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Plötzlich ist es still. Nur noch Rauchschwaden wabern über die Berge.

© dpa

Update

Nach den Vulkanausbrüchen: Stille Nacht am Cumbre Vieja auf La Palma

Drei Monate lang brodelte der Vulkan. Kurz vor Weihnachten wird es ruhig auf La Palma. Der Ausbruch sei vorbei, sagen Geologen jetzt. Ein Bericht von der Insel.

„Das ist kein Vulkan, sondern ein abscheuliches Monster“, ruft Mathias Siebold und schaut fast zornig zum nahen Gebirgszug Cumbre Vieja herüber. Doch das Monster schweigt. Seit einigen Tagen speit der Vulkan auf der spanischen Kanareninsel La Palma kein Feuer und faucht nicht mehr. Nur eine Rauchsäule steigt derzeit über dem Krater auf, der sich auf etwas mehr als 1000 Meter Höhe befindet. Der Berg hat sich beruhigt.

Hält die Ruhe über Weihnachten, nachdem der Vulkan mehr als 90 Tage brodelte und Tausende von Menschen in die Flucht trieb? „Das wäre unser schönstes Geschenk“, sagen die deutschen Auswanderer Mathias Siebold (61) und seine Frau Ingrid (58), die am Fuße des Feuerbergs ein 150 Jahre altes Haus mit Garten und Meerblick bewohnen. „Wir hoffen, dass es nun endlich vorbei ist.“

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Die Chancen auf ein endgültiges Einschlafen des Vulkans stehen gut, sagen spanische Geologen. Es fließe keine neue Lava, der Krater stoße weniger Schwefeldioxid aus, die Erde bebe nicht mehr. Gut drei Monate nach Ausbruch des Vulkans, der am 19. September im Südwesten der Insel explodierte, können die Siebolds nun erstmals auf ein Ende des Albtraums und auf friedliche Weihnachtstage hoffen.

Der Vulkanausbruch sei nach Einschätzung der Experten nach rund drei Monaten beendet, teilte das örtliche Notfallkomitee Pevolca am Samstag bei einer Pressekonferenz mit, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet. Der am 19. September ausgebrochene Vulkan in der Cumbre Vieja war am Abend des 13. Dezembers plötzlich weitgehend zur Ruhe gekommen. Seither gab es keine explosionsartigen Entladungen mehr, es wurden keine Erschütterungen im Vulkan und kaum noch Erdbeben in der Tiefe gemessen.

Dennoch warnte Pevolca-Sprecher Miguel Ángel Morcuende, der immer noch namenlose Vulkan bleibe unberechenbar und könne auch plötzlich wieder zu neuem Leben erwachen. Zudem seien die immer noch austretenden Gase gefährlich. Alle, die zu ihren Häusern in der Nähe des Vulkans zurückkehrten, um Asche zu beseitigen oder wichtige Gegenstände zu sichern, sollten die Gebäude vorher mindestens 15 Minuten gut lüften, berichtete der staatliche TV-Sender RTVE am Samstag

Viele Häuser sind unter Asche begraben.

© dpa

„Es sind von uns aus knappe drei Kilometer zum Krater“, berichten Ingrid und Mathias Siebold, die seit Jahrzehnten auf La Palma leben. Er ist gebürtiger Bayer, sie kommt aus Niedersachsen. „In anderthalb Kilometer Entfernung kam die Lava den Berg herunter.“ Von der Terrasse ihres Hauses aus sieht man die kilometerbreite schwarze Lavadecke. Nachts leuchtet der Berghang orangerot.

Näher kann man nicht am Vulkan wohnen

Näher als die Siebolds kann man nicht am Vulkan wohnen. Gleich hinter dem Haus beginnt das Sperrgebiet. Eine apokalyptische Zone, in der die Lava alles begrub, was sich ihr in den Weg stellte. Was nicht verschlungen wurde, ist von Asche bedeckt: Häuser, Straßen, Palmen färbten sich schwarz. Statt winterlicher Schnee rieselte Asche vom Himmel und verwandelte dieses Paradies in eine düstere, triste Landschaft. Auch Mathias Siebolds Gemüsegarten liegt unter einer Aschedecke.

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Mit Hacke und Wasserschlauch versucht er, seine Pflänzchen zu retten. Nahezu 3000 Gebäude, die Hälfte Wohn- und Ferienhäuser, gingen in der Lava unter. 7000 Menschen mussten flüchten. Das Dorf Todoque und ein Teil des Ortes La Laguna verschwanden unter einer bis zu 50 Meter dicken Lavaschicht. Die schlimmste Vulkankatastrophe seit 500 Jahren auf La Palma. Ein Drama, das sich direkt vor der Nase der Siebolds abspielte. Aber ein Drama, in dem sich auch Wunder ereigneten. Wie jenes von La Laguna, wo die Lavawalze einige Meter vor dem Glockenturm der Dorfkirche zum Stehen kam.

