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Die Ruinen von Andrijiwka nahe Bachmut

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Ukraine-Invasion Tag 569: Die blutige Eroberung von 20 Ruinen und ihre Bedeutung 

Kadyrow wohl schwer erkrankt, Pistorius fordert Zeit für Taurus-Entscheidung, Kreml äußert sich zum Tod von Prigoschin. Der Überblick am Abend.

Ein Geröllfeld, mehr ist von dem kleinen Dorf Andrijiwka nahe Bachmut nicht mehr übrig. Die Russen eroberten es in ihrer Offensive auf Bachmut im November 2022, jetzt haben es die ukrainischen Truppen wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Die rund zwanzig Häuser und drei Sträßchen, aus denen der Ort bestand, sind zerstört. Rund 50 Menschen lebten vor der Eroberung durch die Russen dort. 

Die ukrainischen Soldaten der 3. Angriffsbrigade, zu denen auch ehemalige Mitglieder des Asow-Bataillons gehören, haben den Ort im Laufe des Donnerstags nach zwei Tagen schwerer Kämpfe erobert. Nach eigener Aussage haben sie zuerst die russischen Soldaten eingekreist und in der Folge weitgehend ausgeschaltet. Unter den Toten sollen auch mehrere russische Kommandeure sein. 

Wenn die Angaben zu den Verlusten sich bestätigen, machen nicht nur sie den Vorgang bemerkenswert. Die Rückeroberung des Dorfes bringt die Russen rund um Bachmut in eine noch schwierigere Lage. Andrijiwka liegt an einem Bahndamm, der sich bis nach Bachmut zieht. Aktuell versuchen die Ukraine das gesamte Gebiet westlich des Damms zurückzuerobern.

Nur drei Kilometer östlich des Bahndamms schlängelt sich der Fluss Bachmut durch das Gebiet – eine natürliche Barriere. Ziel der Ukrainer ist wohl, die Russen zum Rückzug hinter den Fluss zu zwingen und dann die Stellungen zu sichern. Damit wären die östlichen Nachschubwege nach Bachmut unter ukrainischer Kontrolle. Nördlich von Bachmut passiert gerade ähnliches. Die Folge: Alle Nachschubwege in die Stadt werden für die Russen gefährlich. 

Dass Kiew Bachmut zurückerobern will (oder kann) ist unwahrscheinlich. Eher spielt den Ukrainern in die Hände, dass Russland hohe Kräfte aufwendet, um den Vormarsch zu stoppen und Bachmut zu halten. Es ist die einzige Stadt, die Russland bei seiner Winteroffensive erobern konnte – unter gigantischen Verlusten. Der politische Symbolwert ist also hoch. 

Dabei sind die russischen Verluste bei der Verteidigung, wie jetzt in Andrijiwka, enorm. Die Vorgabe für die russischen Truppen ist offenbar, die aktuelle Frontlinie um fast jeden Preis zu halten.

Es ist die Strategie, die die Ukrainer offensichtlich an allen Frontabschnitten fahren: kleine Gebietsgewinne bei möglichst hohen Verlusten für die Russen und möglichst geringen eigenen Opfern. Sicher, das Vorgehen kann nur Erfolg haben, wenn die ukrainischen Verluste sehr viel geringer als die russischen sind. Ob das so ist, ist unklar. Die Indizien sprechen eher dafür. 

