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Insekten haben bei Leader Lost mehr Chancen als Bösewichter.

© dpa / Foto: Mariella Koch

„Lost in Fuseta“ in der ARD: Culture-Clash an der Algarve

Das Risiko hat sich gelohnt: Die Verfilmung des ersten „Fuseta“-Krimis von Ribeiro ist geglückt

Schon im Anfang des ARD-Zweiteilers „Lost in Fuseta“ zeigt sich der erste Humorzipfel. Da heißt es, das Drehbuch stamme von Holger Karsten Schmidt nach einem Drehbuch von Gil Ribeiro. Die Fuseta-Gemeinde wird auflachen, vielleicht lässt sich ein Gutteil der Zuschauerinnen und Zuschauer hinter die Tanne führen: Schmidt ist Ribeiro, längst gibt es fünf Fuseta-Krimis aus seiner Feder, einer erfolgreicher als der andere.

Gelingt die Roman-Verfilmung?

Die Fuseta-Jünger wird eine andere Frage umso heftiger plagen: Gelingt in der ARD-Degeto-Verfilmung der Transfer der Buch-Magie ins Fernsehen? Schmidt-Ribeiro hat ja mit den Kriminalfällen an Portugals Algarve-Küste einen Kosmos erschaffen, der seinesgleichen sucht. Kommissar Leander Lost (Jan Krauter) wird im Rahmen eines Europol-Austauschprogramms von Hamburg nach Fuseta geschickt. Lost wirkt tatsächlich ein „Verlorener“, jedenfalls in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Als Asperger-Autist kann er den Gesichtsausdruck seines Gegenübers nur mühsam entschlüsseln. Ironie versteht er keine, er nimmt alles wörtlich und ist unfähig zu lügen.

Das lässt ihn, den „Alemao“, wegen eines Geheimnisverrats, den er unabsichtlich begeht, zunächst zum ungeliebten Außenseiter bei seinen neuen Kolleginnen und Kollegen werden. Auf der anderen Seite verfügt er über ein fotografisches Gedächtnis und eine messerscharfe Kombinationsgabe, was den Waisen im schwarz-weißen Anzug-Outfit zu einem rasch geschätzten Mitglied des Fahndungsteams macht, das durch den Mord an einem Privatdetektiv einem Wirtschaftsskandal auf die Schliche kommt.

Seine Kollegen, das sind die selbstbewusste Graciana Rosado (Eva Meckbach) und der lässige Carlos Esteves (Daniel Christensen), im Weiteren der eitle Miguel Duarte (Anton Weil), der sich für den größten Polizisten auf Gottes Erdboden hält, und Polizeichef Raul Da Silva (Adriano Carvalho). Sie alle erkennen und anerkennen Leanders spezielles Verhalten erst, als Gracianas Schwester Soraia (Filipa Areosa) den Asperger-Autismus entdeckt.

Losts Syndrom wird dabei nicht verharmlost, es gibt sehr eindrückliche Szenen, wenn seine Welt buchstäblich aus den Fugen gerät, sobald die sieben „Wächter“, die er in seinem Zimmer verteilt, nicht mehr akkurat auf ihren Plätzen stehen. Ansonsten bewegt sich Leander Lost mit großem, logisch getöntem Stoizismus selbst durch lebensbedrohliche Situationen. Also schießt er seinem Kollegen Carlos, dem ein Bösewicht ein Messer an den Hals hält, ins Bein, um freies Schussfeld zu bekommen. Und natürlich muss ein Polizist lügen, wenn er einen Verdächtigen in angeblicher Sicherheit wiegen will.

Der Asperger-Autist Leander Lost (Jan Kauter) löst einiges an Verwirrung aus.

© ARD Degeto / Foto: Mariella Koch

Lost aber kann das nicht, aber ein ständiger „Wahrheitssprecher“ (und deutscher Besserwisser) bringt Menschen und Umwelt schnell in peinliche Situationen. Der deutsch-portugiesische Culture-Clash ist für das Publikum ein stetes Amüsement. Und deutet sich ein romantisches Techtelmechtel zwischen Soraia und Leander an? Dass es in der ersten Verfilmung des Fuseta-Romans nur angedeutet wird, ist ein klarer Hinweis darauf, dass ARD-Degeto und Schmidt-Ribeiro mit einer Fortsetzung rechnen.

Holger Karsten Schmidt, vielbeschäftigt, vielbepreist, hat sich einen Stand erarbeitet. Er kann bei der ARD-Degeto durchsetzen, dass sein Ribeiro-Erstling nicht in 90 Minuten abgespult wird, sondern in zweimal 90 Minuten ausgebreitet. Bei seinem Dreiteiler „Die Toten von Marnow“ hat er mehr als nur nachgewiesen, dass er seine Zeit nicht vergeuden will. Das Personal, der Fall, insbesondere der Schauplatz können sich entfalten. Da hat der Schmidt sowieso ein Händchen, siehe nur die Harz-Reihe „Harter Brocken“ oder „Nord bei Nordwest“-Filme, wo sich Typen, Landschaften und Stoffe zu geschmeidigen Einheiten fügen.

Schwindelerregende Kamerafahrten

Also tobt sich Kameramann Michael Grabowski („Lomo“, „Stasikomödie“) aus: schwindelerregende Kameraflüge, Action an der Staumauer, Alptraum-Effekte, vielfältige Perspektiven von Land und Leute, Armut. Luxus, Abendstimmungen wie aus dem Prospekt – und wenn Polizistin Graciana aufs Gaspedal drückt, dann drehen die Reifen sehr fotogen durch. Und der Rezensent kann bezeugen, dass nicht wenige Szenen im Original-Ort Fuseta gedreht wurden. „Lost in Fuseta“ will breit, üppig, prall unterhalten.

Autor Schmidt-Ribeiro, Kameramann Grabowski und Regisseur Florian Baymeyer nutzen die klassische Geschichte von Gut gegen Böse, der menschenfreundlichen Familie Rosada gegen den skrupellosen Profitjäger eines internationalen Konzerns, des besonderen Leander Lost gegen den besonders bösen Bösewichts Abel Peres (José Fidalgo) – aber all das läuft trotz mancher Übertreibung und Figuren-Verzerrung in kein Platitüden-Theater vor portugiesischer Kulisse. Nein, „Lost in Fuseta“ feiert Originale und Außenseiter wie Lost und Zara (Bianca Nawrath), bindet eine zwar konventionelle, aber an den Kipppunkten überraschende Krimi-Handlung an einen Schauplatz, der bildstarkes Augenfutter bietet.

Die immerhin 180 Minuten sind kein Zeitvertreib, keine Zeitvergeudung. Weil die Figuren interessieren und wie Leander Lost faszinieren. Jan Krauter spielt ihn mit Buster-Keaton-Gesicht, mehr minimalistisch als outriert. Und weil auch das übrige Ensemble die Guten wie die Bösen angemessen ins Geschehen integriert, bekommt die Roman-Verfilmung erfreulich Eigenes wie Spezielles.

Mehr „Fuseta“-Krimis wären ein klarer Gewinn für die ARD – und für das Publikum.

„Lost in Fuseta“, ARD, Samstag, 20 Uhr 15 und 21 Uhr 45 und in der ARD-Mediathek.

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