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Ein Denkmal für die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung am Magnus-Hirschfeld-Ufer in Berlin. Die queere Geschichte der Stadt wird in der „BerlinHistory-App“ differenziert dargestellt.

© imago/Christian Ditsch/imago stock

Von Virginia Woolf bis zum Schwuz : Berlins queere Geschichte per App erkunden

Bewegte Vergangenheit: Eine App lädt dazu ein, in Berlins queere Geschichte einzutauchen – mit allen Höhen und Tiefen. Fast vergessene Orte lassen sich so wiederentdecken.

Von Finn-Lukas Hagen

Wo genau residierte David Bowie zwischen 1976 und 1978 in Berlin-Schöneberg? Welche Bedeutung hatte das West-Berliner Travestielokal „Chez Nous“? Wo konnte man in Prenzlauer Berg zu Ost-Berliner Zeiten eine schwule Kneipentour machen? All das gibt es jetzt in der „BerlinHistory-App“ zu entdecken.

Die App ist ein Projekt des „BerlinHistory e.V.“ und bringt mit derzeit 300.000 Downloads hunderttausenden Berliner*innen und Besucher*innen die Geschichte der Stadt näher. In Rubriken wie Industrie, Mauer oder auch Feministories können sich Nutzer*innen themenspezifisch informieren. Da Berlin eine bewegte queere Geschichte hat, gibt es jetzt neu auch die Rubrik queer. Aufbereitet ist die Geschichte in kleinen Infotexten, die in Zusammenarbeit mit dem Schwulen Museum und dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg entstanden sind.

Oft wird Berlin als eine Oase der Offenheit dargestellt. Aber der Weg dorthin war lang und voller Brüche. Der Paragraf 175 wurde 1871 im Deutschen Kaiserreich eingeführt, er bestrafte „widernatürliche Unzucht“ unter Männern. In der Weimarer Republik entstand rund um den Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld eine erste homosexuelle Emanzipationsbewegung. Doch die wurde schnell zerschlagen: Zu NS-Zeiten reichte schon der Verdacht aus, um Männer bis zu zehn Jahre ins Gefängnis zu bringen. In der Bundesrepublik hatte der Paragraf lange Bestand, Homosexuelle wurden weiter verurteilt.

Diese dunklen Zeiten arbeitet die App mit minutiösem Detail und gut strukturierten Texten auf. Die queere Geschichte wird von den Macher*innen in die Rubriken „Queer West“, „Queer Ost“, „Bi Berlin“ und „Queere Gedenkorte“ unterteilt.

Mutige Frauen aus Ost-Berlin

Erst mit der Studentenbewegung in den 1960er Jahren begann der Wandel. 1969 wird der Paragraf 175 in der Bundesrepublik reformiert, einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen zwei Männern über 21 Jahren werden zugelassen. Aber erst 25 Jahre später, nach der Wiedervereinigung, wird der Paragraf endgültig abgeschafft. All das und mehr erfahren Nutzer*innen in der App.

Wer einen Blick in die Kapitel zur queeren Geschichte der DDR wirft, wird feststellen, dass der Paragraf 175 dort bereits 1968 gestrichen wurde. Dennoch war anders als in der Bundesrepublik kaum queeres Leben möglich, beschreibt die App: Homosexuelle durften weder Vereine gründen noch Zeitschriften herausgeben, auch Lokale und Clubs standen vor Herausforderungen.

Doch auch Ost-Berliner Persönlichkeiten werden vorgestellt, die für die Freiheit kämpften. Artikel zu Bettina Dziggel, Nadja Schallenberg und „Lesben in der Kirche“ erzählen von mutigen Frauen, die sich für Frauenrechte und die von Lesben und Schwulen einsetzten.

Das Schwuz (SchwulenZentrum), hier ein Bild aus den Anfangszeiten in der Kulmer Straße in Schöneberg, ist der älteste queere Club in Deutschland: ein fester Bestandteil der Berliner LGBTIQ-Geschichte.

© Schwuz Archiv/Schwuz Archiv

Ein Highlight ist die Karte, eine Art queerer Stadtplan, der mit Stecknadeln die Orte des Geschehens markiert. Es kann nach Zeitspanne oder Thema gefiltert werden. Nutzer:innen können ihren Kiez so ganz neu entdecken und fast vergessene Orte wiederfinden, die ein großes queergeschichtliches Erbe haben. So verbrachten Virginia Woolf und ihre Liebhaberin Vita Sackville-West 1929 auf dem Funkturm ihren letzten romantischen Abend zusammen, bevor sich ihre Wege trennten. Dieses und weitere Geheimnisse birgt Charlottenburgs LGBTQIA*-Vergangenheit.

Insgesamt wirkt die App wie ein digitales Museum, dessen virtuelle Exponate man in Ruhe durchstöbern kann. Das Beste: Anders als bei herkömmlichen Museumsbesuchen muss man nicht gleich mehrere Stunden am Stück investieren, um alles zu sehen – sondern kann sich die informative Reise so aufteilen, wie es am besten passt.

Und für alle, die lieber zuhören als lesen, gibt es virtuelle Audiorundgänge, zum Beispiel zum Thema Prostitution. „Wir waren schon immer überall: Sexarbeit im Bülowbogen“, erzählt von der langen Tradition, die der Straßenstrich an der Kurfürstenstraße hat. „In diesem Rundgang beanspruchen queere Sexarbeiter*innen die historische Staatsbürgerschaft“, heißt es in der App.

Die queere Geschichte Berlins reicht von Marlene Dietrich über den ersten CSD am 30. Juni 1979, bis hin zum Schwuz, dem ältesten queeren Clubs Deutschlands – und genauso vielfältig ist auch das Repertoire der „BerlinHistory-App“. 

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