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Die Bewohner:innen lieben ihren Blickfang. Das Herz ist winterfest.

© Happy Visuals/Göteborg

Stadtspaziergang in Göteborg: Wie sanfter Tourismus Spaß macht

Zum sechsten Mal in Folge erreichte Göteborg den ersten Platz in einem viel beachteten internationalen Nachhaltigkeitsranking. Was merken Besucherinnen davon? 

In eine Stadt, die stolz ist auf ihre Nachhaltigkeit, fliegt man nicht. Wie kommt man dann von Berlin aus nach Göteborg? Ganz einfach. Mit dem ICE nach Hamburg und von dort weiter mit dem Regionalzug nach Kiel.

Vom Bahnhof sind es nur 800 Meter bis zur Fähre von Stena Line. Um 18.45 Uhr fährt das Schiff los und legt am kommenden Morgen pünktlich um 9.15 Uhr im Hafen von Göteborg an. Ein Taxi, natürlich elektrisch, bringt uns zur gebuchten Unterkunft.

Das Eggers, mitten am zentralen Platz Drottningtorget gelegen, ist eins der ältesten Hotels Schwedens. Als einfaches Bahnhofshotel 1859 erbaut, wurde es gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur eleganten Herberge umgebaut.

Heute ist es ein exzellentes Vier-Sterne-Hotel mit 69 Zimmern. Keins sieht wie das andere aus, jedes ist individuell, oft mit antiken Möbeln ausgestattet. Dazu kommen üppig gerahmte Ölgemälde, große Spiegel, gemütliche Sofas. In der Lobby sitzt man bei Kerzenschein.

Recyceln, so viel es geht.

Jessica Vialleton, Eggers-Managerin

Den gesamten Energiebedarf deckt das Hotel durch eine eigene Windkraftanlage. „Manche Gäste zweifelten schon daran, weil sie kein Windrad vor der Tür gesehen haben“, sagt Managerin Jessica Vialleton schmunzelnd. Natürlich müsse die Anlage nicht im Zentrum stehen, um dem Haus Energie zu liefern.

90 Prozent der Hotels haben ein Ökolabel

Das Eggers trägt, wie viele andere Hotels in Göteborg, das Ökolabel Swan. 1989 wurde es in den nordischen Ländern für Produkte, Betriebe und Gebäude eingeführt. Es dient Verbrauchern zur Orientierung, geht vielen aber nicht weit genug. „Wir wollen den Standard noch erhöhen“, sagt Vialleton. Eine Maßnahme: „Recyceln, so viel es geht.“

Verschiedene Mülleimer in den Zimmern zu platzieren, in denen die Gäste ihre Abfälle selbst vorschriftsmäßig entsorgen, komme für ein Haus wie das Eggers nicht in Frage. Plastikbehälter mit blauen, gelben oder roten Deckeln in den gediegen eingerichteten Zimmern, das passe einfach nicht. Die praktizierte Alternative: „Unser Personal trennt den Müll.“ Das klappe hervorragend. Vielleicht auch, weil die Reinigungskräfte direkt beim Hotel angestellt sind. „Manche sagen uns, sie hätten das Gefühl, als ob sie bei sich zu Hause saubermachen.“

Viel Wert legt man darauf, Lebensmittel nicht zu verschwenden. „Deshalb haben wir im Restaurant vor einiger Zeit kleinere Portionen eingeführt“, erzählt Vialleton. „Wir sagen unseren Gästen aber klar, dass sie gern mehr haben können, wenn sie möchten.“ Den Leuten gefalle dieses Konzept. Auch beim Frühstücksbuffet wird lieber häufiger nachgelegt, als opulent gefüllte Platten hinzustellen, von denen später vieles entsorgt werden müsse.

