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Finnlands neue Regierung: Ein Vierer-Bündnis weit rechts der Mitte. 

© picture alliance/dpa/Lehtikuva/Kimmo Penttinen

Vier Parteien auf dem rechten Weg: Finnland wird sich grundlegend verändern

Mehr als zwei Monate nach der Wahl steht Finnlands neue Vier-Parteien-Regierung. Klar ist: Es ist die am weitesten rechts stehende seit der Nachkriegszeit.

Das erste Wahlversprechen ist gebrochen, noch ehe das neue Kabinett in Helsinki seine Arbeit aufnimmt. Niemals werde man gemeinsam mit den Basisfinnen (PS) regieren, niemals wolle man deren rechte Politik unterstützen, versprach die Parteivorsitzende der liberalen Schwedischen Volkspartei RKP, Anna-Maja Henriksson, in den Wochen vor der finnischen Parlamentswahl Anfang April.

Am Freitagabend stand sie nun wenige Meter neben der rechten PS-Vorsitzenden Riikka Purra und präsentierte den gemeinsamen Koalitionsvertrag.

Mehr als zwei Monate nach der Wahl und ungewöhnlich langen Koalitionsverhandlungen steht Finnlands neue Vier-Parteien-Regierung. Dem gemeinsamen Programm nach zu urteilen, ist es die am weitesten rechtsstehende der Nachkriegszeit.

Bequeme Mehrheit im Parlament

Neuer Ministerpräsident wird Petteri Orpo von der konservativen Sammlungspartei KOK. Sein Programm bedeutet eine harte Abkehr der bisherigen sozialdemokratischen Politik seiner Vorgängerin Sanna Marin. Das Rechtsbündnis wählte er bewusst, rechnerisch hätte es auch für ein Mitte-Bündnis gereicht.

260
Seiten lang ist der neue finnische Koalitionsvertrag.

Doch bei der Pressekonferenz am Freitag schoss die neue Regierung gleich scharf gegen die alte. Es habe vor allem mit Marins unverantwortlichem Ausgabeverhaltens zu tun, dass seine Regierung nun vier Milliarden Euro einsparen müsse, sagte Orpo.

Dass seine Partei zwischen 2011 und 2019 regierte oder mitregierte, die Schulden damals ähnlich stiegen wie unter Marins Mitte-links-Bündnis, das sagte der neue Ministerpräsident nicht.

Keine Kürzungen im Verteidigungsressort

Gekürzt wird deshalb in den kommenden vier Jahren in fast allen Bereichen, nur die Ressorts für Bildung und Verteidigung können mit ähnlich viel und sogar mehr Geld rechnen als bisher.

Für Kulturveranstaltungen und Medizinprodukte wird zugleich der Mehrwertsteuersatz erhöht, auch so soll die Staatskasse saniert werden.

1,2
Milliarden Euro weniger sollen für Sozialleistungen ausgegeben werden.

Viele der Regierungsvorhaben werden Geringverdienende besonders hart treffen: Wohngeld wird teilweise abgeschafft, Krankengeld gekürzt, der Zugang zum Arbeitslosengeld erschwert, der Kündigungsschutz gelockert, das Streikrecht aufgeweicht.  

Radikale Umkehr bisheriger Praxis

Doch nicht nur die Handschrift des konservativen Wahlsiegers wird im Koalitionsvertrag deutlich. Vor allem die rechten Basisfinnen haben sich als zweitstärkste Kraft durchgesetzt, die vereinbarte Migrationspolitik liest sich wie ein Kapitel aus ihrem Parteiprogramm.

Die Anzahl sogenannter Quotenflüchtlinge wird halbiert, Aufenthaltsgenehmigungen verkürzt, Asylanträge erschwert, Abschiebungen erleichtert. Parteichefin Purra untertrieb nicht, als sie Finnlands neue Asylpolitik als „Paradigmenwechsel“ beschrieb.

Auf das bisherige Ziel, bis 2035 klimaneutral zu sein, wollte man sich nicht festlegen.

Johanna Vuorelma, Politikwissenschaftlerin beim Centre for European Studies in Helsinki 

Man wolle Notleidende hauptsächlich in ihren Heimatländern unterstützen, heißt es im Koalitionsvertrag. Zugleich wird aber das Budget für Entwicklungszusammenarbeit gekürzt.

Eine radikale Umkehr bisheriger Praxis seien die Kürzungen im Bereich Entwicklung, sagt die Politikwissenschaftlerin Johanna Vuorelma vom Centre for European Studies in Helsinki dem Tagesspiegel. „Ähnliches gilt für die Klimapolitik. Auf das bisherige Ziel, bis 2035 klimaneutral zu sein, wollte man sich nicht festlegen.“

Für die kommenden vier Jahre erwartet die Politikwissenschaftlerin eine instabile Regierung, insbesondere die rechten Basisfinnen hätten fordernde Wähler:innen. „Als Teil der neuen Regierung können sie ‚die Eliten‘ nicht mehr ähnlich scharf kritisieren wie zuvor. Regierungsbeteiligung bedeutet für sie, ihre Rhetorik zu mäßigen.“

Die Rechten waren bereits 2015 an der Regierung beteiligt, nach nur zwei Jahren zerbrach das Bündnis, als Teile der Rechten sich radikalisierten. Der Koalitionsvertrag wird von einigen Parteimitgliedern bereits als zu moderat kritisiert. Es sei daher unsicher, „ob das neue Bündnis die kompletten vier Jahre regieren kann“, sagt Vuorelma.

Vergangene Woche sprach Anna-Maja Henriksson von der RKP bereits davon, dass sich die Koalition wie eine „unglückliche Ehe“ anfühle. Der neue Regierungschef Petteri Orpo reagierte entspannter. Wenn die nächsten vier Jahre schon „keine Liebesehe“ werde, „dann vielleicht eine Vernunftehe“.

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