zum Hauptinhalt
„Freie Sahara - Frieden und Gerechtigkeit“, fordern Frauen bei einer Demonstration, um gegen Spaniens Anerkennung des marokkanischen Autonomieplans zu protestieren. 

© dpa/Eduardo Briones

Der vergessene Westsahara-Konflikt: Marokkos Muskelspiel ist erfolgreich

Die Heimat der Sahrauis ist von Marokko besetzt. Der Konflikt verhindert die Integration Nordafrikas. Doch die Welt hat andere Interessen und schwenkt auf Rabats Linie ein.

Von Julian Hilgers

Der Westsahara-Konflikt hat sich von einem Territorialstreit zu einem Konflikt mit internationaler Tragweite entwickelt. Marokko nutzt die strategischen Interessen an der Region und bewegte Deutschland und Spanien zu einem Kurswechsel in ihrer Außenpolitik.

Es ist nur ein kurzer Satz auf der Website des Auswärtigen Amtes. Doch es ist ein Satz von enormer diplomatischer Bedeutung. Im Streit um die Westsahara habe Marokko „2007 mit einem Autonomie-Plan einen wichtigen Beitrag für eine Einigung eingebracht“, steht dort seit Ende August.

Dieser Satz ließ die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Marokko nach einer Eiszeit wieder aufleben. Und diese Beziehungen braucht es. Denn für die strategischen Interessen Deutschlands spielen Marokko und das vom Königreich kontrollierte Gebiet der Westsahara am Atlantik eine wichtige Rolle.

Marokko verfügt nicht nur über große Fischreserven, sondern auch riesige Phosphat-Vorkommen und ideale Bedingungen für die Produktion von erneuerbaren Energien. Und vor allem spielt Marokko für die Steuerung der Flüchtlingsbewegungen aus der Sahel-Zone eine entscheidende Rolle.

Auch Spanien befürwortet deshalb inzwischen den Plan Marokkos, aus der Westsahara eine autonome Region im marokkanischen Staat zu machen. Aber: „Autonomie heißt klipp und klar nicht unabhängig. Das Referendum ist damit in den Hintergrund gerückt“, erklärt der Politikwissenschafter und Friedensforscher Werner Ruf. Und dieses Referendum über eine Unabhängigkeit steht den Menschen in der Westsahara laut den Vereinten Nationen eigentlich seit 1963 zu.

Gewalt nimmt seit 2020 wieder zu

Der Reihe nach: Als die Kolonialmächte auf der Kongokonferenz 1885 den afrikanischen Kontinent aufteilten, erhielt Spanien das Gebiet der Westsahara. Ein Unabhängigkeitsreferendum zögerte die spanische Kolonialmacht aber über Jahre hinaus und trat das Gebiet erst 1975 ab. Doch nicht etwa an die Sahrauis, die Bevölkerung der Westsahara, sondern zu einem Drittel an Mauretanien und zu zwei Drittel an Marokko, das schon seit vielen Jahren einen Anschluss der Westsahara gefordert hatte.

Während Mauretanien seinen Anteil der Westsahara 1979 abtrat, besetzt Marokko zwei Drittel des Gebietes noch heute. Die Volksbefreiungsfront der Westsahara, die Frente Polisario, kämpft seitdem gegen Marokko und für eine Unabhängigkeit und ein Referendum.

Zehntausende Sahrauis mussten in diesem Konflikt aus der Westsahara in das Nachbarland Algerien fliehen. Die Vereinten Nationen erreichten zwar 1991 einen Waffenstillstand, doch seit 2020 nimmt die Gewalt zwischen Marokko und der Polisario wieder zu.

Die Westsahara ist völkerrechtlich einer der klarsten Fälle, die es überhaupt gibt.

Werner Ruf, Politikwissenschaftler und Friedensforscher

Und auch die Integration der Maghreb-Staaten stockt durch den Westsahara-Konflikt. Die Beziehungen zwischen Algerien, das auf Seite der Polisario steht, und Marokko verschlechtern sich immer weiter. Während sich Marokko Europa wieder nähert, wendet sich Algerien von Spanien und Deutschland eher ab.

Marokko hat auch die USA auf seiner Seite

Zumindest aus diplomatischer Sicht hat Marokko im Konflikt aber die besseren Karten. Als die marokkanische Regierung 2020 Israel offiziell als Staat anerkannte, bestätigten die USA unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump die Souveränität Marokkos über die Westsahara.

Auch die Vereinten Nationen spielen weiter eine Rolle. Die 1991 gestartete Mission für ein Referendum in der Westsahara (Minurso) gilt als gescheitert. Seit vergangenem Jahr soll ein neuer Sondergesandter der UN zwischen den verschiedenen Parteien im Westsahara-Konflikt vermitteln und für Frieden sorgen.

Doch die Internationalisierung des Westsahara-Konfliktes rückt ein Referendum für die Menschen in der Westsahara weite Ferne. „Es sieht ganz und gar nicht nach einer gerechten, völkerrechtskonformen Lösung aus“, sagt Werner Ruf. „Die Westsahara ist völkerrechtlich einer der klarsten Fälle, die es überhaupt gibt.“ In der Praxis aber scheinen die internationalen Interessen zu dominieren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false