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Lara Ledwa (l.) und Giuseppina Lettieri (r.) vom Spinnboden Lesbenarchiv.

© privat

Spinnboden Lesbenarchiv: „Man muss wissen, wie man richtig sucht, um queere Geschichte zu finden“

Giuseppina Lettieri und Lara Ledwa arbeiten im Spinnboden, einem der größten lesbischen Archiv der Welt, das den Queer History Month organisiert und außerdem 50-jähriges Bestehen feiert.

Gerade läuft der Queer History Month. Findet der nicht eigentlich im Februar statt?
Giuseppina Lettieri: Der LGBT History Month UK, auf den auch der Queer History Month in Berlin zurückgeht, findet tatsächlich im Februar statt. Weil im Februar in Berlin aber auch Black History Month ist, wollten wir diesen Monat nicht zusätzlich besetzen, so dass der Fokus ganz auf Schwarzer Sichtbarkeit und Geschichte liegen kann. 2019 haben wir den Queer History Month deshalb vom Februar, in dem er seit 2014 stattfand, in den Mai verlegt.

Im Schulunterricht finden queere Themen immer noch zu wenig statt. Wie wollt Sie diese Lücke schließen?
Lettieri: Tatsächlich haben wir das Spektrum inzwischen erweitert, denn Geschichtsvermittlung sollte nicht nur im Schulkontext stattfinden. Dieser Ort ist für viele Menschen schwierig und Lehrkräfte, die selbst nicht Teil der Community sind, können queere Geschichte oft nicht in ihrer Komplexität vermitteln. Wir setzen stattdessen auf Peer-to-Peer Ansätze und schaffen Begegnungen, die junge Menschen fernab von Leistungsdruck und Noten empowern.

Wie sieht das dann konkret aus?
Lettieri: Es gibt dieses Jahr zum Beispiel einen Zine-Workshop, indem wir nicht nur queere Gegenwart, sondern auch die Verbindung zur Geschichte vermitteln. Wir zeigen Jugendlichen, wie queere Geschichte ihre Lebenswelten beeinflusst hat. Das ist so wichtig am Queer History Month: Deutlich zu machen, dass es Menschen vor uns gab, die für unsere Freiheiten gekämpft haben. Viele wichtige Errungenschaften werden in der Geschichtsschreibung und in gesellschaftlichen Diskursen nicht erwähnt und Personen geraten in Vergessenheit.

An welche Personen lesbischer Geschichte in Berlin sollte denn mehr erinnert werden?
Lettieri: Neben Audre Lorde oder Katharina Ogontoye bin ich auch ein großer Fan der Bands Malaria! und Mania D, besonders von Bettina Köster, die schon damals offen lesbisch war und viel mit Androgynität spielte. Zu DIY-Post-Punk und der lesbischen Subkulturen der 80er biete ich übrigens auch einen Stadtrundgang an.

Lara Ledwa: Für mich ist Hilde Radusch wichtig. Sie war Lesbe, aber auch anti-faschistische Widerstandskämpferin und hat vor 1933, während des Nationalsozialismus und auch noch bis in die 80er Jahre hinein relevante Dinge gemacht. Es gibt aber natürlich auch schwierige lesbische Vorfahr*innen…

Sie denken an die NS-Zeit?
Ledwa: Einige haben schon vor 1933 völkische oder eugenische Ideen vertreten. Die Frauenrechtlerin Käthe Schirmacher, die mit einer Frau zusammenlebte, vertrat nach dem ersten Weltkrieg beispielsweise eine deutsch-nationale Politik. Nur weil diese Frauen feministisch oder lesbisch kämpften, heißt das nicht, dass sie nicht auch rechts waren. Es lohnt sich deshalb immer, kritisch zu hinterfragen, welche politischen Positionen sie tatsächlich hatten, statt sie immer wieder positiv zu würdigen, während die Verdienste anderer, wie zum Beispiel Guy St. Louis – eine afrodeutsche Autorin und Aktivistin – weniger Aufmerksamkeit bekommen.

Wir zeigen Jugendlichen, wie queere Geschichte ihre Lebenswelten beeinflusst hat

Giuseppina Lettieri

Warum ist über einige so wenig bekannt? Waren Ausschlüsse innerhalb der Bewegung schon damals ein Thema?
Ledwa: Auf jeden Fall! Guy hielt sich in den 1970er Jahren als einzig Schwarze Person im LAZ auf und war später in der Pelze unterwegs – einem Ort für u.a. sexpositive Lesben. Ihre Spur verliert sich jedoch irgendwann. Für uns ist es oft schwierig, an Dokumente von mehrfachmarginalisierten Personen zu kommen. Das gleiche gilt übrigens für trans-lesbische Perspektiven etwa aus den 1970er Jahren. Aber natürlich gibt es im Archiv auch mehr als das, was an der Oberfläche sichtbar ist. Und man muss wissen, wie man richtig sucht, um queere Geschichten aus einer bestimmten Zeit zu finden.

