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Mitglieder der republikanischen Partei feiern ihren Sieg bei der Wahl des neuen Verfassungsrats.

© AFP/JAVIER TORRES

Abstimmung in Chile: Ultrarechte schreiben die Verfassung neu

Am Sonntag wählte Chile zum zweiten Mal eine verfassungsgebende Versammlung. Aber es gibt kaum noch Vertrauen in den Prozess. Bei der Wahl hat das den Rechten in die Hände gespielt.

Eigentlich wollten sie gar keine neue Verfassung. Immer wieder hatten sich die Rechtsextremen in Chile gegen den Prozess ausgesprochen, der 2022 begann und dem Land einen neuen Staatsvertrag bringen sollte. Jetzt werden ausgerechnet sie diesen Vertrag schreiben.

Die rechtsextreme Partei „Partido Republicano“ hat am Sonntag die Abstimmung zum neuen Verfassungsrat gewonnen. Sie holten knapp 35,5 Prozent der Stimmen, in dem Gremium, das ein neues Grundgesetz erarbeiten soll – und werden damit künftig 22 der 51 Sitze besetzen. Das Parteienbündnis des linken Präsidenten Gabriel Boric landete mit 28,6 Prozent nur auf dem zweiten Platz.

Der erste Entwurf war vielen zu progressiv

Es ist bereits der zweite Anlauf für ein neues Grundgesetz: Den ersten Entwurf hatten Chiles Wahlberechtigte vergangenen September mit einer deutlichen Mehrheit von 62 Prozent abgelehnt. Vielen war das damals entworfene Dokument zu progressiv, sagen Expert:innen.

In dem damals noch aus 154 Mitgliedern bestehenden Konvent saßen mehr Frauen als Männer, mehr Linke als Rechte, und viele Indigene. Das Ergebnis sah entsprechend aus: Die neue Verfassung sollte unter anderem Gleichberechtigung von Frauen, mehr Umweltschutz und der indigenen Bevölkerung eine Selbstverwaltung garantieren.

Jetzt haben sich die Vorzeichen umgekehrt. Das neue 51-köpfige Gremium besteht aus 35 Männern, darunter lediglich ein indigener Vertreter, und 16 Frauen. 33 Sitze gehen dabei an rechte Parteien. Es ist der Gegenentwurf zum ersten Verfassungskonvent.

Die Stimmung im Land hat sich verändert – und die Republikaner nutzten das sofort für sich. Sie machten Wahlkampf mit Freiheit: für den Einzelnen und für Unternehmen. Der Staat soll wenig Eingriffsmöglichkeiten haben. Die rechtsextreme Partei befürwortet so auch die bisherige Verfassung von 1980, die aus der Zeit der Militärdiktatur Augusto Pinochets stammt.

Einige Mitglieder des „Partido Republicano“ – darunter der Parteigründer und ehemalige Präsidentschaftskandidat José Antonio Kast – verehren das Erbe des Diktators – vor allem das wirtschaftliche. Das neoliberale System Chiles, das in der aktuellen Verfassung zementiert ist, soll auch unter ihnen weiter existieren. Es wäre das Ende für den Plan des linken Präsidenten Gabriel Boric, aus Chile einen Sozialstaat nach europäischem Vorbild zu machen.

Ein wichtiges Thema: Sicherheit

Außerdem soll die nationale Sicherheit in der Vision der Rechten in einer neuen Verfassung eine große Rolle spielen. Schon im ersten Artikel soll sich Chile, so die Vorstellungen der Republikaner, dem Schutz der Bevölkerung vor Terrorismus, organisiertem Verbrechen und Drogenhandel verschreiben.

Die Partei reagiert damit auf Stimmungen in der Gesellschaft. Die Gewaltkriminalität im Land stieg zuletzt an. Einer Studie zufolge sind Kriminalität und Sicherheit die Themen, die die Chilen:innen mehr als alles andere umtreiben. Zwei Jahre zuvor waren Armut und soziale Ungleichheit auf Platz eins. Es war die Zeit, in der das Land am ersten Entwurf einer neuen Verfassung arbeitete.

Heute ist der erste Tag einer besseren Zukunft für unser Land.

José Antonio Kast, Vorsitzender der Republikaner

Seitdem sie den ersten Verfassungsentwurf abgelehnt hat, gibt es in der chilenischen Bevölkerung kaum noch Vertrauen in den Prozess. Neueren Umfragen zufolge hatten 70 Prozent kaum oder kein Interesse an diesem zweiten Anlauf. Bei der verpflichtenden Wahl am Sonntag gaben 21 Prozent der Wähler:innen einen ungültigen oder leeren Stimmzettel ab.

Republikaner Kast triumphierte am Sonntagabend: „Heute ist der erste Tag einer besseren Zukunft für unser Land“, sagte er. „Chile hat eine gescheiterte Regierung besiegt.“ Präsident Boric bemühte sich bei seiner Rede nach den Wahlergebnissen, optimistisch zu wirken, und appellierte an die rechten Kräfte. „Der erste Prozess ist unter anderem deshalb gescheitert, weil wir nicht wussten, wie wir denjenigen zuhören sollten, die anders dachten. Ich möchte die Republikanische Partei auffordern, nicht denselben Fehler zu begehen, den wir gemacht haben.“

Ende des Jahres wird die Bevölkerung über diesen neuen, zweiten Verfassungsentwurf abstimmen. Diejenigen, die sich 2020 eine neue Verfassung wünschten, werden sich darin aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wiederfinden. Soziale Proteste hatten den Prozess 2019 angestoßen. Die Demonstrant:innen prangerten damals vor allem das neoliberale Wirtschaftssystem und die große soziale Ungleichheit im Land an. Doch diese Euphorie ist vorbei.

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