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Chefredakteur Steffen Klusmann verlässt den „Spiegel“ wieder.

© dpa/Christian Charisius

Update

Schneller Wechsel beim „Spiegel“: Kurbjuweit löst Klusmann als Chefredakteur ab

„Allzu oft keine Einigkeit“ erzielt: Steffen Klusmann verlässt die „Spiegel“-Spitze.

Was ein quälend langer Prozess hätte werden können, wurde schließlich ein ganz kurzer: Steffen Klusmann, 57, hört als „Spiegel“-Chefredakteur auf, Dirk Kurbjuweit, 60, übernimmt sofort. Das teilte das Medienhaus am Donnerstag in Hamburg mit.

Gegenseitiges Einvernehmen

Die Trennung von Klusmann erfolge nach der Umsetzung weitreichender Reformen „im gegenseitigen Einvernehmen“. Der Journalist, seit 2019 Chefredakteur des Nachrichtenmagazins, ließ sich so zitieren: „Wir haben eine ganze Menge gemeinsam erreicht. Zuletzt haben Geschäftsführung und ich in entscheidenden strategischen Fragen allerdings allzu oft keine Einigkeit erzielt - was nun mein Ausscheiden zur Folge hat.“

„Spiegel“-Geschäftsführer Thomas Hass sagte Klusmann „großen Dank für seine wegweisende Arbeit in den vergangenen fast fünf Jahren, allem voran für die Zusammenführung der Print- und Online-Redaktion und die Erfolge in unserer digitalen Abo-Strategie“. Klusmanns Ausscheiden werde bedauert. Bei der Frage der Nachfolge sei es Gesellschaftern und Geschäftsführung wichtig gewesen, laufende Reformprojekte mit verlässlicher Stabilität voranzutreiben und die Priorisierung des Digitalangebots zu intensivieren.

Zuletzt haben Geschäftsführung und ich in entscheidenden strategischen Fragen allzu oft keine Einigkeit erzielt

Steffen Klusmann

Co-Geschäftsführer Stefan Ottlitz, dem erbitterte Machtkämpfe mit Steffen Klusmann nachgesagt werden, lobte den neuen Chefredakteur Kurbjuweit. Dieser habe „ein klares Bild davon, wie unser Journalismus im Digitalen wie in Print weiterzuentwickeln ist zwischen Tempo und Tiefe, und er hat sowohl als Autor als auch in Leitungsfunktionen vorgemacht, wie man das Profil des ,Spiegel‘ schärft.“ Auf eine weitere Markenprofilierung komme es gerade in der Pay-Strategie an, deren Erfolg sei für die journalistische wie wirtschaftliche Unabhängigkeit essenziell.

Klusmann wurde demnach vorgeworfen, dass es unter seiner Führung keine klare publizistische Linie und kein Konzept für das weitere Zusammenwachsen von Print und Online gegeben habe. Manche in der Redaktion sind allerdings der Meinung, dass diese Kritik für eine Absetzung keinesfalls ausreichend war. Dass die Gesellschafter nun Dirk Kurbjuweit zum neuen Chefredakteur beriefen, sorgte in Teilen der Belegschaft für Verwunderung. Der 60-Jährige, der zuvor Autor im „Spiegel“-Hauptstadtbüro war, gilt zwar als exzellenter Schreiber, aber nicht als in die Zukunft denkender Digitalstratege. Das Wort vom „Schatten-Chefredakteur Ottlitz“ macht die Runde.

Der neue „Spiegel“-Chefredakteur Kurbjuweit ist ein ausgewiesener Autor des Magazins, derzeit arbeitet er im Hauptstadtbüro. Dass er seit 1999 für den „Spiegel“ arbeitet, kann für ihn ein klarer Vorteil sein – er kennt die Stricke und Fallstricke zwischen Gesellschaftern und Mitarbeiter KG, zwischen Redaktion und Verlag. Der preisgekrönte 60-Jährige hat zudem mehr als zehn Bücher verfasst. Zur Chefredaktion des „Spiegel“ werden weiterhin Clemens Höges, Melanie Amann und Thorsten Dörting gehören.

