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Rauch steigt aus dem Stahlwerk Azovstal auf (Archivbild).

© dpa/AP/Uncredited

„Moment des Vertrauens“: So sollen die Verhandlungen zur Aufgabe des Azov-Stahlwerks verlaufen sein

Der Kampf um das Stahlwerk in Mariupol tobte mehrere Wochen. Doch auch nach der Kapitulation waren die ukrainischen Soldaten nicht sicher.

In den ersten Monaten des Angriffskrieges auf die Ukraine ist das Stahlwerk Azovstal zum Symbol der ukrainischen Widerstandskraft gegen den russischen Einmarsch geworden. Nach der Einnahme der ostukrainischen Hafenstadt Mariupol durch russische Truppen hatten sich auf dem Fabrikgelände Hunderte ukrainische Soldaten und Zivilisten verschanzt.

Nach mehreren Wochen der russischen Belagerung wurden erst die Zivilisten evakuiert, bevor die verbliebenen ukrainischen Soldaten aufgaben und sich in russische Kriegsgefangenschaft begaben. Der ukrainische Parlamentsabgeordnete Alexander Kowaljow spielte bei den Verhandlungen mit der russischen Seite eine wichtige Rolle, wie der US-Nachrichtensender CNN berichtet.

„Vor mir gab es elf erfolglose Missionen“, die verbliebenen Menschen aus dem Stahlwerk zu evakuieren, zitiert ihn der Sender. Kowaljow habe sich mit einem ehemaligen ukrainischen Geheimagenten, der seit 2014 für den FSB arbeitet, in Verbindung gesetzt.

Gemeinsam mit dem Agenten, der in der Ukraine als Verräter gilt, habe er einen Plan ausgearbeitet, wie Verhandlungen mit der russischen Seite gelingen könnten. Ende April 2022 – und mit Erlaubnis des ukrainischen Militärgeheimdienstes – sei er zu einem ersten Besuch nach Mariupol aufgebrochen.

Evakuierung von Zivilisten gelingt

Doch auch Kowaljow ist in der Ukraine nicht unumstritten. Nach dem brutalen Vorgehen gegen die Demonstrierenden auf dem Maidan im Jahr 2014 wurde er beschuldigt, Mitgliedern der inzwischen aufgelösten Berkut-Polizeieinheit bei der Flucht geholfen zu haben, berichtet CNN.

Zudem setzte sich der Abgeordnete eines Wahlkreises in der Region Donezk für die Aufhebung eines Gesetzes ein, das Ukrainisch als Amtssprache festschreibt, heißt es in dem Bericht weiter.

Bei seinem ersten Besuch in Mariupol am 27. April 2022 habe Kowaljow sich mit seinem FSB-Kontakt sowie einem russischen Militär getroffen. Dabei habe er geholfen, „die andere Seite davon zu überzeugen, dass die Rettung vor allem von Kindern, Frauen und Verwundeten ein Akt der Vernunft, ein Akt des Humanismus sein wird“, zitiert CNN den Abgeordneten.

Anfang Mai evakuierten die Vereinten Nationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz Hunderte von Zivilisten aus dem Azovstal-Werk. Keine anderthalb Wochen nach dem ersten Treffen erklärte die stellvertretende ukrainische Premierministerin Iryna Vershchuk, „alle Frauen, Kinder und älteren Menschen“ seien sicher aus dem Stahlwerk gebracht worden.

Russen und Ukrainer trafen sich in Azov-Stahlwerk

Weitere Verhandlungsrunden in Mariupol sollten auch sicheres Geleit für die verbliebenen Soldaten gewährleisten, die vor Ort weiter gegen die russischen Angreifer kämpften. Ein Video, das Kowaljow mit CNN teilte, soll direkte Verhandlungen zwischen russischen Militärgeheimdienstlern und den Verteidigern des Azovstal-Werks zeigen.

Dieses Treffen sei ein „Moment des Vertrauens“ zwischen beiden Seiten gewesen, zitiert der Sender den Abgeordneten. Schließlich „versprach die russische Seite, dass es für unsere Soldaten einen zivilisierten Abgang geben würde“.

Bereits einen Tag später erfolgte die Kapitulation der ukrainischen Soldaten. 53 verwundete Soldaten seien in russische Krankenhäuser und etwa 200 Kämpfer in ein Gefangenenlager in Oleniwka, einem Ort in der selbsternannten Volksrepublik Donezk verlegt worden, teilte die stellvertretende ukrainische Premierministerin damals mit.

„Kommunikationsbrücken funktionieren, nicht alles ist in diesem Leben verloren, man kann immer noch ein Mensch sein. Sogar im Krieg“, zitiert CNN den Abgeordneten. Dennoch kamen die Kriegsgefangenen ein weiteres Mal in die Schlagzeilen.

Ende Juli starben laut der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft mindestens 40 ukrainische Gefangene bei einem Angriff auf das Gefangenenlager – 130 wurden verletzt. Russland behauptete, die Ukraine habe das Lager mit Himars-Raketenwerfern getroffen. Kiew dementierte.

US-Beamte bestätigten dem Magazin „Politico“ im August 2022 anonym, dass es keine Spuren von Angriffen mit Himars-Raketen gebe. Vielmehr sei das Gefängnis mittels eines Präzisionsschlages oder vor Ort gelegten Brand- oder Sprengstoffvorrichtungen zerstört worden. (Tsp)

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