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Nicht zimperlich: Elias (Peter Franzén) setzt seine Geisel Anne (Laura Malmivaara) unter Druck.

© NDR/Fisher King Oy/Kimmo Korhone

TV-Serie „Helsinki-Syndrom“: Desperado im Raubtierkapitalismus

Eine achtteilige deutsch-finnische Thrillerserie macht ein Geisel- zum Gesellschaftsdrama.

Die Vergangenheit, bessere Zeiten? Weil Menschen bekanntlich zur nostalgischen Verklärung neigen, wirkt das Jahr 1992, als mit der Mauer auch alle Zukunftsangst gefallen schien, noch friedvoller als die gewaltlose Revolution zuvor. Bill Clinton wird gewählt, die UN-Klimakonvention verabschiedet, der EU-Vertrag unterzeichnet – von heute aus gesehen herrscht Friede, Freude, Eierkuchen überall. Wäre da nicht die lästige Realität.

Denn direkt nach Francis Fukuyamas postideologischem „Ende der Geschichte“ brennen deutsche Asyleinrichtungen und auf dem Balkan ganze Staaten, Italiens Mafia vernichtet reihenweise Gegner und finnische Spekulanten das Geld kleiner Anleger. Gut, dürften der Zyniker denken: eine Wirtschafts- und Finanzkrise für 5,5 Millionen Bewohner klingt jetzt nicht allzu weltbewegend. Sofern man ignoriert, dass sie der globalen Krise 15 Jahre später als Blaupause dient und einer fabelhaften Fernsehfiktion gleich mit.

Ab heute erzählt „Helsinki-Syndrom“ auf Arte.tv achtmal 50 Minuten, was gierige Banker aus einer Gesellschaft machen, wenn ihnen die Menschen darin egal sind. Menschen wie Pekka Karo. Der bodenständige Bildschirmhersteller will 1992 expandieren und lässt sich dafür ein Darlehen in doppelter Höhe der benötigten zwei Millionen Finnmark aufdrängen, für die sein junger Sohn bürgen muss. Es kommt, wie es kommen soll: der überzogene Zinssatz treibt Elias’ Vater von der Pleite in den Suizid und ihn selbst in die Schuldenfalle.

in „Vikings“ spielte Peter Franzén König Harald „Schönhaar“ 

Nachdem er 16 Jahre später den Prozess gegen die Schuldner verliert, geht „Vikings“-Star Peter Franzén als skandinavischer Desperado im Sog der Lehman-Pleite zum Äußersten und überfällt eine Zeitungsredaktion und nimmt vier Geiseln.

Mit Waffengewalt zwingt Elias die Journalisten Hanna (Oona Airola), Evelina (Tuulia Eloranta), Gusse (Eero Saarinen) und Anne (Laura Malmivaara), einen Skandal aufzudecken, der als Kollateralschaden abgetan wurde.

Ohne Vorgeplänkel setzt die Serie also im Auge des Orkans an und lässt ihn allenfalls in Rückblenden schwächer werden. Autor Mikka Oikkonen liefert Regisseur Juuso Syrjäs, mit dem er 2016 die Grenzkrimiserie „Bordertown“ zum Quotenhit gemacht hatte, ein Drehbuch mit raschrotierender Eskalationsspirale.

Denn während der Kidnapping-Spezialist Kiiski (Taneli Mäkelä) Elias mithilfe einer hochgerüsteten Polizeieinheit zu Leibe rückt, stößt Hanna bei der Recherche auf Belege krimineller Machenschaften. Trotz Fußfessel vom investigativen Jagdfieber gepackt, verleiht sie dem Serientitel somit Substanz.

Der erinnert schließlich bewusst ans „Stockholm-Syndrom“ genannte Phänomen, dass sich Entführungsopfer mit den -tätern emotional verbinden, ja verbünden. Und als die medial aufgestachelte Öffentlichkeit dasselbe mit dem vermeintlichen Bösewicht tut, wächst sich das Geisel- zügig zum Gesellschaftsdrama aus.

An der Seite des finnischen Senders YLE skizziert Beta-Film im Auftrag von Arte und NDR folglich ein raubtierkapitalistisch zerfleischtes Gemeinwesen im Stresstest, der einiges über die aktuelle Krisenkaskade erzählt. „Helsinki-Syndrom“, acht Folgen, ab Donnerstag in der Arte-Mediathek, 17. und 24. November ab 21 Uhr 45 Uhr auf Arte

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