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Hunderte von Helfern versuchen im Wrack des verunglückten ICE 884 Opfer des Zugunglücks zu bergen.

© dpa/Ingo Wagner/Bearbeitung Tagesspiegel

Mit Tempo 200 in den Tod: Vor 25 Jahren verunglückte ein ICE bei Eschede – ist Bahnfahren sicherer geworden?

101 Menschen starben, 105 wurden verletzt, Gerichte konnten die Schuldfrage nie klären. Doch die Bahn hat Lehren daraus gezogen. Nur deren Umsetzung geht schleppend voran.

1 Die Katastrophe

Die Katastrophe beginnt in voller Fahrt. Mit 200 Stundenkilometern verkehrt der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ am 3. Juni 1998 von München nach Hamburg. Um 10.57 Uhr bricht unter dem ersten Wagen ein Radreifen, etwa sechs Kilometer vor dem Ort Eschede in Niedersachsen. Er wickelt sich vom eigentlichen Rad ab und durchschlägt den Boden des Abteils darüber, verkeilt sich zwischen zwei Sitzen. Das andere Ende schleift über die Betonschwellen der Strecke.

Um 10.59 Uhr prallt das Drehgestell gegen eine Weiche. Räder des Zuges werden dadurch aus den Gleisen gehoben, eines von ihnen stellt die nächste Weiche um. Wagen drei entgleist, rammt eine Straßenbrücke. Sie stürzt über dem Zug ein und zertrümmert Wagen fünf.

Alle nachfolgenden Wagen falten sich wie eine Ziehharmonika zusammen und werden innerhalb von Sekunden auf Null gebremst. 101 Menschen sterben, 105 werden verletzt. Es ist das schwerste Eisenbahnunglück in der Geschichte der Bundesrepublik.

2 Die Aufarbeitung

Der Unfall von Eschede wäre vermeidbar gewesen, darin sind sich viele Experten einig. Zu spät wurden die Radreifen getauscht, von denen einer durch den Verschleiß barst. Und zu wenig waren sie erprobt. Eine Gummifederung zwischen Rad und Radreifen ließ den Zug ruhiger fahren – ein neuartiges System, das die Bahn eilig eingeführt hatte, nachdem die bisherigen ICE-Räder im Speisewagen die Teller hatten vibrieren lassen. Die Bahnführung fürchtete offenbar um den Erfolg des 1991 eingeführten Vorzeigezugs.

Inwieweit sich die Verantwortlichen schuldig machten, haben Gerichte nie geklärt. 100 Aktenordner füllen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Lüneburg. 2003 stellte das dortige Landgericht jedoch das Verfahren gegen drei Ingenieure ein, im Gegenzug zahlten sie jeweils 10.000 Euro.

Hinterbliebenen-Sprecher Heinrich Löwen warf der Bahn vor, das Verfahren durch eigene Gutachter „vernebelt“ zu haben. 15.000 Euro Schmerzensgeld erhielten die Hinterbliebenen für jedes Todesopfer. In einem Musterverfahren hatten sie 250.000 Euro angestrebt und waren abgewiesen worden.

3 Neue Sicherungen

Grundsätzlich ist Zugfahren in den letzten 50 Jahren immer sicherer geworden, auch dank besserer Kontroll- und Signalsysteme. Aktuell investiert Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) 2,7 Milliarden Euro in das Projekt „Digitale Schiene Deutschland“. Mit ihm sollen Stellwerke digital und das Zugsicherungssystem „European Train Control System“ (ETCS) flächendeckend in Deutschland etabliert werden. Nach Bahnangaben sollen bis Jahresende 610 Kilometer damit ausgerüstet sein. Der EU gegenüber hat sich die Bahn 2017 zum Ausbau auf 8000 Kilometer bis 2030 verpflichtet.

ETCS fehlte zum Beispiel auf der Strecke in Griechenland, auf der Ende Februar bei einem Zugunfall 57 Menschen starben. Die sogenannte Ausbaustufe „Level 2“ übermittelt die Fahrdaten der Züge per digitalem Funk an die Zentrale, bei Level 3 können feste Signalabschnitte für Strecken entfallen und somit Züge in dichterem Abstand fahren. Die Bahn erhofft sich eine Kapazitätssteigerung von 35 Prozent.

Auch direkt aus dem Unglück von Eschede zog sie Lehren. ICE-Züge fahren nicht mehr auf gummigefederten Rädern, die Bahn baut keine Weichen mehr vor Brücken. Und die Zugnummer 884 nahm sie aus dem Fahrplan.

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