„Wir haben noch Glück gehabt“, sagt Mathias Siebold, der lange Zeit auf der Insel ein Reisebüro betrieb. „Es hätte alles schlimmer kommen können.“ Etwa wenn sich der Vulkanschlund ein bisschen weiter nördlich geöffnet hätte. Zum Beispiel direkt oberhalb der Ortschaft El Paso, in der die liebevoll restaurierte Finca der Siebolds liegt. Von El Paso wäre die Lava direkt durch die tiefer liegenden Orte Los Llanos und Tazacorte gerollt. Ein Gebiet, in dem 33 000 Menschen leben. „Dann hätte es wohl Tote gegeben.“

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„Am Anfang war es schrecklich“, sagt Siebold. Die hohen Feuersäulen. Die ohrenbetäubenden Explosionen. Das ständige Zittern des Erdbodens. „Da haben wir gefürchtet, das Ding fliegt uns um die Ohren.“ Vorübergehend flüchteten die Siebolds. „Wir hatten Angst.“ So wie viele Nachbarn, die ihre Koffer packten.

Mathias und Ingrid Siebold kamen jedoch wenig später wieder in ihr Haus zurück, das ihnen seit 40 Jahren gehört. Sie waren entschlossen, ihren Besitz gegen den Aschesturm zu verteidigen, der die Häuser in schwarzen Flockenbergen versinken ließ und Dächer zum Einsturz brachte. Die Siebolds wollten sich nicht vom Vulkan vertreiben lassen. „Wir gehören hierher.“ La Palma ist ihre Heimat.

Vulkankatastrophe trifft viele Menschen

Viele Namen aus dem deutschsprachigen Raum auf Briefkästen signalisieren, dass die Vulkankatastrophe Hunderte Menschen aus Deutschland, aber auch aus Österreich oder der Schweiz getroffen hat. Das Aridane-Tal, das zu einem Drittel verwüstet wurde, galt bislang als eine der schönsten Ecken La Palmas. Es ist das Herz der Insel, in dem bis zum Lavaausbruch der Tourismus und der Bananenanbau blühte.

Mathias Siebold, Auswanderer aus Deutschland, hat Glück gehabt.

© Ralph Schulze

Die Siebolds haben ihren Besitz retten können, andere haben alles verloren. Besonders schwer hat es Michael Nguyen getroffen, der aus dem Großraum Stuttgart stammt. Erst wurden die Geschäftsräume seiner Auto- und Ferienhaus-Vermietung „La Palma 24“ im Ort Todoque unter der Lava begraben. Genauso wie das dortige Yogazentrum seiner Frau Heidrun (56), die in Bielefeld aufwuchs. Dann verschwand das Privathaus. „Da ist jetzt überall 20 Meter Lava drüber“, sagt er wehmütig. „Dort sieht es jetzt wie auf dem Mond aus.“

Aber Nguyen, der seit 30 Jahren auf La Palma lebt und arbeitet, will nicht aufgeben. „Wir sind stärker als der Vulkan“, schwört der 54-Jährige in seinen provisorischen Geschäftsräumen in Los Llanos, der größten Stadt in Vulkannähe.

Es ist ein Besuch mit Hindernissen, denn es herrscht an diesem Tag Ausgangssperre wegen giftiger Vulkangase, die durch die Straßen von Los Llanos wabern. „Gehen sie nicht aus dem Haus“, warnt die Polizei per Lautsprecher.

Am selben Tag pustet der Vulkan wieder einmal große Mengen Asche in die Luft, die sich wie schwarzer Schnee auf die glitzernden Weihnachtsbäume und Lichterketten legt.

Der Mount Cumbre Vieja bricht in El Paso aus und spuckt Rauch-, Asche- und Lavasäulen. (Archivbild)

© AFP/DESIREE MARTIN

Michael Nguyen schöpft neue Hoffnung. Er konnte für die Familie ein kleines Ersatzhaus in sicherer Entfernung zum Vulkan anmieten. Die Firma hält er zusammen mit seinem 23 Jahre alten Sohn Daniel im Notbetrieb am Laufen. Doch das Geschäft ist eingebrochen. Viele Touristen haben ihre Buchungen storniert. Obwohl ein Besuch der Insel, wenigstens außerhalb der Vulkanzone, noch immer problemlos möglich ist.

Aber es sind nicht nur bittere Erfahrungen, die Nguyen und andere in diesem Vulkandrama machen. „Der Zusammenhalt unter den Inselbewohnern, den Palmeros, ist überwältigend“, sagt er. „Mich haben viele Leute angerufen und Hilfe angeboten.“ Zum Beispiel Hilfe, um am Tag, als die Lava kam, seine Mietwagen zu retten und aus der Gefahrenzone herauszufahren.

Wie geht es nun weiter? „Wir versuchen, das Beste daraus zu machen“, sagt Nguyens Sohn Daniel. „Wir schauen nach vorne.“ Der 23-Jährige ist auf der Insel geboren worden. Und ihm ist klar, dass dies möglicherweise nicht der einzige Vulkanausbruch in seinem Leben sein wird. „Wir sind eine vulkanische Insel. Und natürlich kann das wieder passieren.“

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