zum Hauptinhalt
Hoffest des Tagesspiegels am 3.10.2022, Askanischer Platz 3 in Berlin.

© TSP/Lydia Hesse

Chefarzt-Sprechstunde beim Tagesspiegel-Hoffest : Das waren die Top-Antworten

Vom Corona-Medikament bis Kaiserschnitt, vom Affenpocken-Impfstoff bis Bauchspeicheldrüsenkrebs, von Angststörung bis zur Augenoperation und von der Herztransplantation bis zur Prostata-OP.

Zum Tag der Deutschen Einheit hat der Tagesspiegel Leserinnen und Leser zum Hoffest aufs Verlagsgelände am Askanischen Platz geladen, um dort das neue Konzept der Tageszeitung inklusive neuem Blattformat vorzustellen. Teil des vom Tagesspiegel zu diesem Anlass organisierten Bühnenprogramms war unter anderem die Chefarztsprechstunde, bei der die zahlreich erschienenen Gäste Fragen an Chefärztinnen und Chefärzte aus Berliner Krankenhäusern richten konnten, die in den regelmäßigen Umfragen des Tagesspiegels unter niedergelassenen Ärzten am häufigsten empfohlen wurden. Wir haben die wichtigsten Aussagen der Expertinnen und Experten für Sie zusammengefasst.

Herr Suttorp, das Anti-Corona-Medikament Paxlovid wurde nach seiner Zulassung Anfang des Jahres als möglicher Gamechanger in der Pandemie betrachtet. Bislang sind Ärztinnen und Ärzte jedoch zurückhaltend bei der Verschreibung. Und obwohl jetzt sogar Bundeskanzler Olaf Scholz damit behandelt wurde, ist Paxlovid ein Ladenhüter. Zu Recht?

„Olaf Scholz hat es richtig gemacht. Er ist schon allein aufgrund seines Alters ein Risikopatient. Und für diese Gruppe ist Paxlovid ein verdammt wirksames Medikament, das Schwere und Dauer der Erkrankung reduzieren kann. Dass es ein Medikament nur für Reiche sei, ist natürlich Unfug, denn jeder kann es bei entsprechender Indikation bekommen.

Hausärzte, die Paxlovid verschreiben wollen, müssen bei den Patienten vorher abfragen, welche Medikamente diese noch nehmen, und ein paar Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten beachten. Das ist aber innerhalb von fünf Minuten gemacht. Bei 95 Prozent der Menschen ist Paxlovid völlig unkritisch zu nehmen. Und es ist sehr wirksam. Zum Vergleich: Gegen Influenza haben wir das Medikament Tamiflu. Das hat ein paar PS. Aber bei Corona hat Paxlovid viel, viel PS.“


Herr Stocker, vor Kurzem hat Professor Leif Erik Sander von der Charité darauf hingewiesen, dass bisher wenig bekannt sei über die Wirksamkeit des Impfstoffes, der zum Schutz vor Affenpocken zugelassen ist. Warum kommt der Impfstoff trotzdem schon zum Einsatz?

„Nun ja, wir wissen schon, dass der Impfstoff verträglich ist und wahrscheinlich wirkt. Es ist jedoch nicht im Rahmen einer formalen Studie untersucht worden, weil der Impfstoff für einen anderen Zweck konstruiert worden ist (nämlich für die klassischen Pocken, Anmerkung der Redaktion).

Herr Sander unternimmt derzeit gemeinsam mit einem großen Netzwerk von infektiologischen Schwerpunktpraxen den Versuch, den formalen Beweis anzutreten, dass die Impfung mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vor Infektion oder Erkrankung schützt. Normalerweise steht eine solche Studie immer vor einer Zulassung. Weil die Not bei den Affenpocken so groß war, gab es die Studie jedoch nicht. Trotzdem geht man davon aus, dass eine Wirkung da ist. Und das sieht man ja auch schon in der Praxis.“


Frau Cataldegirmen, viele Bereiche der Krebsmedizin liefern seit Jahren Erfolgsmeldungen hinsichtlich Früherkennung und neuer Therapien. Unterdessen verläuft gerade der Bauchspeicheldrüsenkrebs noch immer häufig schnell und tödlich. Wieso geht es bei diesem Thema so schleppend voran?

