueinander. Aber wohin ihre Reise geht, bleibt in dem Kurzfilm „I’m out of here“ offen.

Gut eine Million Menschen aus der Ukraine wurden in Deutschland bisher von den Behörden als Geflüchtete registriert. Wie leben sie im Exil? Was sind ihre Sorgen, Hoffnungen, Wünsche? Wie setzen sich Ukrainer:innen, die schon länger in Deutschland leben, mit dem Krieg auseinander?

Die fünf eigenständigen Kurzfilme der Anthologie-Serie „Himmel & Erde“ (ZDFneo) erzählen davon, erdacht und gestaltet von Ukrainerinnen und Ukrainern, alle entstanden nach dem Angriff der russischen Armee auf ihr Heimatland. Der Krieg bleibt im Hintergrund, ist aber immer präsent. Bemerkenswert auch, dass auf Pathos weitgehend verzichtet wird, auch wenn der Serientitel auf die ukrainische Flagge verweist, deren Farben Blau und Gelb eben für den Himmel und die Erde stehen.

Die Tonlage ist eher leise, nachdenklich, manchmal sogar voller Humor wie in „Die Nächsten, bitte“: Da bemühen sich die zehnjährige Vika (Anna Cheban) und ihre Oma (Nina Nizheradze) auf dem Sozialamt um finanzielle Hilfe. Vikas Eltern sind in der Ukraine geblieben, um das bei einem Bombenangriff zerstörte Haus wieder aufzubauen. Mit selbst gebackenen Keksen will die Großmutter nun den deutschen Amtsschimmel wohlgesonnen stimmen – und trifft auf Sachbearbeiterin Sabine (Anna Böger), die mit den Gedanken schon im Urlaub ist.

Wie Deutschland den Geflüchteten begegnet, ist auch ein Aspekt der Auftaktfolge „Olja und Petja“. Eine WG hat Olja (Valeriia Berezovska) aufgenommen. Die Ukrainerin sorgt sich um ihren in der Heimat gebliebenen Freund Petja (Artur Aliiev), mit dem sie bei ausführlichen Videotelefonaten Kontakt hält. In den auf Englisch geführten Gesprächen am WG-Tisch herrscht eine Mischung aus Fürsorge und Neugier, freundlichem Interesse und gegenseitiger Befangenheit.

Ein Spieleabend soll das Kennenlernen beschleunigen, sogar Petja, der mal wieder Olja anruft, wird eingeladen mitzumachen. Bei dem Spiel müssen reihum Fragen beantwortet werden. Auf der Karte für Petja, der in einer zum Schutzraum umfunktionierten Shisha-Bar hockt, steht: „Wenn du nur noch einen Tag zu leben hättest, was würdest du tun?“

Die Beteiligten haben ihre persönlichen Geschichten

Nestor (Rostyslav Bome) wiederum ist drauf und dran, seine zweite Heimat Berlin zu verlassen. „Ich kann hier nicht wie ein Feigling rumhocken“, sagt er in „Warnsignale“ zu seiner Freundin Antje (Birte Schnöink). In einem Armee-Shop will er eine Schutzweste kaufen, wobei die Sache leicht tragikomische Züge annimmt, denn der ruppige Verkäufer Tom (Heiko Pinkowski) hat als ehemaliger Bundeswehrsoldat leise Zweifel an Nestors Wehrtauglichkeit. Die letzte Schutzweste überlässt Nestor dann lieber doch einer Frau, die um die Sicherheit ihres 19-jährigen Sohnes fürchtet, der in der Ukraine kämpft. Dann findet sich in der Weste eine Botschaft.

Auch die Beteiligten haben alle ihre persönlichen, besonderen Geschichten. Nestor-Darsteller Rostyslav Bome zum Beispiel lebt seit seinem 16. Lebensjahr in Deutschland und wurde an der Kölner Theater-Akademie zum Schauspieler ausgebildet. Mit dem 2013 auf dem Maidan aufgenommenen Song „Hymne der Revolution“ war er zugleich ein Gesicht des gesellschaftlichen Wandels in der Ukraine.

Kate Molchanova spielt in der letzten Episode „Sonnenblumen im Februar“ die Rolle der ukrainischen Tierärztin Lisa, deren „erstes echtes Treffen“ mit ihrer deutschen Online-Freundin, der Fotografin Andrea (Thea Rasche), wegen des Kriegsbeginns in Kiew nicht zustande kommt. Lisa flüchtet nach Berlin und wartet fortan allein in Andreas Fotostudio auf den Frieden, während die Fotografin in der Berichterstattung über den Krieg zunehmend den Sinn fürs Leben findet. Molchanova dachte auf ihrer Flucht darüber nach, selbst einen Film zu drehen.

Es sollte ein Film über ihre fünfjährige Tochter werden, mit einer starken Geschichte, „wie so ein Road-Movie“, sagt sie im ZDF-Interview. „Und dann habe ich verstanden, dass es 40 Millionen dieser Geschichten gibt.“ „Himmel & Erde“, ZDFneo, Dienstag, 20 Uhr 15; bis 5. Oktober 2023 in der ZDF-Mediathek

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