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Der neu gewählte Präsident Luiz Inacio Lula da Silva steht vor großen Herausforderungen aufgrund der vielen Unruhen im Land.

© Reuters/Ueslei Marcelino

Brasilien vor dem Machtwechsel: Lula übernimmt ein zerrissenes Land

Lula da Silva wird am 1. Januar nächster brasilianischer Präsident. Seine Anhänger wollen eine Riesenparty, und Bolsonaros Parteigänger einen Militärputsch.

Er habe Chaos stiften wollen, sagte der verhinderte Attentäter der Polizei. Im Verlauf der Unruhen, so sein Kalkül, wäre der Ausnahmezustand verhängt worden und das brasilianische Militär hätte die Macht übernommen. So habe er den Amtsantritt von Inácio Lula da Silva zum Staatsoberhaupt Brasiliens verhindern wollen.

Wenige Tage bevor Lula da Silva am 1. Januar zum nächsten Präsidenten ernannt wird, haben Brasiliens Sicherheitskräfte einen Terroranschlag verhindert. Ein fanatischer Anhänger des ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro wollte einen Sprengsatz am Flughafen von Brasilia zur Explosion bringen, den er an einem Tankwagen angebracht hatte, der Kerosin transportiere.

Der Mann, ein 54-jähriger Tankstellenbesitzer aus dem nördlichen Bundesstaat Pará, war in die Hauptstadt gekommen, um an den Demonstrationen gegen den Sieg Lulas bei den Wahlen Ende Oktober teilzunehmen.

Umsturzpläne von rechts könnten Lulas Amtsantritt gefährden

In Brasilia und anderen Städten campieren seit Wochen Tausende fanatisierte Bolsonaro-Fans vor Militär-Kasernen und fordern einen Militärputsch. In der Hauptstadt mündeten die Proteste vor zwei Wochen sogar in nächtliche Straßenschlachten, bei denen die Bolsonaristen Busse und Pkw in Brand steckten und Straßen blockierten.

Die Camps werden vielfach von Unternehmern finanziert. Die Menschen dort haben sich in eine Blase aus Falschinformationen und Verschwörungstheorien begeben und teils sogar den Kontakt zu ihren Familien abgebrochen.

Der 54-jährige verhinderte Attentäter hortete eine Vielzahl an Waffen. Darunter waren mehrere Pistolen, zwei Schrotflinten, ein halbautomatisches Gewehr, mehr als 1.000 Schuss Munition und fünf Dynamitstangen aus dem Bergbau in Amazonien. Das Arsenal hatte er sich zugelegt, nachdem Bolsonaro die Waffengesetze liberalisiert hatte.

Ging die Polizei zunächst von einem Einzeltäter aus, so zeigt sich inzwischen, dass mindestens drei weitere Männer an den Anschlagsplänen beteiligt waren. Untersucht wird auch, woher das Geld für die Waffenkäufe stammte. In einem Waldstück außerhalb Brasilias fanden Sicherheitskräfte zudem 40 Kilogramm Sprengstoff in Plastiktüten und drei schusssichere Westen.

Bolsonaros Anhänger fordern einen Militärputsch.

© AFP/ Tercio Teixeira

Jetzt besteht große Verunsicherung, wie die Feier zur Amtseinführung Lulas gestaltet werden soll, zu der 300.000 Menschen erwartet werden und bei der namhafte Musiker auftreten. Soll Lula, wie es Tradition ist, in einem offenen Rolls-Royce durch die Menge fahren und den direkten Kontakt mit den Menschen suchen, so wie es auch seinem volksnahen Charakter entspricht?

Oder soll er in einem Fahrzeug mit Panzerglas zu seiner Ansprache gebracht werden, weil die Gefahr eines Anschlags besteht? Zu Letzterem rät sein Sicherheitsteam.

Um Bolsonaro bleibt es unerwartet ruhig

Wozu auch immer Lula sich entscheidet: Die Amtsübernahme wird am 1. Januar stattfinden. Die Befürchtungen vor einem Putsch, die Präsident Bolsonaro über Monate hinweg durch ambivalente Aussagen und haltlose Kritik am Wahlsystem befeuerte, haben sich nicht bewahrheitet. Brasiliens mit 34 Jahren noch junge Demokratie hat sich als stabil erwiesen, die Institutionen funktionieren und das Militär, das Bolsonaro nahe steht, ist ruhig geblieben.