Klusmanns Start 2019 war holprig, denn er musste für die Aufarbeitung des wohl größten Skandals des Magazins um gefälschte Texte des bis dahin gefeierten „Spiegel“-Autors Claas Relotius sorgen. Das gelang ihm, die Leitung der Redaktion in dieser schwierigen Zeit brachte Klusmann Respekt ein. Am Dauerthema der Zusammenlegung der redaktionellen Bereiche Online und Print musste er sich arbeiten, dieses Konfliktfeld ist längst nicht beseitigt.

Vielleicht fehlte Steffen Klusmann auch der notwendige Stallgeruch, der studierte Volkswirt, der vorher unter anderem für den „Stern“ und die „Financial Times“ gearbeitet hatte, kam 2019 aus der Chefredaktion des „Manager Magazin“ an die „Spiegel“-Spitze. Über seinen Job sagte er 2021: „Dass es einen an der Spitze des ,Spiegel‘ schnell verreißen kann, sollte man einpreisen, wenn man den Job annimmt. Sonst macht man vor lauter Angst entweder gar nix oder alles falsch.“ Klusmann jedenfalls ersparte sich, der Redaktion und dem Verlag eine Hängepartie, indem er den „Spiegel“ schneller als schnell verlässt.

Kein Rückhalt bei den Gesellschaftern

Und sein Rückhalt scheint so groß nicht gewesen zu sein. Die Gesellschafter - Mitarbeiter KG (50,5 Prozent), RM Hamburg Holding (25,5 Prozent), Erbengemeinschaft Augstein (24 Prozent) - haben sich, anders von Teilen der Redaktion gewollt, der Trennung nicht in den Weg gestellt.

Der neue Chefredakteur Dirk Kurbjuweit erklärte: „Das Vertrauen in meine Arbeit und meine Person freut und ehrt mich. In den vergangenen Jahren wurde eine großartige Grundlage geschaffen, um dem ‘Spiegel’ eine dauerhafte digitale Zukunft zu sichern und auch das Magazin noch besser zu machen.“ Na dann.

Toxisches Wissensressort

„Business Insider“ hat unterdessen weitere Details zusammengetragen, die zum „Abschied“ von Steffen Klusmann geführt haben sollen. Zum geschilderten Machtkampf zwischen (Ex-)Chefredakteur und Geschäftsführer herrschte im Wissenschaftsressort seit Jahren eine offene Fehde. „Es sind“, schreibt „Business Insider“, „Grabenkämpfe zwischen Print und Online, Alt und Jung.“ Auf der einen Seite stehe das Lager um die beiden Ressortleiter Michail Hengstenberg und Kurt Stukenberg. Beide kamen von „Spiegel Online“, beide würden von Klusmann geschätzt und gefördert.

Aber beileibe nicht allen Mitgliedern der Redaktion. Zwei Print-Ressortleiter seien verdrängt worden, so der Vorwurf, zwei weitere Mitglieder seien in andere Ressorts versetzt worden. Eine Führungskraft bezeichnete das Wissenschaftsressort als „Stalingrad“. Es gab Krisen-Meetings, eine Konflikt-Mediation, der Personalchef schaltete sich ein. Steffen Klusmann soll sich trotz mehrfacher schriftlicher Beschwerden immer wieder hinter Stukenberg und Hengstenberg gestellt haben. Am toxischen Zustand änderte sich nichts.

Diese Vorkommnisse beförderten möglicherweise den Sturz des Chefredakteurs, dem aber Teile der „Spiegel“-Redaktion in einem Protestbrief ihre Solidarität versicherten. Vergeblich, das Aus für Steffen Klusmann stand längst fest.

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