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Gesundheit: 100 Jahre Kabarett: "Lachen ist immer gut"

Sie verbeißen sich ineinander wie zwei wilde Hunde. Die Kabarett-Fraktion fletscht die Zähne und schreit: "Ihr seid zu flach, zu unpolitisch, zu spaßig.

Sie verbeißen sich ineinander wie zwei wilde Hunde. Die Kabarett-Fraktion fletscht die Zähne und schreit: "Ihr seid zu flach, zu unpolitisch, zu spaßig." Die Comedy-Komiker giften zurück: "Und ihr zu oberlehrerhaft, zu altbacken, zu selbstgerecht". Der Kampf ist noch längst nicht entschieden - und wurde auf einem internationalen Symposium, das in der Berliner Akademie der Künste anlässlich des 100. Kabarett-Geburtstages stattfand, auch munter weitergeführt. Mit Argumenten natürlich, mit Analysen und - wie es sich für ein Jubiläum gehört - mit einigen vielsagenden Blicken zurück.

Wer die Anfänge des Kabaretts betrachtet, kann durchaus zu der Einschätzung gelangen, dass die aktuelle TV-Comedy sich näher am Ursprung des Kabaretts bewegt als das politisch-kritische Kabarett eines Dieter Hildebrandt. Das Berliner "Überbrettl", das am 18. Januar 1901 von Ernst von Wolzogen gegründet wurde und als erstes deutsches Kabarett gilt, war alles andere als eine "engagierte" Bühne. Von den Brettern des "Überbrettls" aus wurde weder auf politische Missstände geschossen, noch wollte man gesellschaftskritische Strömungen ins Publikum leiten. Das Programm bestand aus Nummern und Liedern überwiegend erotischen Inhalts.

"Auch die künstlerisch ambitionierte Gründungsphase des Kabaretts fand im Erotischen einen geistigen Nenner", sagte der Germanist Peter Sprengel (FU), der zusammen mit Joanne McNally (London) die Tagung organisierte hatte. Der "Überbrettl"-Dichter Otto Julius Bierbaum wünschte sich "Gedichte, die vor einer erheiterungslustigen Menge gesungen werden mögen". Nichts von moralischer Ernsthaftigkeit also. Auch ein Karl Valentin spielte vorzugsweise mit - dadaistisch verfremdeten - clownesken Elementen und hatte mit Sozialkritik nichts am Hut. Vielmehr "entlarvte er die komische Tragik der Kleinbürgerexistenz" (David Robb, Belfast).

Die Tagungsleiter hatten gut daran getan, auch einen Praktiker einzuladen. Aus Köln kam Dietmar Jacobs, der sowohl für "ehrwürdige" Gruppen wie das "Kom(m)ödchen" als auch für TV-Comedy schreibt. Diese Doppeltätigkeit sagt schon alles über seine Meinung. Es sei eine "künstliche Unterscheidung", eine "typisch deutsche Manier, in U- und E-Kunst zu teilen." Für Jacobs gibt es nicht: hier gutes Lachen und dort schlechtes. "Lachen ist immer gut." Und was die Kritiker angeht - würde man heute Dada-Texte bringen, würde der "Spiegel" das "unter Garantie als kulturlosen Ulk beschimpfen". In der heutigen Entpolitisierung sieht Jacobs die "Rückkehr zu den Anfängen" - und er wundert sich über diese Richtung nicht, denn "politisches Kabarett war immer nur in Zeiten großer Ereignisse stark." Er nennt den Krieg, die 68er-Unruhen, die Nachrüstung. Heute fehle einem entweder der Gegner oder der Durchblick: "Wer durchschaut denn schon die Gentechnik?!" Nicht vergessen dürfe man, dass an Kohl 16 Jahre lang "jeder Witz abgeprallt" sei: "Es ist offenbar unmöglich, etwas zu bewirken."

Was bewirkt Kabarett?

Der Nachweis von kabarettistischer Wirksamkeit ist ohnehin schwierig. Erst recht, wenn die Absicht aus Gründen der Zensur verschleiert werden muss. "Beim camouflierten Schreiben hängt alles von der Aufmerksamkeit und der Aufnahmefähigkeit des Publikums ab", sagte Irmela von der Lühe (Göttingen). Und das war nicht nur in der DDR so, wo auch Unterhaltungsprogramme eine politische Funktion haben konnten und man sich die Pointen selber herauszog und "passend" machte. Die 1933 von Erika Mann gegründete "Pfeffermühle", die nach nur zwei Monaten in die Schweiz exilieren musste, pflegte auf ihren Tourneen einen sehr "allegorischen Stil" und hielt sich an den "Grundsatz der Indirektheit", da sie von den dortigen Behörden sowie deutschen Gesandtschaften beobachtet wurde. Nach einem von den Deutschen verlangten Verbots-Antrag hieß es: "Die raffinierte Art der Texte bietet keinerlei Handhabe". Aber natürlich verstand das Publikum, wenn da eine Dame namens "Dummheit" auf der Bühne stand...

Direkter ging es im Rundfunk-Kabarett der BBC zu. Kritisches Kabarett wurde hier zwar als Teil der psychologischen Kriegsführung instrumentalisiert, blieb aber dadurch in Deutschland lebendig und war für Millionen Menschen "Mittel des geistigen Überlebens" (Uwe Naumann, Hamburg). In ihrem Tagebuch spricht Anne Frank von der "Wunderstimme aus dem Äther", und auch viele Briefe an die BBC belegen die Bedeutung dieser Spots, die zwischen 1940 und 1945 ausgestrahlt wurden. Da gab es "respektlos-subversiven Tratsch", der vor allem an die Frauen gerichtet war, oder die Erzählungen des Gefreiten Adolf Hirnschal, "der die Propagandasprüche, indem er sie wörtlich nahm, ad absurdum führte". Diese Figur stand in der Tradition des braven Soldaten Schwejk. Doch auch hier sei es "nie zu rekonstruieren, inwieweit die Sendungen zu oppositionellem Handeln geführt haben".

Heute sucht sich das Kabarett ganz neue Spielorte und geht zum Beispiel zu Managerkonferenzen. Malte Leyhausen (Heidelberg) nimmt als Unternehmenskabarettist firmeninterne Strukturen und Fehler auf die Schippe. Der Sinn dieser Einlagen besteht darin, Ängste abzubauen und ein vertrauensvolles Klima zu schaffen. "Jeder Chef gewinnt an Glaubwürdigkeit und Achtung, wenn er solch einen Unruheherd in seiner Firma toleriert." Kabarett - ganz modern, in Nadelstreifen. Wer hätte das gedacht - der Witz bekommt sogar die Tür zur Chefetage auf. Wie der Kampf zwischen Comedy und Kabarett ausgeht? Voraussagen sind kaum möglich, Wetten werden noch angenommen. Noch sind beide bei Kräften. Vielleicht sehen die Kampf-Hunde ja auch eines Tages ein, dass sie mit diesem Beißen nur Kraft vergeuden. Kraft, die der Qualität der Programme zugute kommen könnte - hier wie dort.

Tom Heithoff

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