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A photograph taken on August 28, 2023 shows a woman wearing an abaya walking in the streets of Paris. Muslim women, the education minister said on August 27, 2023, arguing the garment violated France's strict secular laws in education. The move comes after months of debate over the wearing of abayas in French schools, where women have long been banned from wearing the Islamic headscarf. (Photo by MIGUEL MEDINA / AFP)

© AFP/MIGUEL MEDINA

Frankreich verbannt Abayas aus Schulen: Eine bevormundende, freiheitsfeindliche Rigidität

Dutzende Schülerinnen wurden nach Hause geschickt, weil sie sich geweigert hatten, ihre Abayas abzulegen. Das sind lange, aus arabischen Ländern stammende Gewänder. Sie zu verbieten, geht zu weit.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Manchmal muss Selbstverständliches betont werden, weil es nicht von allen als selbstverständlich betrachtet wird. Menschen haben Rechte – auf Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Selbstbestimmung. Dazu gehört, dass sie sich kleiden dürfen, wie sie wollen. Ob Rock oder Hose, klassisch oder extravagant, wenig oder viel.

Sie allein entscheiden das, niemand sonst. Keine Gesellschaft, kein Staat, kein Regime, keine Religion, keine Sittenpolizei, kein Geschlecht. Wenn Iranerinnen das Kopftuch ablegen, protestieren sie gegen den Zwang, es tragen zu müssen. Sie kämpfen für die Freiheit der Frau. Das verdient ein Höchstmaß an Solidarität und Respekt.

Zur Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen gehört es ebenfalls, freiwillig ein Kopftuch tragen zu wollen. Aus welchen Gründen auch immer, ob aus ästhetischer, ideologischer oder religiöser Motivation. Sie allein entscheiden das, niemand sonst. Auch sie verdienen Solidarität und Respekt.

Ist es ein bloßes Kleidungsstück oder ein religiöses Symbol?

In Frankreich wurden am Montag Dutzende Schülerinnen wieder nach Hause geschickt. Sie hatten sich geweigert, ihre Abayas abzulegen. Das sind lange, aus arabischen Ländern stammende Gewänder. Einige sehen in ihnen ein bloßes Kleidungsstück, andere ein religiöses Symbol.

Abayas sind in Frankreich seit Schuljahresbeginn verboten. Das verfügte der neue Bildungsminister Gabriel Attal per Erlass. An Schulen verboten ist künftig auch der Quamis, das Überwurf-Pendant für Männer.

Zur Begründung sagte Attal: „Laizität bedeutet, einen Klassenraum zu betreten und nicht die religiöse Identität der Schüler anhand ihrer Kleidung erkennen zu können.“ Säkularität sei keine Einschränkung, sondern eine Freiheit.

Der französische Muslim-Dachverband hatte argumentiert, dass die Abaya kein religiöses Kleidungsstück sei. Linke Politiker hatten daraufhin von einer „Kleiderpolizei“ gesprochen. In Frankreich sind Staat und Religion seit 1905 strikt voneinander getrennt. Rund acht Prozent der Bevölkerung sind muslimisch.

Frankreichs Kurs ist der strengste innerhalb der Europäischen Union

Vor 30 Jahren bereits wurde das Tragen von auffälligen religiösen Symbolen an Schulen verboten. Vor 20 Jahren folgte das vollständige Kopftuchverbot. Nicht erlaubt sind außerdem die Kippa für Juden und große christliche Kreuze. Frankreichs harter Kurs, der strengste innerhalb der Europäischen Union, ist zumindest konsequent.

In Deutschland wäre eine solche bevormundende, freiheitsfeindliche Rigidität nicht möglich. Im Jahr 2003 betonte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass ein allgemeines Kopftuchverbot an Schulen in das Recht auf gleichen Zugang zu einem öffentlichen Amt sowie in das Grundrecht der Glaubensfreiheit massiv eingreift.

Das Ziel lautet, religiöse Indoktrination verhindern zu wollen

Im Jahr 2015 präzisierte der Erste Senat diese Entscheidung und stellte klar und deutlich fest: Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, „von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben“.

Weiter hieß es: Wenn der Gesetzgeber dennoch die Grundrechte etwa von Lehrerinnen an öffentlichen Schulen einschränkt, muss er belegen und begründen, warum vom entsprechenden religiösen Symbol eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden ausgeht. „Das Tragen eines islamischen Kopftuchs begründet eine hinreichend konkrete Gefahr im Regelfall nicht.“

Mit seinem Abaya-Verbot schießt Frankreich weit über das Ziel hinaus, religiöse Indoktrination verhindern zu wollen. Der Beifall für den Erlass von konservativen und rechtspopulistischen Politikern legt den Verdacht nahe, dass islamophobe Ressentiments eine Rolle gespielt haben könnten.

Seit gut einem Jahr hat die Regierung von Emmanuel Macron im Parlament keine absolute Mehrheit. Womöglich robbt sich das Präsidentenlager durch solche Maßnahmen an potenzielle Koalitionslager heran.

Doch ob bloßes Kleidungsstück oder religiöses Symbol: Frauen müssen selbst entscheiden dürfen, was sie anziehen. Keiner hat ihnen diesbezüglich Vorschriften zu machen. Im Iran nicht, in Frankreich nicht, nirgendwo.

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