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Die  MITFAHRER: Todesgefahr und Edelholz

Strecke: Stuttgart–Hamburg, 596 km Dauer: 6 Stunden Auto: Mercedes 500 SE Insassen: 4.

Sie hielten mich für einen Zuhälter. Möglicherweise wurden sie während der Fahrt unsicher und dachten, ich könnte auch mit osteuropäischen Frauen handeln. Ab Frankfurt überlegten sie wohl, ob ich nicht doch in Drogen mache, wahlweise gestohlene Waffen in Krisengebiete verkaufe.

Dass meine drei Mitfahrer so schlecht über mich dachten, lag am Auto. Ich saß in einem neuen Mercedes, der innen werksfrisch roch, obwohl, was heißt da: Wagen. Es war ein Panzerkreuzer, der Aufsehen erregte, als tuckere die MS Europa über den Ku’damm. Die Stuttgarter hatten 1991, mitten in der schönsten Ökodebatte, einen 500 SE vom Band rollen lassen, dessen technische Daten einen erschauern ließen. Gute 25 Liter Spritverbrauch! Gewicht 2,65 Tonnen! 326 PS! Von 0 auf 100 in 7 Sekunden!

Mein SE war bordeauxrot. Ich überführte ihn nach Norden, wo er für das Magazin „Sports“ getestet wurde. Allein die Extras in diesem Modell: 35 831,20 Mark. Die Sitze waren elektronisch verstellbar, 1083 Mark. Ich hielt es für eine gute Idee, nachdem ich das Daimler-Werk verlassen hatte, auf Raststätten nach Trampern zu fahnden. Sie würden kostenlos in einem Luxusgefährt an ihr Ziel schweben.

Ich fand ein junges Paar mit Zeichenmappen, das auf dem Rücksitz Platz nahm. Neben mir verkrampfte sich eine Studentin, Erstsemester. Der Motor – Fünf-Liter-V8, 32 Ventile – schnurrte fast unhörbar. Wenn ich Gas gab, wurden wir wie Astronauten in die Sitze gedrückt, 250 km/h waren ein Kinderspiel. Doch meist steuerte ich in mäßigem Tempo, und wenn uns ein Porsche oder BMW überholte, traten die Fahrer auf die Bremse und starrten unsere Monsterkarosse staunend an. 5,11 Meter Länge, Kaufpreis 123 006 Mark.

Die jungen Mitfahrer, ich sah es ihnen an, rätselten. Ich hatte, frisch vom Urlaub zurück, lange, strohblonde Haare, zerschlissenes T-Shirt, Jeans, Birkenstocksandalen. Ich erzählte, um sie durch eine vertrauensbildende Gesprächsmassage aufzulockern, ich sei Journalist. Sie sahen das Armaturenbrett aus Edelholz und glaubten mir nicht. Ich drückte, um den Altersunterschied musikalisch einzuebnen, The Clash in den Schlitz, London Calling. Auf dem Rücksitz wurde geflüstert, die Frau vom Beifahrersitz saß im Verspannungskoma und schaute nie nach links. Ich gab eine Runde Cola aus, es half nichts. Die drei sahen ihr Ende nahen, nur der Grad meiner kriminellen Grausamkeit lag noch im Ungewissen.

In Hamburg sagte ich generös, ich würde jeden nach Hause fahren. Der Rücksitz rief „Hier wohnen wir!“ und sprang aus dem Auto. Der Beifahrersitz rief „Ich auch!“ und hüpfte hinterher. Ich war ihnen nicht böse. Norbert Thomma

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