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Die indigene Bevölkerung solidarisiert sich überwiegend mit Castillo und schließt sich den Protesten an.

© Reuters/Sebastian Castaneda

Chaos, Gewalt und Anarchie: Droht Peru ein Bürgerkrieg?

Seit Wochen erschüttert ein politischer Machtkampf Peru. Der Andenstaat scheint unregierbar – jetzt wirken sich die Proteste auch noch auf die Wirtschaft aus.

Peru kommt einfach nicht zur Ruhe. In den vergangenen Tagen kam es erneut zu blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei.

In Cusco, Arequipa und Juliaca riefen Prostierende zum Bürgerkrieg auf und versuchten, die Flughäfen einzunehmen. Zahlreiche Überlandstraßen waren blockiert, und in der Hauptstadt stürmten rund 3500 Protestierende zum Präsidentenpalast, um Interims-Staatschefin Dina Boluarte zu stürzen.

Sicherheitskräfte stoppten sie mit Tränengas und Schlagstöcken und besetzten daraufhin den Campus der staatlichen Universität San Marcos, wo zahlreiche Demonstrierende Unterschlupf gefunden hatten.

54
Tote wurden seit Dezember bei den Protesten gezählt.

Hunderte wurden wahllos festgenommen, Anwälte und Journalisten der Zugang verweigert. „Die Brutalität der einen Seite führt zu einer gewalttätigen Antwort der anderen“, kritisierte die Journalistin Rosa Maria Palacios.

Rücktritt und Neuwahlen werden gefordert

Insgesamt kamen bei den Protesten seit Mitte Dezember 54 Menschen ums Leben, darunter auch ein Polizist, der gelyncht wurde. Die meisten wurden jedoch von Sicherheitskräften erschossen und als „Terroristen“ betitelt – was den Unmut über den Staat weiter anheizt und das Andenland in eine gefährliche Gewaltspirale treibt.

Bereits in den 1980er Jahren wurde Peru von einem blutigen Bürgerkrieg erschüttert, nachdem die maoistische Untergrundorganisation „Leuchtender Pfad“ zur Revolution geblasen hatte. Dabei starben 69.000 Menschen.

Die Brutalität der einen Seite führt zu einer gewalttätigen Antwort der anderen.

Rosa Maria Palacios, Journalistin

Die Demonstrierenden fordern den Rücktritt Boluartes, Neuwahlen und eine verfassungsgebende Versammlung. Gewerkschaften, Bauernverbände, Umweltschützer, linke Parteien und Studenten unterstützen die Proteste.

Die Interimspräsidentin erklärte zwar, sie sei zum Dialog bereit, tolerierte aber gleichzeitig den Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei und verhängte den Ausnahmezustand.

Der politische Konflikt bremst weitere Investitionen und kostet Arbeitsplätze.

Augusto Alvarez Rodrich, Ökonom

Offiziell läuft ihr Mandat noch bis 2026. Umfragen zufolge verlangen 70 Prozent der Peruaner ihren Rücktritt, 90 Prozent wollen den Kongress auflösen.

Die innenpolitischen Konflikte belasten mittlerweile auch die Wirtschaft. Peru ist ein Schlüsselland für die Energiewende; das Land ist der zweitgrößte Kupferproduzent der Welt und gehört zu den wichtigen Produzenten von Gold, Zink. Blei, Zinn und Silber. Epizentrum der Proteste ist der Süden, wo sich zahlreiche Minen befinden.

Auch – mittlerweile verwaiste – Touristenattraktionen wie die Inkastadt Machu Picchu oder der Titicacasee liegen dort. Die Regionen gehören gleichzeitig zu den ärmsten des Landes.

70
Prozent der Peruaner fordern den Rücktritt von Dina Boluarte

Der Tourismus liegt nun darnieder, die Produktion und der Export von Mineralien werden immer wieder unterbrochen, mehrere der großen Kupferminen haben Personal ausgeflogen. „Der politische Konflikt bremst weitere Investitionen und kostet Arbeitsplätze”, warnte der Ökonom Augusto Alvarez Rodrich.

Ursprung der Proteste

Entzündet hatte sich der Unmut an einem Machtkampf zwischen Kongress und dem mittlerweile inhaftierten Präsidenten Pedro Castillo. Der linke Staatschef versuchte Anfang Dezember, illegal den Kongress aufzulösen – der reagierte sofort und enthob Castillo seines Amtes.

Seither regiert die einstige Vizepräsidentin Boluarte, die den Schulterschluss mit der konservativen Elite sucht. Die verarmte Landbevölkerung identifiziert sich hingegen mit Castillo, einem Landschullehrer, und wirft der Elite in Lima vor, ihm permanent Steine in den Weg gelegt zu haben.

Interimspräsidentin Boluarte schließt trotz der Proteste und wenig Unterstützung aus dem In- und Ausland ihren Rücktritt aus.

© AFP/ CRIS BOURONCLE

Dafür sorgte Castillo jedoch auch selbst: Er und sein Kabinett voller Amateure stolperten von einem Korruptionsskandal in den nächsten. Korrupte Kongressabgeordnete versuchten, daraus Profit zu schlagen und versprachen Castillo vor einem Misstrauensvotum zu schützen – gegen Geld.

Wirtschaftliche und soziale Folgen des politischen Konflikts

Die Staatskrise ist symptomatisch für ein dysfunktionales politisches System, das Peru in einen Beutestaat verwandelt hat. Nahezu alle ehemaligen Präsidenten sitzen mittlerweile wegen Korruptionsvorwürfen in Haft. Boluarte ist die sechste Staatschefin in fünf Jahren. 

Mittlerweile steht jedoch nicht nur das politische Modell des Andenlandes infrage, sondern auch das neoliberale Wirtschaftsmodell. Es schuf Gewinner – vor allem eine urbane, eher hellhäutige und gut gebildete Mittelschicht, die im Bergbau und Agrobusiness tätig ist – und Verlierer.

90
Prozent der Peruaner sind für die Auflösung des Kongresses.

Die arme, eher indigene Landbevölkerung, deren Lebensgrundlage durch Agroindustrie und den Bergbau rücksichtslos zerstört wurde. Bildung und Gesundheitsfürsorge blieben für den Großteil der Peruaner prekär.

Ein Teil der Betroffenen bereicherte sich in der Schattenwirtschaft, die von Produktpiraterie über illegales Goldschürfen bis hin zum Drogenhandel und Geldwäsche reicht. Die organisierte Kriminalität finanziert zahlreiche Politiker – und offenbar auch teilweise die Proteste, bei denen auch Gerichtsgebäude verwüstet werden, in denen kompromittierende Akten liegen.

Wenig hilfreich ist die Diplomatie: Nachbarländer heizen den Konflikt an, statt zu vermitteln. Die linken Regierungen in Mexiko, Bolivien, Venezuela, Argentinien und Kolumbien solidarisierten sich aus ideologischen Gründen mit Castillo. 

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