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Michael Wendler, Holocaustverharmloser und Hetzer.

© dpa

Resozialisierung von Wendler, Naidoo & Co.: Wann verzeihen wir den Hetzern?

Der schäbige Versuch von RTL2, einen Holocaustverharmloser ins TV zu bringen, ist gescheitert. Ob Hetzer den Weg zurück in die Gesellschaft finden, liegt an ihnen.

Ein Kommentar von Sebastian Leber

Vergangene Woche wollte der Sender RTL2 den Hetzer Michael Wendler ins deutsche Fernsehen zurückbringen. Dank öffentlichem Druck scheiterte der Plan.

Einerseits erfreulich, dass Reflexe und Wertekompass der Zivilgesellschaft funktionieren und den Schmuddelsender rasch zum Umdenken zwangen. Andererseits stellt sich die Frage, wie es mit Gestalten wie dem ins Lager der Verschwörungslügner abgedrifteten Schlagersänger langfristig weitergehen soll.

Müssen diese ewig in dem gesellschaftlichen Abseits, in das sie sich selbst begeben haben, verharren? Oder sollte die vernünftige Mehrheit ihnen die Hand reichen, sie wieder teilhaben lassen, sofern sie ihren Hass hinter sich lassen und in ihr altes Leben zurückkehren wollen? Kurz: Wann ist es Zeit, den Schwurblern zu verzeihen?

Zum Glück muss diese Debatte nicht bei Null beginnen. Es gibt hilfreiche Erfahrungswerte im Umgang mit Nazi-Aussteigern. Für Schwurbler sollten dieselben Anforderungen gelten. Dazu gehört, die Opfer der eigenen Hetze öffentlich um Entschuldigung zu bitten. Mit aller Kraft zu versuchen, angerichteten Schaden gutzumachen. Konkret zu erklären, welche seiner Aussagen man bedauert, wo man falsch lag und wieso. Und nicht zuletzt: sämtliche Strukturen, Finanzströme und Hintermänner offenzulegen.

Mit all dem müssen die angeblich Reumütigen in Vorleistung gehen. Vorher gibt es keinen Grund, ihnen Vertrauen zu schenken, sie teilhaben zu lassen oder am Ende gar zu rehabilitieren. Nicht jetzt und nicht in zehn Jahren.

Wendlers Stellungnahme ist unaufrichtig wie nutzlos

Nichts von diesen Dingen hat Michael Wendler getan. Sein vages „Von einigen meiner Äußerungen der Vergangenheit möchte ich mich klar distanzieren“, das RTL2 in seiner Doku-Ankündigung verbreitete, geriet so unaufrichtig wie nutzlos. Meinte Wendler die von ihm betriebene Holocaustverharmlosung? Oder seine Panikmache, als er die Prophezeiung teilte, alle Geimpften würden binnen Monaten sterben? Oder die russische Kriegspropaganda?

Einen ähnlichen Trick versuchte voriges Jahr bereits Xavier Naidoo, der verkündete, er habe sich „teilweise“ auf Irrwegen befunden und mit „manchen“ Äußerungen „Menschen vor den Kopf gestoßen und verletzt“. Klingt harmlos und verzeihbar. Welch ekelhaften, drastischen Antisemitismus er jahrelang verbreitet hatte, verschwieg der Sänger. Auch hierauf fiel die Öffentlichkeit nicht herein. Naidoo steht bis heute auf keiner Bühne, sitzt in keiner Talkshow, wird weiter geächtet. Gut so.

Steigbügelhalter aus Profitgier

Da sich mit Rassismus und Verschwörungsgefasel auf Telegram immer weniger Geld verdienen lässt, wird die Zahl der Extremisten, die nun aus eigener Bequemlichkeit in die Mitte der Gesellschaft zurückkehren möchten, in den kommenden Monaten zunehmen. Und es wird Steigbügelhalter geben, die dabei helfen, sei es aus Profitgier, Unkenntnis oder Gleichgültigkeit. RTL2 bat nach dem Hereinbrechen der öffentlichen Empörung nicht etwa um Entschuldigung für das unanständige Vorhaben des Senders, sondern lediglich für den Fall, dass man „Gefühle verletzt“ habe.

Der Wendler-Eklat ist auch ein Desaster für Konstanze Beyer und Malte Kruber, die gerade erst ihre Posten als Programmdirektoren angetreten haben. Beide waren bei ihrer Vorstellung vom Geschäftsführer gelobt worden, sie könnten „mit großer Sensibilität und dem richtigen Gespür wichtige Themen und bewegende Geschichten erzählen“.

Die Anfrage des Tagesspiegels, ob sich Malte Kruber vorab über die Hetze von Michael Wendler informiert hat und wie man es für eine gute Idee halten konnte, einen Holocaustverharmloser zum Star eines RTL2-Formats zu machen, beantwortet Kruber nicht. Auch die Frage, ob ihm Mitarbeiter vorab von dem Projekt abgeraten haben und wie er darauf reagierte, beantwortet Malte Kruber nicht.

Wie verlogen Michael Wendler ist, offenbarte er direkt nach der Blitz-Absetzung seiner Doku. Da wollte sich der Täter als Opfer inszenieren und klagte auf Twitter: „Warum verwehrt man mir die Möglichkeit, mich für vieles Ausgesprochene zu entschuldigen?“ Als ob es die Bühne einer Fernsehsendung bräuchte, um mit dem Abtragen der eigenen Schuld zu beginnen. Die Reihenfolge ist andersherum.

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