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Das Herz eines Boxers. Jannis Niewöhner unterläuft in „Kids Run“ sein Sonnyboy-Image, das er mit Detlev Bucks Neuverfilmung von „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ zementierte.

© ZDF

Barbara Otts Langfilm-Regiedebüt: ZDF startet „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“ mit Jannis Niewöhner

„Kids Run“ mit Jannis Niewöhner: Ein Familiendrama der etwas anderen Art im ZDF.

Zu den positiven Errungenschaften der ZDF-Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“ gehört nicht nur der Umstand, dass aktuelle Beispiele von Nachwuchsfilm- und -fernsehregisseuren aus dem fiktionalen, experimentellen, essayistischen oder dokumentarischen Bereich gezeigt werden, sondern man auch Co-Produktionen einen Sendeplatz bietet, die durch die Corona-Pandemie zu in Unrecht etwas in Vergessenheit geratenen „Opfern“ geraten sind. So auch im Fall von „Kids Run“, der am Dienstagabend um 22 Uhr 45 den Auftakt der Reihe „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“ bildet.

[„Kids Run“, Dienstag, ZDF 22 Uhr 45]

Barbara Otts neorealistisches Langfilm-Regiedebüt um einen im Wortsinn ausgeknockten Boxer (Jannis Niewöhner), der um seine Kinder aus zwei gescheiterten Beziehungen kämpft, wurde bereits Anfang 2018 gedreht und erlebte am 21. Februar 2020 im Rahmen der Filmfestspiele in Berlin in der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ als Opener seine Uraufführung. Nach weiteren Vorführungen, unter anderem beim Sydney Film Festival, war der deutsche Kinostart für Juni 2021 geplant. Corona machte dem allerdings einen Strich durch die Rechnung. Es erfolgte nur eine digitale Auswertung.

Zweite Chance im Zweiten nun also für „Kids Run“: Das Ansehen des etwas sperrigen, aber atmosphärisch dichten Dramas, in dem der Protagonist eher wie ein Antagonist auftritt, ist jedenfalls lohnenswert. Mit dem Boxen musste Andi Javanovich (Jannis Niewöhner) von einem Tag auf den anderen aufhören, nachdem er in einem Kampf besonders heftig k. o. ging. Sein als Tagelöhner auf dem Bau verdientes Geld reicht hinten und vorne nicht. Auch bei der Miete ist der aufbrausende Mittzwanziger im Rückstand, weshalb der Vermieter ihn und seine drei kleinen Kinder rauszuschmeißen droht. Da nutzt es auch nichts, dass Andi den immer wieder zurückkehrenden Schimmel an der Badezimmerdecke reklamiert.

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Also leiht er sich den fehlenden Betrag bei seiner Ex-Freundin Sonja (Lena Tronina), der Mutter seiner Baby-Tochter Fiou, die im Wechsel bei ihm wohnt. Doch die junge Frau hat das Geld von ihrem neuen Freund Mike (Rostyslav Bome) genommen, ohne ihm das zu sagen. Als er es merkt, wird er gegenüber Sonja gewalttätig, worauf Andi Mike zusammenschlägt. Sonja stellt ihrem Ex-Freund ein Ultimatum: Sie braucht die verliehene Summe in zwei Wochen zurück, andernfalls will sie ihm die Tochter wegnehmen. Andi meldet sich bei einem Amateur-Boxturnier an, um finanziell wieder auf die Beine zu kommen und das Kind nicht zu verlieren …

Passenderweise hat Regisseurin und Autorin Barbara Ott „Kids Run“, der beim Deutschen Schauspielpreis 2020 den Ensemblepreis für die Casterinnen Simone Bär, Phillis Dayanir und Johanne Hellwig sowie das Ensemble erhielt, in visuellen und thematischen Grautönen gehalten. Sie erzählt von Menschen am Rande unserer angeblich so perfekt organisierten und sozial abgesicherten Zivilisation. Der Kampf ums Umgangsrecht kommt bei aller Tristesse des Milieus erfrischenderweise ohne Gerichte aus.

Katze im Müllschlucker entsorgt

Jannis Niewöhner unterläuft hier sein Sonnyboy-Image, das er später mit Detlev Bucks Neuverfilmung von „Die Bekenntnisses Hochstaplers Felix Krull“ zementierte. Er steht hier vor der nicht gerade einfachen schauspielerischen Aufgabe, einen Charakter zu verkörpern, der intellektuell betrachtet nicht gerade das hellste Licht auf der Torte ist.

Trotz seiner aufbrausenden Natur, die auch nicht davor zurückschreckt, seine mitunter verängstigten Kinder im Neusprech-Jargon wie „Ey, Alter!“ anzufahren, wenn mal etwas schiefläuft, ist er an sich ein liebender Vater. Unüberlegt greift er zu drastischen, ja inakzeptablen Methoden: Als sich Isabel (Carol Schuler), die Mutter seiner Kinder Nikki (Eline Doenst) und Ronny (Giuseppe Bonvissuto) mehr um ihre kleine Katze kümmert, entsorgt er diese vor den entsetzten Augen der Familie im Müllschlucker. Später entschuldigt er sich dafür bei Nikki und Ronny.

Im Fernbus ins Ausland geflohen

Doch es gibt auch Momente intimer Zärtlichkeit, vor allem in den Szenen zwischen Jannis Niewöhner und der im Gegensatz zu ihm ätherisch wirkenden Lena Tronina, die an Marlon Brando und Eva Maria Saint in Elia Kazans Meisterwerk „Die Faust im Nacken“ (1954) erinnern. Als der von Niewöhner verkörperte Boxer mit seinen drei Kindern im Fernbus ins Ausland flieht und sich in der Kälte stehend an einer Raststätte fast hilflos umblickt, worauf sich in der schnell umgeschnittenen Schlusssequenz Sonja und Andi mit Filou in den Armen liegen, weiß der Zuschauer am Ende nicht, ob dieser zu einem Happy End zurückgekehrt ist oder nur eine Vision hat.

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