„Das Problem beim Bauchspeicheldrüsenkrebs ist, dass er erst sehr spät Symptome macht und diese oft unspezifisch sind. Wenn die Symptome dann da sind und Patienten den Hausarzt, Chirurgen oder Onkologen aufsuchen, sind bereits 80 Prozent von ihnen nicht mehr operabel. Denn die Tumoren sind sehr aggressiv, das heißt, sie wachsen schnell. Außerdem streuen sie früh in andere Organe. Teilweise wachsen sie auch in Blutgefäße hinein. Und diese oft lebensnotwendigen Gefäße kann man nicht operieren.

Screeningmethoden, mit denen man frühzeitig ein gewisses Risiko für Krebs voraussehen kann, gibt es für den Bauchspeicheldrüsenkrebs genauso wenig wie eine geeignete Vorsorge.“


Herr Falk, seit März 2022 gilt in Deutschland ein neues Gesetz, das das Thema Organspende regelmäßig ins Bewusstsein der Menschen bringen und die Organspendebereitschaft in der Bevölkerung stärken soll. Noch immer ist jedoch die Zustimmung des Einzelnen erforderlich. Spüren Sie durch das Gesetz eine Veränderung bei der Spendebereitschaft?

„Einen Unterschied merken wir noch nicht, dazu ist es jetzt noch zu früh. Ich glaube aber auch, dass das Gesetz nicht weit genug geht. Denn leider ist die Widerspruchsregelung, bei der alle erst mal als Spender gelten, es sei denn, sie widersprechen dem, 2020 im Bundestag gescheitert. Durch die aktuelle Regelung verlieren wir nach wie vor sehr viele potenzielle Spender. Denn es ist oft nicht ermittelbar, ob der Verstorbene zu Lebzeiten zugestimmt hätte, und die Angehörigen sind verunsichert.

Solange wir es nicht schaffen, eine Widerspruchsregelung einzuführen, wird sich an diesem Bild wahrscheinlich auch nichts verändern. Eines muss man ganz klar sagen: Deutschland würde heute nicht aufgenommen werden in Eurotransplant, also die Gruppe von Ländern, die europaweit Organe vermittelt. Denn wir sind das einzige Land, das eine Zustimmungsregelung hat. Wir sind Netto-Empfänger oder -Importeur von Organen aus anderen Eurotransplant-Ländern, die mehr Spenden haben.“


Herr Abou-Dakn, die Zahl der Kaiserschnitt-Entbindungen hat sich in Deutschland innerhalb der letzten 30 Jahre in etwa verdoppelt. Ist das eine gute Entwicklung?

„Aus Sicht der Gesundheit für Mutter oder Kind ist der Kaiserschnitt keine Alternative zur normalen, vaginalen Geburt. Früher dachten wir, dass das Risiko dieses Eingriffs vor allem bei der Mutter liege und er fürs Kind sogar nützlich sein könnte. Heute wissen wir aber, dass Kinder, die ohne medizinischen Grund per Kaiserschnitt geboren werden, durchaus Nachteile haben können. Seit ungefähr fünf Jahren sind wir deshalb weltweit und gemeinsam mit der WHO dabei zu diskutieren, wie wir erreichen, dass wieder möglichst viele Kinder zur Welt kommen, die nicht per Kaiserschnitt geboren werden müssen.

Der medizinische Hintergrund ist das Mikrobiom. Kinder, die per Kaiserschnitt geboren werden und bei denen vorher keine Geburtsbestrebungen da waren, kommen sehr steril auf die Welt. Es gibt jedoch eine ganze Menge von Erkrankungen, vor denen das Kind besser geschützt ist, wenn es frühzeitig, also im Mutterleib während des Geburtsaktes, mit dem Mikrobiom in Kontakt gerät. Dazu gehören zum Beispiel Asthma, Diabetes und diverse Darmerkrankungen.“


Frau Mahler, psychische Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren bereits deutlich zugenommen. Beobachten Sie nun, in Zeiten von Coronakrise, Ukraine-Krieg und Inflation, ein deutliches Mehr an Patientinnen und Patienten, die vor allem unter Angststörungen leiden?

