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Mamma Mia war einmal. In „The Dropout“ spielt Amanda Seyfried eine ehrgeizige junge Frau, die an ihrem Vorbild Steve Jobs vor allem eins bewundert: dass er Milliardär geworden ist. Entsprechend scheitert ihr Vorhaben am Ende.

© Hulu/Disney+

Rehaugen und Männeregos: Wie Elizabeth Holmes Henry Kissinger, Rupert Murdoch und Larry Ellison hinters Licht führte

„The Dropout“ erzählt vom Leben der Biotech-Betrügerin Elizabeth Holmes. In der Hauptrolle glänzt Amanda Seyfried.

Jede Generation hat ihre eigenen Poster. Die Wirtschaftswunderkinder Elvis oder Boney M. Generation X dagegen Michael Jackson oder Madonna. Generation Y eher Boybands oder Beyoncé. Generation Z nun Billie Eilish und Harry Potter. Beim frühvergreisten Philipp Amthor hing angeblich Helmut Kohl im Kinderzimmer. Aber Steve Jobs? Den hatte vermutlich nur Elizabeth Holmes an der Wand. Rückblickend dürfte sie sagen: Leider

Ende der 90er, als Millennials genannte Digital Natives massenhaft die Eliteunis fluten, blickt der Teenager daheim in Houston stets auf ein Bild des Apple-Gründers und weiß: das will ich auch. „Milliardärin werden“, präzisiert sie auf der Weihnachtsfeier einer befreundeten Familie. „Es geht aber nicht nur ums Geld“, fügt sie hinzu, „man muss eine Bestimmung haben“. Und ihre lautet Biomedizin.

Ein Wachstumsfeld der Jahrhundertwende, lernen wir schon zu Beginn der Hulu-Serie „The Dropout“, das sie anders als ihr Vorbild in den Untergang treiben wird. Denn die echte Elizabeth Holmes steht zurzeit in San José vor Gericht. Die Anklage lautet Betrug in elf Fällen. Für vier wurde sie schuldig gesprochen. Das Strafmaß könnte 80 Jahre betragen, wenn es Ende September verkündet wird. Bis dahin kann man sich auf Disney+ ein fiktionales Bild dieser Scheinrealität machen.

[„The Dropout“, Disney+, ab Mittwoch]

„The Dropout“, zu Deutsch: der Abbruch, erzählt sechs Teile lang von der ehrgeizigen Texanerin, dargestellte von Amanda Seyfried, die ihr Biomedizin-Studium in Stanford nach zwei Semestern beendet, um zu erfinden, was sie Richard Fuisz (William H. Macy) unterm völlig überladenen Christbaum prophezeite: Ein Produkt, das die Welt verändert, unbescheiden „Edison“ getauft. Mit einem Tropfen Blut kann es 240 Krankheiten diagnostizieren. Das klang so revolutionär, dass Holmes nach ein paar Anlaufschwierigkeiten Hunderte Millionen Dollar Startkapital einsammelt: Zu den Investoren gehören Oracle-Gründer Larry Ellison, Politikfossil Henry Kissinger, Presse-Tycoon Rupert Murdoch.

Ausgerechnet im Vorfeld von Obamas Gesundheitsreform

Es war auch zu verlockend: Therapie und Diagnose für den Hausgebrauch, begrifflich vereint im Firmentitel Theranos. Ausgerechnet als Obamas Gesundheitsreform 2015 Gestalt annahm, steht ihr Unternehmen für die Revolution der medizinischen Vorsorge und bringt sie in die „Time“-Liste der 100 einflussreichsten Personen. Ihr Traum ist Wirklichkeit geworden – bis er platzt. Denn Edison kann alles Mögliche: Investoren überzeugen, 800 Angestellte beschäftigen, Elizabeth Holmes zur Milliardärin machen. Nur eins blieb dem Wunderding verwehrt: Krankheiten diagnostizieren.

Bis zur Auflösung 2018 ist Theranos das trügerischste Luftschloss seiner Zeit. Und Showrunnerin Elizabeth Meriwether, vor zehn Jahren mit der Sitcom „New Girl“ bekanntgeworden, zeigt uns, wie es erst errichtet, bald geschleift, am Ende abgerissen wird.

Dafür präsentiert Regisseur Michael Showalter seine Protagonisten in einer Zeit, als maskuline Riesenegos ihre letzten Gefechte mit Emanzipation und Awareness schlagen. Wann immer Amanda Seyfried („Mamma Mia!“) ihre Figur mit Riesenaugen eines panischen Rehs auf Investorensuche in den Ring testosterontropfender Alpharüden schickt, muss sie sich als junge Frau ohne Abschluss und mit Skrupeln gegen skrupellose alte Männer durchsetzen, die oft auch keinen Abschluss haben, aber drauf pfeifen.

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„Willst du Kinder?“, fragt sie der real Existierende Software-Milliardär Ellison (Hart Bochner) auf seiner Yacht und verneint selber: „Die werden sie bremsen.“ Als Elizabeth „Sie haben Frau und Kinder!“, entgegnet, sagt er nur „Ihr Ernst?!“ und alles ist gesagt. Danach legt die Überzeugungstäterin härtere Bandagen an. Sie bekämpft Feinde, feuert Freunde, betrügt beide und ist bald nur noch ihrem Lover und Vorstandskollegen Sunny (Naveen Andrews) gegenüber aufrichtig.

Obwohl ein anderes Luftschloss jener Tage, der Energie-Konzern Enron, ihren Vater (Michael Gill) wegen fortgesetzter Bilanzfälschung 2001 in die Arbeitslosigkeit treibt, spielt der weibliche Steve Jobs, wie sie auf dem Gipfel ihres falschen Erfolges genannt wurde, das System der anschwellenden Tech-Konzerne also mit.

Ein brutaler Kampf, den angeblich nur Stärkere überleben. Die meisten Männer, mit denen sie es 300 fesselnde Minuten im Wechsel aus Biopic und Courtroom-Drama zu tun hat, würden sagen: die mit den dickeren Eiern.

Jan Freitag

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