Lula da Silva (links) gewann die Wahl im Oktober gegen Jair Bolsonaro (rechts).

© AFP/Nelson Almeida

Tatsächlich hat Bolsonaro seit seiner Wahlniederlage das Regieren komplett eingestellt und sich zurückgezogen. Er leidet unter einer Wundrose am Bein, einer offenen und schwerwiegenden Hautentzündung. War er zuvor so gut wie täglich auf allen Kanälen präsent – häufig mit provozierenden Aussagen und Beschimpfungen von Gegnern –, so hüllt er sich nun seit Wochen in Schweigen.

Bolsonaro hinterlässt chaotisch verwaltetes System

Es ist unwahrscheinlich, dass er seinem Nachfolger am 1. Januar die gelbgrüne Präsidentenschärpe umhängen wird, wie es Tradition wäre. Offenbar plant Bolsonaro, Neujahr in einer Luxusresidenz in Florida zu verbringen, die dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump gehört. Es heißt, Bolsonaro befürchte nach seinem Ausscheiden aus dem Amt ins Visier der Justiz zu geraten, die wegen mehrerer Verfassungsverstöße gegen ihn ermittelt.

Lula da Silva ist hingegen seit seinem Wahlsieg damit beschäftigt, ein Regierungsteam zusammenzustellen und Allianzen im Kongress mit rund 30 Parteien zu schmieden. Außerdem musste ein Übergangshaushalt verabschiedet werden, damit Brasilien im kommenden Jahr regierungsfähig bleibt.

Man hat den Eindruck, dass es kein Management gab und alles willkürlich entschieden wurde.

Geraldo Alckmin,  Ex-Gouverneur von São Paulo

Beim Zusammentragen von Zahlen und Daten stellte sich heraus, wie dilettantisch und amateurhaft die Bolsonaro-Regierung agiert hat. In vielen Behörden fehlen Unterlagen, es gibt Löcher in der Dokumentation. Der für den Übergang zuständige konservative Ex-Gouverneur von São Paulo, Geraldo Alckmin, sagte: „Man hat den Eindruck, dass es kein Management gab und alles willkürlich entschieden wurde.“

Das Chaos sei so groß, dass es nicht einmal möglich sei, Korruptionsfälle zu erkennen, weil keine Aufzeichnungen über irgendetwas existierten. Zu allem Überfluss hinterlässt Bolsonaro, der selbsternannte „Retter Brasiliens vor dem Kommunismus“, ein enormes Haushaltsloch.

Hohe Erwartungen an die Regierungsbildung

Lula da Silva, der Brasilien schon zwischen 2003 und 2011 regierte, muss zudem eine Vielzahl von Begehrlichkeiten befriedigen. Im Wahlkampf hatte er ein Bündnis aus Parteien und Persönlichkeiten von links bis ins liberalkonservative Zentrum geschmiedet.

Nun wollen alle ein Stück von der Macht abhaben, sei es in den Ministerien oder als Chefs von Behörden und Institutionen wie der Entwicklungsbank BNDES oder dem halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras.

34
Jahre alt ist Brasiliens Demokratie.

Er muss zudem ausreichend Frauen und Schwarze benennen, um seiner Regierung die versprochene Repräsentativität zu verleihen. Brasilien liegt in Südamerika an letzter Stelle, wenn es beispielsweise um Frauen in Entscheidungspositionen geht.

Lula hat die Zahl der Ministerien von 23 auf 37 erhöht – wohl auch, um genug Positionen für seine Koalition zu schaffen. Es ist in gewisser Weise das alte Spiel um die Macht, das sich in Brasilia etabliert hat, und um das man nur schwer herumkommt, wenn man Gesetze verabschieden möchte.

Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff scheiterte 2016 daran und wurde in einem parlamentarischen Putsch abgesetzt. Er öffnete dem radikalen Außenseiter Bolsonaro den Weg an die Macht.

Lula hat nun die immense Aufgabe, Brasilien nach den verlorenen vier Bolsonaro-Jahren politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich zu modernisieren. Ob ihm das mit den alten Mechanismen der Macht gelingen kann, ist fraglich.

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