„Die Angststörung ist ja eine unangemessene Überreaktion auf Situationen. Natürlich werden Ängste angesichts der Krisen derzeit mehr und die Inhalte bestehender Angststörungen ändern sich. Die Zahl der Angststörungen an sich steigt jedoch nicht. Da muss man sehr genau differenzieren. Wenn man aktuell zum Beispiel Zukunftsängste hat, ist das erst mal noch keine psychische Erkrankung.

Abgesehen von der derzeitigen Lage stellt sich bei psychischen Erkrankungen aber immer auch die Frage: Nimmt die Erkrankung tatsächlich zu oder nimmt lediglich unsere Sensibilität zu? Vielleicht werden auch manche Krankheiten weniger stigmatisiert, wodurch Menschen offener darüber sprechen und sich schneller Hilfe suchen

Gegen tatsächliche Angststörungen gibt es sehr gut wirksame Medikamente, die sogenannten Benzodiazepine. Die erzeugen jedoch gleichzeitig eine Abhängigkeit. Diese Medikamente sollte man in solchen Situationen auf gar keinen Fall geben.“


Frau Lehrich, eine wachsende Prostata macht im Alter bei vielen Männern zu schaffen, unter anderem führt sie zu Problemen beim Wasserlassen. Was hat sich die Natur bei diesem Wachstum eigentlich gedacht?

„Tatsächlich wächst ja nicht die ganze Prostata, sondern nur der innere Teil des Organs, der dann die Harnröhre einengt. Das betrifft rund 50 Prozent aller Männer, die älter als 60 sind, und sogar 80 Prozent aller Männer über 80. Damit ist die Prostatavergrößerung die häufigste Erkrankung des Mannes und auch eine Volkskrankheit.

Nichtsdestotrotz weiß man noch nicht im Detail, warum die Prostata wächst. Testosteron spielt jedoch definitiv eine Rolle, denn es zeigte sich, dass, wenn ein Mann kastriert ist, die Hoden also kein Testosteron mehr produzieren oder diese entfernt wurden, es dann keine Prostatavergrößerung gibt. Weiterhin besteht die Theorie, dass es zu einem Missverhältnis von Testosteron und Östrogenen kommt, wenn man älter ist. Östrogen wird im Fettgewebe produziert. Da ältere Menschen in der Regel über mehr Fett verfügen, wird dort mehr Östrogen produziert. Übergewicht ist daher ein eindeutiger Risikofaktor für eine vergrößerte Prostata.“


Herr Wachtlin, Kurzsichtigkeit betrifft zahlreiche Menschen, jüngere wie ältere. Längerfristig kann sie zu einem großen Problem werden, wenn sich nämlich infolge der Verlängerung des Augapfels, der der medizinische Hintergrund der Kurzsichtigkeit ist, durch Zugkräfte die Netzhaut ablöst. Wie kann man dem vorbeugen?

Kurzsichtige Menschen haben mehrere Probleme. Die Netzhautablösung ist eines davon, aber auch Augendruckprobleme oder Erkrankungen der Makula, also der Stelle des schärfsten Sehens, gehören dazu. Generell sollte man deshalb ab 50 einmal im Jahr zum Augenarzt gehen. Denn viele Augen- sind Alterserkrankungen nehmen von da an zu.

Eine Ablösung der Netzhaut ist ein Notfall und kann dazu führen, dass man die Sehschärfe verliert. Deshalb ist es wichtig, dass man möglichst früh einschreitet, wenn nämlich die typischen Warnsymptome auftreten. Blitze, dunkle Flocken und schwarze Punkte sind Anzeichen dafür, dass ein Netzhautloch entstanden sein könnte. Ein solches Loch lässt sich noch mit Laser oder Kälte behandeln. Wenn aber die Netzhautmitte, also die Makula, und mit ihr die Stelle des schärfsten Sehens einmal abgelöst ist, kann man zwar noch operieren, die Prognose ist jedoch viel schlechter.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false