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Migranten stehen vor dem Aufnahmezentrum der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa.

© picture alliance/dpa/LaPresse/AP

Update

Notstand auf Lampedusa: Behörden bringen Geflüchtete aufs Festland

Tausend Migranten kommen täglich auf der italienischen Insel an. Es gibt nicht genügenden Schlafplätze, die Polizei setzt Schlagstöcke ein. Von apokalyptischen Zuständen ist die Rede.

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Nach der Ankunft Tausender Migranten auf der kleinen italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa bringen die Behörden Flüchtlinge nach Sizilien und auf das Festland. Das Italienische Rote Kreuz erklärte am Freitag, 700 Menschen seien bereits von der Insel gebracht worden. Im Laufe des Tages sollten demnach weitere 2500 Menschen Lampedusa verlassen.

Die italienischen Behörden stellten unter anderem ein Patrouillenboot der Marine und Fähren bereit, um die Flüchtlinge nach Sizilien oder auf das Festland zu bringen. Männer, Frauen und Kinder standen in langen Schlangen, um in Busse und Kleintransporter in Richtung des Hafens von Lampedusa zu steigen.

Notstand auf Lampedusa aufgerufen

Derzeit ist die Lage auf der Mittelmeerinsel so angespannt wie noch nie. Das gute Wetter der vergangenen Tage hatte dazu geführt, dass sich mehr Menschen als gewöhnlich von Nordafrika aus in Booten über das Mittelmeer auf den Weg machten.

Nach Angaben des Innenministeriums in Rom kamen zwischen Montag und Mittwoch 10.000 Menschen auf Lampedusa an. Dies entspricht mehr als der Bevölkerung der Insel. Das dortige Aufnahmezentrum ist für weniger als 400 Menschen ausgelegt. Hunderte Menschen, darunter auch sehr kleine Kinder, mussten angesichts fehlenden Platzes auf der Straße schlafen.

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Die italienische Mittelmeerinsel schlug hatte am Donnerstag angesichts der nicht hohen Zahl an anlandenden Flüchtlingen Alarm geschlagen. Der Stadtrat von Lampedusa rief den Notstand aus. Die Insel sei überwältigt von den Migranten, alleine in den vergangenen zwei Tagen seien knapp 7000 Menschen aus Nordafrika in mickrigen Booten angekommen, klagte Bürgermeister Filippo Mannino im Radio „RTL 102.5“.

Bürgermeister von Lampedusa berichtet von „Wendepunkt“

Die Menschen von Lampedusa hätten die Migranten immer mit offenen Armen empfangen. „Jetzt aber haben wir einen Wendepunkt erreicht, und die Insel befindet sich in einer Krise“, sagte Mannino. „Europa und der italienische Staat müssen umgehend eingreifen mit schneller Hilfe und einem baldigen Weitertransport der Menschen.“

Das ist eine echte Apokalypse.

Pfarrer Carmelo Rizzi 

Der örtliche Pfarrer Carmelo Rizzi wird in der katholischen Tageszeitung „Avvenire“ mit den Worten zitiert: „Das ist eine echte Apokalypse.“ Die Ankommenden fänden keine Plätze mehr zum Schlafen und keine Toiletten. Die Polizei sorge mit Schlagstöcken für Ordnung.

Polizei von Lampedusa kurz vor dem Kollaps

Unterdessen teilte die Gewerkschaft der Finanzpolizei mit, dass am Mittwoch nur durch einen massiven Polizeieinsatz am Hafen ein Durchbruch Hunderter Migranten verhindert worden sei. Erst danach sei wieder eine normale Arbeit im Aufnahmezentrum möglich gewesen.

Europa und der italienische Staat müssen umgehend eingreifen.

Bürgermeister Filippo Mannino

Weiter heißt es in der Mitteilung: „Als Gewerkschaft sind wir ernsthaft besorgt bezüglich der Gesundheit und der Arbeitsbedingungen der Kollegen, die in Lampedusa für Sicherheit sorgen müssen.“ Es drohe „der organisatorische Zusammenbruch“ auf der zwischen Tunesien und Sizilien gelegenen Insel.

Steigende Migrantenzahlen auf Lampedusa

Lampedusa liegt weniger als 150 Kilometer von der tunesischen Küste entfernt. Die Insel ist einer der ersten Anlaufpunkte für Flüchtlinge, die das Mittelmeer in der Hoffnung überqueren, in die Europäischen Union zu gelangen. Auf der Insel leben gut 6000 Einheimische.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) kamen 2023 bislang mehr als 2000 Menschen bei dem Versuch ums Leben, von Nordafrika aus über das Mittelmeer die Küsten Europas zu erreichen. Seit Jahresbeginn sind fast 126.000 Migranten an Italiens Küsten angekommen – 65.000 waren es im Vorjahreszeitraum.

Für die seit Oktober 2022 regierende rechtsgerichtete Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wird die Lage auf Lampedusa zunehmend zu einem Problem. Der stellvertretende Regierungschef Matteo Salvini hat wiederholt mangelnde Solidarität der anderen EU-Staaten beklagt. Die EU-Kommission in Brüssel erklärte, sie stehe mit der italienischen Regierung in Kontakt zu der Frage, wie mehr geholfen werden könne.

90 Prozent der Boote steuern Lampedusa an

Matteo Villa, Datenanalyst bei der Denkfabrik ISPI, sagte, die Zahl der in Italien angekommenen Migranten liege bereits nahe an der Rekordmarke von 2016, als mehr als 180.000 Menschen anlandeten. Lampedusa stehe hier unter einem besonderen Druck, weil 90 Prozent aller angekommenen Boote in den vergangenen drei Monaten aus Tunesien gekommen seien und Lampedusa angesteuert hätten.

Organisationen der Vereinten Nationen mahnten aufgrund des Notstands die Hilfe anderer EU-Staaten an. Die Lage sei kritisch, erklärte Chiara Cardoletti, Vertreterin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Italien, am Freitag in Rom. Eine Lösung erfordere die „rasche Unterstützung der Europäischen Union im Geiste der gemeinsamen Verantwortung und der Solidarität“. Oberste Priorität habe die Entlastung Lampedusas, betonte Cardoletti.

Das UNHCR sei gemeinsam mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef, der UN-Organisation für Migration und anderen humanitären Organisationen vor Ort, um sowohl ankommende Migranten wie auch Behörden zu unterstützen. Um den Druck durch die zu Hunderten eintreffenden Migranten zu mindern, schlug die UNHCR-Vertreterin den Einsatz größerer Schiffe vor. Auf diese Weise könne man die aus dem Meer geborgenen Menschen zu anderen Häfen bringen. Nötig sei aber auch ein verbindlicher internationaler Mechanismus zur Verteilung der Bootsflüchtlinge.

Erst am Mittwoch hatte die Bundesregierung mitgeteilt, den freiwilligen europäischen Solidaritätsmechanismus zur Aufnahme von Flüchtlingen mit Italien ausgesetzt zu haben. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte zur Begründung, dass sich die Regierung in Rom weigere, Geflüchtete in Deutschland nach den Dublin-Regeln der Europäischen Union wieder zurückzunehmen.

Nach dem freiwilligen europäischen Solidaritätsmechanismus hat sich Deutschland bereiterklärt, EU-Staaten zu helfen, die besonders stark von ankommenden Migranten belastet sind. Generell müssen aber Menschen, die sich etwa in Italien zuerst registrieren ließen, auch dort verbleiben. (Reuters, KNA, epd)

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