Secondhand-Safaris für Modefans

Göteborg, die zweitgrößte Stadt Schwedens, hat im Kern nur knapp eine halbe Million Einwohner. Im Großraum leben noch einmal so viele. Der Verkehr hält sich in Grenzen, die Autos fahren langsam – und leise.
Viele haben einen Elektroantrieb. „Im Zentrum gibt es schon längst keine normalen Tankstellen mehr“, sagt Ricky Sokhi von Göteborg Tourismus. Ladestationen für E-Autos sind dagegen reichlich vorhanden. Auch das Hotel Eggers bietet seinen Gästen eigene an.

Wer nicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sein will, nimmt die Tram. Zwölf Linien erschließen das Stadtgebiet bis an seine Ränder, die Taktzahlen sind kurz.

Gerade hat Göteborg neue, längere Fahrzeuge bestellt, um den Passagieren mehr Platz und Bequemlichkeit bieten zu können. Die ersten sollen in diesem Jahr zum Einsatz kommen. Eine sinnvolle Maßnahme, denn zu Stoßzeiten können die Trams recht voll werden.

Die Luftfracht generiert gegenüber der Seefracht das Zwanzigfache an Emissionen.

Icebug, Unternehmenswebsite

In der Innenstadt kommt man zu Fuß zurecht. Viele Cafés, kleine Geschäfte und Boutiquen prägen das Bild. Einkaufen macht Spaß in Göteborg, aber ist das nachhaltig? Wir betreten einen Laden mit schönen Kleidern, hübsch gemusterten Pullovern und coolen Hosen. Schwedische Labels, oft ansprechend nach Farben sortiert. „Alles Secondhand“, sagt Petra Gamerdinger von Göteborg Tourismus. 125 dieser Vintage-Läden gebe es im Großraum Göteborg, fügt sie hinzu.

Das Auffällige an diesen Geschäften: „Die Ware wird besonders schön präsentiert.“ Um das Angebot noch interessanter zu machen, bietet Göteborg sogenannte Secondhand-Safaris an. In kleiner Gruppe und gegen Entgelt kann man dabei, gemeinsam mit einem Stylisten oder einer Stylistin, mehrere Läden hintereinander erkunden. So sei das typgerechte Outfit leichter zu finden.

Wer lieber neue Produkte wählt, findet in Göteborg vieles, was aus recyceltem Material hergestellt ist. So bietet die Firma Icebug zum Beispiel Outdoor Schuhe an, deren Obermaterial aus recyceltem Polyester besteht. Die Kappen sind mit recyceltem Kunststoff verstärkt, die Zwischensohlen gepolstert mit einem Schaumstoff aus Algen. Produziert werden die Schuhe in Vietnam, unter Beachtung der von der Organisation Fair Wear Foundation aufgestellten Regeln. Dazu gehören auskömmliche Löhne und gute Arbeitsbedingungen. Die Firma Icebug forciert aber auch den Ausbau von Solardächern auf den Produktionsstätten.

Die Website des Unternehmens (icebug.de) listet auf, wie man die Nachhaltigkeitsziele verfolgt. So verzichte man auf Luftfracht, denn die „generiere gegenüber der Seefracht das Zwanzigfache an Emissionen“. Der ökologische Verbrauch bei der Herstellung eines Paar Icebug Schuhe betrage zur Zeit 11,9 Kilogramm CO₂, bis Ende 2030 soll er unter 6,4 Kilogramm fallen.

Saisonales von den schwedischen Bauernhöfen

Wer in Göteborg klimabewusst speisen will, hat die Qual der Wahl. Es gibt etliche vegetarische Restaurants wie etwa das angesagte Ilse Grøn Krog, nordische Sterneküche wie im Bhoga oder experimentelle Regionalküche im Vilda. Was auf die Speisekarte kommt, soll die Jahreszeiten widerspiegeln. Im Bhoga kocht man daher, was gerade von den schwedischen Bauernhöfen geliefert wird und auch im Vilda richten sich die Köche nach dem saisonalen, regionalen Angebot.

Chefin Camilla Simonsson serviert das Dessert mit Buttermilcheis und erklärt dazu: „gesüßt mit Honig, von Bienen aus meinem Garten“. Im Vilda gibt es auch Fleischgerichte. „Aber ausschließlich Wildfleisch“, sagt Simonsson. Elch, Rentier oder Hirsch.

