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Gesundheit: Grabungen in der Krise

Viele alte Schätze im Irak oder im Libanon bleiben ungehoben. Die Kriege behindern die Archäologen

Nichts Neues in Assur! – meldet Peter A. Miglus auf der Internetseite seiner Ausgrabung im Irak. Seit 2001 kann der Archäologie-Professor am Zentrum für Altertumswissenschaften der Universität Heidelberg nicht mehr in der Hauptstadt des assyrischen Großreiches arbeiten. Der Krieg hat das gerade angelaufene Projekt jäh gestoppt. Jetzt arbeitet er am Schreibtisch die letzten Grabungsjahre auf. Das heißt: sichten, ordnen, publizieren – aber eben nicht graben.

Wie Miglus ergeht es derzeit vielen Archäologen. Krieg und bürgerkriegsähnliche Situationen verbieten wissenschaftliches Arbeiten vor Ort und lassen die Forscher um ihre Grabungsstätten bangen. Die Auswirkungen der Krisen sind unterschiedlich. Miglus irakische Kollegen berichten beim Besuch in Heidelberg, dass in Assur keine Raubgräber ihr Unwesen treiben und alles „in bester Ordnung“ sei, selbst das Grabungshaus sei noch intakt. Sein Marburger Kollege Walter Sommerfeld dagegen wird sich ein neues Betätigungsfeld suchen müssen: Seine Grabungsflächen im Süden des Irak sind inzwischen von Schatzsuchern durchlöchert wie ein Sieb. An anderen archäologischen Stätten, darunter in der zweiten assyrischen Hauptstadt Nimrud, bewachen bewaffnete Sicherheitsleute die gefährdeten Stätten.

Peter Miglus weist die Frage, ob er die Grabung in Assur – „mein Traum“, wie er sagt – aufgeben will, vehement zurück: „Auf keinen Fall! Irgendwann klappt es wieder.“ Der Archäologe war bei seinen letzten Arbeiten am Ausgrabungsort gerade der Eroberung Assurs durch die Meder auf der Spur: Im Süden gruben die Angreifer einen Tunnel unter die Stadtmauer, im Norden stürmten sie gegen das Haupttor, setzten es in Brand und drangen in Assur ein. Barrikaden aus Lehmziegeln in den Hauptstraßen und zugemauerte Seitengassen erschwerten zwar die Eroberung der Stadt, konnten sie aber nicht verhindern – 614 vor Christus wurde die Metropole des ersten Weltreichs verwüstet. Darüber wüsste man doch gern mehr. Miglus wird sich gedulden müssen, ist aber entschlossen, nach Assur zurückzukehren, „sobald ich da nicht mehr den Kopf verliere“.

Von Assur war noch nichts zu sehen, als im 4. Jahrtausend vor Christus im Süden Mesopotamiens Uruk durchstartete, die Stadt des Gilgamesch. Hier wurde die Schrift erfunden, hier rollte das erste Rad, hier starteten die Bürokraten ihren Eroberungszug um die Welt. In Uruk grub Margarete van Ess bis zum Irakkrieg. Die wissenschaftliche Direktorin der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin will Uruk nicht abschreiben, denn sie fühlt sich „jung genug, dass ich da noch mal hinkomme. Allerdings nicht in nächster Zukunft.“

Derweil überprüft Margarete van Ess immer wieder den Erhaltungszustand der Uruk-Ruinen anhand von Satellitenaufnahmen aus verschiedenen Jahren. Die bestätigen ihr, was auch „unser Wächter Muhhar bei einem Besuch in der DAI-Dependance in Bagdad jüngst berichtete: keine Raubgrabungen in Uruk“. Das ist beachtlich, denn in den Regionen rund um die antike Stadt holen die dort ansässigen Beduinenstämme alles Antike aus dem Boden. Die Ruhe in Uruk – van Ess: „meine Heimatruine“ – schreibt die Archäologin im Wartestand „der Aufmerksamkeit unseres Wächters zu und seinem Standing innerhalb seines Stammes“.

