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Mitglied des ständigen Stimmausschusses der Stadt Bern

© picture alliance/dpa/KEYSTONE

Update

Rechtsrutsch in der Schweiz: Nationalkonservative gewinnen Parlamentswahl deutlich

Die Schweiz rückt ein gutes Stück weiter nach rechts. Die SVP behauptete am Sonntag ihre Position als stärkste politische Kraft. Die Grünen rutschen ab.

Von Jan Dirk Herbermann

| Update:

Der Rechtsrutsch im Schweizer Parlament ist bei der Wahl am Sonntag noch deutlicher ausgefallen als Hochrechnungen am Wahlabend nahegelegt haben. Die rechtskonservative SVP (Schweizerische Volkspartei) hat im Nationalrat 62 der 200 Sitze gewonnen, neun mehr als vor vier Jahren, wie am Montag das Endergebnis zeigte. Sie ist schon seit mehr als 20 Jahren stärkste Partei. Beim Wähleranteil kam sie auf 28,6 Prozent, drei Prozentpunkte mehr als vor vier Jahren.

Große Verlierer der Wahl waren die Grünen: Sie gingen mit 9,4 Prozent durchs Ziel, 3,8 Prozentpunkte weniger. Die Grünliberale Partei (GLP) verlor 0,6 Punkte auf 7,2 Prozent. Zusammen verloren beide Parteien elf Mandate und kommen noch auf 33 Sitze.

Die Sozialdemokraten (SP), seit langem zweitstärkste Partei, haben einen 20-jährigen Abwärtstrend beendet: Sie legten erstmals seit 2003 wieder zu, um 1,1 Prozentpunkte auf 18 Prozent. Das brachte ihnen zusätzlich zwei Sitze. Damit liegen sie nun bei 41 Sitzen.

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Die einstige christliche Partei CVP, die sich mit einer kleineren Partei zusammenschloss und seit 2021 Mitte heißt, schaffte am Sonntag ein Plus von 0,8 Prozent und zog an der liberalen FDP vorbei, die 0,7 Prozentpunkte verlor. Die Mitte hat jetzt 29, die FDP 28 Sitze. Einige Sitze gingen an kleine Parteien.

Es kommen zu viele und die Falschen.

SVP-Präsident Marco Chiesa vor der Wahl. Die Partei listete auf seiner Homepage eine Reihe von Straftaten auf, für die Migranten die Verantwortung trügen. 

Damit konnte die SVP, in der noch immer der Milliardär Christoph Blocher (83) den Ton angibt, ihre Position als stärkste politische Kraft Helvetiens ausbauen. Die SVP gehört trotz ihrer oft brachialen Rhetorik, die auch auf Ausländer zielt, zu den etablierten Parteien, mit denen Politiker anderer Couleur traditionell kooperieren.

Wie wirkt sich die Wahl auf die Zusammensetzung der Regierung, den siebenköpfigen Bundesrat, aus? Beobachter erwarten, dass sich die sogenannte Zauberformel ändern könnte. Gemäß der Formel besetzen die SVP, die FDP und die Sozialdemokraten jeweils zwei Ministerposten und die Mitte-Partei einen. Falls die Mitte klar an der FDP vorbeizieht, wäre sie nach der Logik der Zauberformel berechtigt, zwei Kabinettsposten zu verlangen.

Im Dezember wird der nächste Bundesrat gewählt

Das Regierungsbündnis der größten Parteien soll politische Stabilität garantieren und sicherstellen, dass sich die meisten Bürgerinnen und Bürger vertreten fühlen. Im Dezember werden die beiden Parlamentskammern den nächsten Bundesrat wählen. Der Innenminister und diesjährige Bundespräsident Alain Berset (SP) und SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin sind die beiden dienstältesten Bundesräte, während Umweltminister Albert Rösti (SVP) erst unlängst in das Gremium einrückte.

Im Unterschied zu den meisten anderen westlichen Demokratien stimmen die Schweizer Bürger über fast alle großen politischen Fragen an der Urne ab. Die Direkte Demokratie beschneidet die Macht der Regierung – daran ändert auch der SVP-Triumph nichts.

Mit welchem Rezept erzielte die SVP ihren Sieg? Die Volkspartei rückte die „unkontrollierte Zuwanderung“ und den „Missstand im Asylbereich“ in den Mittelpunkt ihrer Kampagne, in der sie eindringlich vor einer „Zehn-Millionen-Schweiz“ warnte.  Mit ihrer Kampagne traf die SVP offensichtlich ins Schwarze. „Migration ist heute das Megathema in Europa“, analysiert der Historiker Urs Altermatt. Das Thema mobilisiere wie kein anderes die Anhängerschaft der SVP, erläuterte die Luzerner Zeitung. Die SVP fahre „im Schlafwagen zum Sieg“, prognostizierte das Blatt schon vor dem Wahltag.

Dabei kam der Partei zugute, dass im Sommer 2023 die Schweizer Bevölkerung erstmals auf mehr als neun Millionen Menschen wuchs. Vor allem Arbeitsmigranten sorgen für das Plus. In den vergangenen Jahren stiegen auch die Anträge auf Asyl stark an. Für 2023 rechnet die Regierung mit 27.000 neuen Gesuchen. Zudem flüchteten Zehntausende Menschen vor dem Krieg in der Ukraine in die Eidgenossenschaft.

„Es kommen zu viele und die Falschen“, wetterte SVP-Präsident Marco Chiesa (Foto oben, rechts). „Tausende junge Männer aus Afrika, Afghanistan, Türkei und so weiter kommen in die Schweiz und bleiben einfach hier“, heißt es auf der SVP-Internetseite. Dann listet die Partei eine Reihe von Straftaten auf, Diebstähle, Belästigungen, Gewalt, für die Migranten die Verantwortung trügen.

Die anderen Parteien präsentierten sich gemäßigt bis hausbacken

Von einem Araber, der eine Frau ausraubt ist ebenso die Rede wie von Einbrechern aus Rumänen oder von einem Türken, der seine Frau getötet habe. Ein Bild zeigt eine Männerhand, die ein blutverschmiertes Messer hält. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus geißelte die SVP-Kampagne als „fremdenfeindlich und hetzerisch“.

Um den „Missstand“ im Asylbereich zu beseitigen, will SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi eine härtere Gangart einschlagen: Er verlangt systematische Grenzkontrollen und „geschlossene Transitzonen“ in denen die Asylsuchenden während der Bearbeitung ihres Antrages bleiben müssen. Zudem empfiehlt Aeschi die Abschaffung des Status „vorläufig aufgenommen“ für Asylbewerber.

Im Vergleich zum offensiven Buhlen der SVP um Stimmen präsentierten sich die anderen Parteien gemäßigt bis hausbacken. Die Sozialdemokraten warben für eine „soziale Schweiz“, sie verlangten mehr Kaufkraft. Die FDP setzte sich für Wettbewerb und gesunde Staatsfinanzen ein. Die Mitte wiederum stellte sich als Partei von Freiheit, Solidarität und Verantwortung dar. Die Grünen schließlich setzten auf den Klassiker Klimaschutz und eine „glücklichere“ Gesellschaft. „Es ist wohl der laueste Wahlkampf seit längerem“, urteilte Historiker Altermatt.                                                

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