Alles hängt in Göteborg mit allem zusammen, so scheint’s. In der Västergården Keramikfabrik fertigt Mia Martinius seit gut 30 Jahren Teller, Tassen und Schalen. Geschirr, auf dem in vielen Lokalen Göteborgs später feine Kreationen serviert werden. Mia führt den Betrieb mit ihren drei erwachsenen Kindern.

Kein Becher, der hier entsteht, gleicht dem anderen aufs i-Tüpfelchen. Während der ein oder andere ausländische Interessent die Unterschiede in Nuancen schon mal moniert habe, schätzten ihre schwedischen Kunden gerade das als Wert. Ist eben Handarbeit.

Jeder Teller wird von Hand geformt.

© Västergården

Altes wird in Göteborg nicht abgerissen, sondern renoviert und neu gestaltet. Das Schifffahrtsmuseum mit integriertem Aquarium ist ein gutes Beispiel dafür. Früher gab es hier kleinere Glasbehälter mit Fischen und Meerestieren – wie an vielen Orten der Welt, erzählt Wissenschaftler Björn Källström. Nun zeigt er stolz das Ocean Lab.

In einem riesigen Aquarium, in das 400 000 Liter Wasser geflossen sind und 30 Tonnen Korallensteine Stück für Stück geschichtet wurden, kann man dem Riff beim Wachsen zusehen. Besucher sind eingeladen, in verschiedenen Behältern selbst Messungen durchzuführen. So erkennen sie einmal mehr, wie fragil und schützenswert der Ozean ist. Für Kinder gibt es eigene große Bereiche, in denen sie spielerisch an die Materie herangeführt werden.

Dem Riff beim Wachsen zusehen.

© Kristin Lidell/Sjöfartmuseetakvariet.se

Von jedem Schiff, das einst in Göteborg gebaut wurde, hatte man früher ein Modell angefertigt. Das Gros dieser faszinierenden Sammlung lagert nun allerdings im Depot. „Wir haben nur noch 30 ausgestellt“, sagt Källström, darunter etwa die „Finland“ die 1761 nach Ostindien segelte. Jetzt stellt sich das Museum den Herausforderungen der Zukunft, für die der Zustand der Meere eine immense Rolle spielt.

Auch der Botanische Garten, 1923 als der größte in Europa eingeweiht, wird modernisiert. Ein neues Gewächshaus entsteht, das weniger Energie verbraucht. An den schmalen, teils steilen Pfaden im beeindruckenden Areal wird indes nichts geändert. „Wir können leider nicht alles barrierefrei gestalten“, bedauert Chefin Agneta Green. Der Garten ist ein beliebter Park in Göteborg. Eintritt wird nicht erhoben, Pflanzen und ihre Geschichte sollen für jedermann zugänglich sein.

Im Winter eben mit Mütze ins Meer.

© Hella Kaiser

Es ist nicht weit bis zum Meer in Göteborg. Was kann man dort jetzt tun? An einem grauen, kalten Tag? „Winterbaden“ sagt Petra Gamerdinger. An diesem Sonnabendvormittag sind wir nicht die einzigen in Fiskebäck. Immer mehr Menschen kommen, ziehen Mäntel, Pullover und Hosen aus, um in Badebekleidung ins Wasser zu gehen.

Nicht einer zögert, keine jammert. Fast alle lassen im Wasser die Wollmützen auf dem Kopf, denn dort, so erklärt Gamerdinger, friere man ja am schnellsten. Draußen sind 3,8 Grad, die Wassertemperatur beträgt 1,6 Grad.

Alles kein Problem. Hinterher gießen sich manche heißes Wasser aus der Thermoskanne über die eiskalten Füße – und fühlen sich, so scheint es, pudelwohl. „Es ist herrlich erfrischend“, sagt Gamerdinger und schraubt eine weitere Thermoskanne mit heißem Kaffee auf. Nachhaltiger (und preiswerter) kann man sich nicht vergnügen in Göteborg.

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