Glück scheint van Ess auch mit ihrer zweiten Auslandsarbeitsstätte zu haben. Die römische Tempelanlage in Baalbek ist bei den israelischen Angriffen auf den Südlibanon im Sommer offenbar nicht ernsthaft beschädigt worden. Die Archäologin plant bereits für das nächste Jahr gleich zwei Kampagnen, allerdings nur vorläufig. Denn wenn es im Libanon zum Bürgerkrieg kommt, „muss ich wohl die Segel streichen“.

Das gilt auch für Hermann Genz. Der deutsche Archäologe an der Amerikanischen Universität in Beirut erwartet im Libanon einen Bürgerkrieg – „und dann sehe ich hier keine Zukunft mehr“. Beeinträchtigt war er schon im Sommer. Seine Grabung im Süden des Landes musste er wegen der israelischen Bombardierungen einstellen. Sein Vorhaben im Norden – ein Siedlungshügel aus dem dritten Jahrtausend – führte er nicht weiter, „weil Buddeleien im Boden von der Luftaufklärung leicht als militärische Arbeiten missdeutet werden“. Der Hügel direkt am Meer hätte Auskunft geben können über den prähistorischen Handel, über die namenlosen Bewohner und die Beziehungen der Großmacht Ägypten zu den libanesischen Küstenstädten.

Selbst in Beirut hat Genz den Krieg miterlebt: „Die Bombardierungen hört man nicht nur, man spürt auch die Druckwellen.“ Zwar hatte er nun Zeit, Liegengebliebenes – Beiträge, Aufsätze, Anträge – am Schreibtisch zu erledigen, doch „zerrt die Situation auf Dauer an den Nerven, man ist nie voll konzentriert. Man versucht ständig, auf dem Laufenden zu bleiben, und sucht nach Nachrichten über den Verlauf des Krieges.“

Und dann gibt es da auch noch ein moralisches Problem, selbst für begeisterte Archäologen: „Wenn akut Menschen sterben, kann man sich nicht um Menschen kümmern, die schon 5000 Jahre tot sind“, sagt Hermann Genz. Da packt man lieber Pakete für Flüchtlinge.

Auf einer ganz anderen Ebene beschäftigt sich der Archäologe C. Brian Rose mit dem Krieg: Er will Soldaten vor ihrem Kriegseinsatz in geschichtsträchtigen Regionen archäologisch aufrüsten. Der Vizepräsident des Archäologischen Instituts von Amerika nutzte sein Forschungssemester an der American Academy in Berlin, um Mitstreiter zu gewinnen – zum Beispiel das DAI.

Brian Rose, im Nebenberuf CoAusgräber von Troja, berichtet von seinen Bemühungen, bei USMarines Verständnis für das kulturelle Erbe etwa des Irak und Afghanistans zu wecken. Insgesamt 15-mal haben Rose und Kollegen in den Vorbereitungscamps zwischen Vorlesungen über Giftgas und Suzidgefährdung über Archäologie referiert: „Alle liebten das.“ Rose fand schnell heraus, dass die Soldaten von der Geschichte des Irak oder Afghanistans keine Ahnung hatten, „aber sie kannten die Bibel“. Und so konnte er ihnen die südmesopotamische Stadt Ur als die Stadt Abrahams näherbringen und den Garten Eden zwischen Euphrat und Tigris lokalisieren. Das kulturelle Erbe Afghanistans „verkaufte“ er den Soldaten über die Feldzüge Alexanders des Großen. „Es geht um Bewusstseinsbildung, um das Wecken von Verantwortungsgefühl – um damit kleine Veränderungen in Gang zu bringen“, charakterisiert der Archäologe sein Anliegen. Und wenn er eine E-Mail aus dem Irak bekommt, in der ein Soldat von einem vereitelten Antikenraub berichtet, „dann hat das Programm Erfolg gehabt“. Die Vernichtung von unterirdischen archäologischen Artefakten in Babylon durch Parkplätze für Laster und Panzer kann Brian Rose damit natürlich nicht verhindern. „Aber es ist ja auch ein neues Programm“, wirbt er um Geduld für seine einzigartige Initiative.

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