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Michaela Dudley, Kabarettistin und Autorin.

© Foto: Carolin Windel

Diversity-Management: Sensibel und sturmerprobt

Menschen aus marginalisierten Gruppen verfügen über besondere Kompetenzen. Damit bereichern sie Unternehmen: ein Plädoyer für Inklusion und Safe Spaces.

Von Michaela Dudley

„Purpose“ und „Belonging“: So lauten zwei der Stichwörter, die unter Diversity-Manger*innen und auch während der diesjährigen Diversity-Konferenz in Berlin die Runde machen. Das sind Anglizismen, die in ebenjener Konstellation mittlerweile zur personalpolitischen Syntax etlicher deutscher Firmen gehören.

Zum einen handelt es sich um die Sinnhaftigkeit der Unternehmungsführung, zum anderen geht es um die Zugehörigkeit der Beschäftigten. Die Begriffe sind eng miteinander verbunden, sie greifen wie Zahnräder ineinander. Gerade in Krisenzeiten müssen Unternehmen im Stande sein, bei laufendem Betrieb die Bedeutung und folglich die Bedürfnisse der eigenen Belegschaft zur Kenntnis zu nehmen.

„Wir“ sind also die ersten und auch die wichtigsten drei Buchstaben der „Wirtschaft“. Was wie die plakative Parole eines geharnischten Gewerkschaftsführers klingt, stimmt aber auch. Ohne uns würde gar nichts laufen. Aber wer sind „wir“ genau, seitdem die Bundesrepublik zu einer bunteren Republik geworden ist? Wie viel Vielfalt kann die Volkswirtschaft überhaupt ertragen? Herrscht nicht eher schon ein „Wirr-Gefühl“?

Teamspieler*innen, nicht Tokens

Die Fragen kommen nicht von ungefähr. Sie ergeben sich inmitten eines grundlegenden demografischen Wandels, hinzu kommen externe Faktoren wie die hartnäckige Pandemie, hochschäumender Populismus, Krieg und Klimakatastrophe. Keines dieser Ereignisse geschieht ohne schwerwiegende ökonomische Folgen. Doch gerade deshalb ist es vonnöten, dass Unternehmen dezidiert auf Inklusion setzen.

Wenn jedwede Krise eine Chance beinhaltet, dient jedweder Schritt in Richtung Chancengleichheit zur Stärkung des Potenzials, die Krise zu überstehen. Dabei geht es nicht um zweckoptimistische Trostsprüche, sondern um Tatsachen. Denn die Vielfalt der Arbeitnehmenden – im Hinblick beispielsweise auf ethnischen und gegebenenfalls religiösen Hintergrund, Geschlecht bzw. Gender, sexuelle Orientierung, Alter und Erfahrung und jegliche denkbare Kombination davon – erhöht die Fähigkeit, auf lokale und globale Geschehnisse flexibel zu reagieren, Netzwerke zu bauen und neue Märkte zu erschließen.

Dabei ist es wichtig, der diversifizierten Belegschaft nicht lediglich einen Arbeitsplatz, sondern auch Safe Spaces zu bieten, in denen die Beschäftigten sich möglichst geschützt wissen und sich sogar wohlfühlen können – Stichwort „Belonging“. So sorgt man dafür, dass sie motiviert bleiben und im Sinne des Unternehmens mitdenken. So haben sie das Gefühl, nicht etwa als Tokens (Alibi-Personen), sondern als Teamspieler*innen dazu zu gehören.

Nicht nur ihre beruflichen Kernkompetenzen, sondern auch sie selbst in ihrer kulturellen und sozialen Individualität sollen gefeiert werden. Denn es wäre absolut kontraproduktiv, die Identitätswahrung als Integrationsverweigerung fehlzuinterpretieren. Erfolgreiche Teams setzten sich nämlich aus Individuen zusammen, die sich gegenseitig ergänzen und anfeuern können.

Allerdings können die Zugehörigkeitsgefühle nicht optimiert werden, ohne die Sache des Zugangs unter die Lupe zu nehmen. Wer kommt herein? Wer wird überhaupt zum Vorstellungsgespräch eingeladen und warum eigentlich? Hat es womöglich mehr mit PR (Public Relations) zu tun als mit HR („Human Resources“, Personalarbeit)?

In eigener Sache: Ich zähle auch zu den historisch marginalisierten Menschen. Als Schwarze trans* Frau bin ich gewissermaßen intersektional getroffen, da ich Erfahrungen mit mehrfacher Diskriminierung gesammelt habe. Bereits 1961 in den USA, wo ich gleichsam im Schatten der Freiheitsstatue das Licht der Welt erblickte. Damals wurde meine Jugend selbst im Norden des Landes von der rassistischen Jim-Crow-Segregation verfinstert. Mein Geburtsjahr ist übrigens dasselbe Jahr, in dem die Mauer in meiner Wahlheimat Berlin errichtet wurde. Sowieso muss ich schon zeitlebens Mauern durchbrechen, um weiter zu kommen.

Wir hoffen auf mehr Sichtbarkeit

Mit dieser Anstrengung bin ich mitnichten alleine. Wir, die Direktbetroffenen der Diskriminierung, hoffen hartnäckig auf mehr Sichtbarkeit, und zwar quer durch das breite Spektrum der Berufsbereiche. Sichtbarkeit jenseits der Symbolik, wohlgemerkt. So dürfte es nicht überraschen, dass wir tendenziell auf sozialpolitische Maßnahmen wie die Quotenregelung setzen.

Doch auch hier stoßen wir immer wieder auf Mauern. Nach wie vor herrscht bei vielen Kritikern in dieser Gesellschaft die Ansicht, Quoten und das Konzept der Diversity überhaupt seien gleichbedeutend mit einer Vorzugsbehandlung, bei der eher minder qualifizierte Menschen auserkoren werden, während Qualifizierte das Nachsehen hätten. Auch uns angeblich zugeneigte Recruiter*innen sind nicht davor gefeit, von Unconscious Bias (unbewussten Verzerrungen, Vorurteilen) beeinflusst zu sein.

Dementsprechend bin ich im Rahmen meiner Workshops darauf bedacht, solche Vorurteile zu widerlegen. Mit Storytelling, freilich auch mit Rollenspielen. Dabei erläutere ich mein Konzept „RAVE: Recognizing Added-Value Experience“. Ja, wieder Neudeutsches. Es fußt auf der Erkenntnis, dass wir marginalisierten Personen über einen Mehrwert an Kompetenzen verfügen, die das Unternehmen bereichern. Wir sind sowohl sensibilisiert als auch sturmerprobt, was den Umgang mit Widrigkeiten und Mikroaggressionen betrifft. Unternehmen müssen diese Qualitäten wahrnehmen, wertschätzen und würdigen.

Doch auch wir haben eine Bringschuld – den eigenen Mehrwert erkennen und erkennen lassen. Zwar sind wir historisch gesehen Opfer, aber gerade deswegen obliegt es uns, unseren Tatendrang stolz zur Schau zu stellen. Wir sind zuverlässige Vermittler*innen in inter- oder intrakulturellen Situationen. Diese Eigenschaften sind vorteilhaft, und zwar sowohl innerbetrieblich als auch beim Umgang mit der Kundschaft.

Die Autorin, eine Berlinerin mit afroamerikanischen Wurzeln, ist Publizistin, Kabarettistin, Queerfeministin und Keynote-Rednerin. Die gelernte Juristin (Juris Dr., US) ist Autorin des Buchs „Race Relations: Essays über Rassismus“ (2022).

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