Wie muss man suchen, um etwas über die lesbische Kultur der 20er zu finden?
Ledwa: In den 1920er Jahren gab es in Berlin viel lesbische Sub- und Populärkultur: lesbische Bars, Romane und Zeitschriften. Der Begriff „lesbisch“ war damals aber keine Selbstbezeichnung. Um etwas zu finden, kann man stattdessen nach Begriffen wie „Freundin“, „Bubi“, „Mädi“ oder für um 1900 nach „Urninden“ suchen – einem Begriff aus der Sexualwissenschaft.

Wie ging es nach der Nazizeit im lesbischen Berlin weiter?
Ledwa: In den 1950er und 60er Jahren öffneten zwar erste Bars und es gab Bestrebungen, die Homosexuellen-Verbände der 1920er Jahre wiederzubeleben, aber alles fand eher im Verborgenen statt. Das Anliegen der sogenannten „Homophilen-Bewegung“ war nicht, besonders sichtbar zu sein.

Erst 1969 änderte sich das durch die Reform des Paragrafen 175 und den Film von Rosa von Praunheim. Für Ost- und West-Berlin muss das aber auch differenziert betrachtet werden. Manche Aktivist*innen der 70er Jahre, die radikale Veränderungen forderten und immer akademischer geprägt waren, blickten auf die Personen aus der Subkultur der 50er und 60er Jahre oder die Subkultur selbst teilweise herab. Dass diese in den Bars oft in Butch-Femme-Rollen unterwegs gewesen waren, war ihnen zu heteronormativ, oder insgesamt alles zu unpolitisch...

Am 25. Mai 1973 legte die Frauengruppe der „Homosexuellen Aktion Westberlin“ (HAW) den Grundstein für den Spinnboden, indem sie beschloss Protokolle und Flugblätter zu sammeln. Dass sie sich gegen die Verwendung des Wortes "lesbisch" im Namen entschieden, klingt aus heutiger Sicht auch nicht gerade radikal-politisch.
Lara: Das war strategisch. Die Beteiligten erhofften sich so bessere Chancen auf staatliche Förderung, weil der Begriff „lesbisch“ in den 70ern noch nicht so akzeptiert war. In den 1970er Jahren ging es übrigens nicht vordergründig darum, die eigene lesbische Geschichte zu bewahren. Es war viel mehr Pragmatismus, weil es für politische Organisierung wichtig ist, die eigenen Prozesse nachvollziehen zu können. Erst ab Mitte der 80er Jahre fand das Archiv einen eigenen Ort , davor war die Sammlung von Privatwohnung zu Privatwohnung gewandert. Seit 2001 trägt der Spinnboden auch das Wort „lesbisch“ im Namen.

Das Archiv wird in diesem Jahr 50! Wie wird gefeiert?
Ledwa: Im Herbst ist ein Zeitzeuginnen-Podium mit mehreren Menschen geplant, die sich zu verschiedenen Zeiten im Spinnboden engagiert haben. Bereits am 10. Juni zeigen wir eine alte VHS-Kassette vom zehnjährigen Jubiläum 1983. Das Highlight ist aber die Party „Dykes Forever“ am 7. Juli im SO36 mit den Djs SchwarzRund, 6zm, Grace Kelly und Ludi Oktokreuz.

Was ist Ihr Wunsch für die nächsten 50 Jahre?
Lettieri: Wir stehen immer noch vor großen Herausforderungen, sowohl personell als auch räumlich. Mit zwei Teilzeitstellen für den Archivbereich ist es schwierig, allen Interessierten gerecht zu werden. Der Spinnboden platzt zudem aus allen Nähten. Ein Archiv braucht Platz zum Wachsen, damit die Geschichten aller lesbisch-queeren Communities hier Platz finden können, auch rein physisch.

Ledwa: Für die nächsten 50 Jahre würde ich mir wünschen, dass wir „lesbisch“ noch mehr in allen Dimensionen mitdenken und strukturelle Ausschlüsse weiter abbauen. Und dass der Spinnboden ein lebendiges Archiv bleibt, das Geschichte mit Gegenwart und Zukunft verbindet.

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