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • Ukrainisches Militär verkündet Rückeroberung von Andrijiwka: Am Donnerstag hatte die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin vorschnell die Einnahme des Dorfes gemeldet. Laut dem Generalstab ist es nun Tatsache. Mehr hier. 
  • „Helfen der Ukraine, solange das dauert“: Vor allem die US-Republikaner werfen Deutschland vor, Kiew nicht genug zu helfen. Außenministerin Baerbock widerspricht – im Interview eines erzkonservativen TV-Senders. Mehr hier.
  • Pistorius kündigt Entscheidung über Taurus-Lieferung in ein bis zwei Wochen an: Die Ukraine möchte das Waffensystem der Bundeswehr unbedingt. Verteidigungsminister Pistorius sagt, es bedürfe einer besonnenen Prüfung. Dies sei aber kein Zögern der Bundesregierung. Mehr hier.
  • Kreml äußert sich zu Tod von Wagner-Chef Prigoschin: Russland zeigt sich drei Wochen nach dem Absturz von Prigoschins Flugzeug zufrieden mit dem Verlauf der Ermittlungen. Wahrscheinliche Szenarien veröffentlicht Moskau weiter nicht. Mehr hier.
  • Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow soll sich nach Angaben des Nachrichtenportals „Nexta“ in einem kritischen Gesundheitszustand befinden. Dies habe demnach Andrej Jusow, ein Vertreter des ukrainischen Militärgeheimdienstes erklärt. „Die Informationen werden von verschiedenen Quellen in medizinischen und politischen Kreisen bestätigt. Hier geht es nicht um Verletzungen. Andere Details müssen noch geklärt werden. Er ist schon seit langem krank, und wir sprechen von systemischen Gesundheitsproblemen“, teilte Jusow laut „Nexta“ mit. Mehr in unserem Newsblog.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will nach seiner geplanten Rede bei der UN-Generalversammlung in New York auch die US-Hauptstadt Washington besuchen. Für nächsten Donnerstag sei ein Treffen mit Präsident Joe Biden und Mitgliedern des Kongresses geplant, um die anhaltende Unterstützung der USA für die Ukraine zu bekräftigen, bestätigte das Weiße Haus am Freitag. 
  • Die EU-Kommission beendet umstrittene Handelseinschränkungen für ukrainische Getreideprodukte. Damit stellt sich die Behörde gegen Forderungen aus EU-Staaten wie Polen und Ungarn, die entsprechende Einfuhren zuvor selbst beschränkt hatten, wie aus Angaben der EU-Kommission von Freitagabend hervorgeht.
  • Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine davor gewarnt, einen Bruch des Völkerrechts zu akzeptieren. Das Recht des Stärkeren dürfe nicht wieder als Mittel der Politik etabliert werden, sagte Wüst am Freitag bei der ersten Westfälischen Friedenskonferenz in Münster. 
  • Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hat Deutschland für umfassende Hilfen gedankt und erneut appelliert, bei der militärischen Unterstützung nicht nachzulassen. Erst an dem Tag, an dem es wieder Frieden in der Ukraine gebe, brauche das Land keine Waffen-Lieferungen mehr, sagte Klitschko am Freitag bei der ersten „Westfälischen Friedenskonferenz“ in Münster. 
  • Russland kritisiert die mögliche Lieferung von Artillerie-Kurzstreckenraketen ATACMS aus den USA an die Ukraine. Vizeaußenminister Sergej Rjabkow sprach am Freitag in Moskau von einer „pausenlosen Eskalation, einer Ignoranz gegenüber den offensichtlichen Risiken“ einer solchen Entscheidung. 
  • Die Ukraine hat weitere 51 Soldatenleichen von der russischen Seite zurückerhalten. Insgesamt seien damit 1832 Leichen zurückgebracht worden, teilte der Koordinationsstab für Belange von Kriegsgefangenen am Freitag bei Telegram mit. 
  • Wegen seiner Weigerung, in der Ukraine zu kämpfen, ist ein Soldat in Russland zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Laut einer am Freitag veröffentlichten Erklärung des Militärgerichts der Stadt Juschno-Sachalinsk wurde Maxim Kotschetkow der schweren Fahnenflucht „in einer Phase der militärischen Mobilmachung“ für schuldig befunden wurde. Seine Strafe muss er demnach in einer Strafkolonie unter „strengen Haftbedingungen“ verbüßen. 
  • Russland ist nach Angaben von Außenminister Sergej Lawrow zu weiteren Gesprächen mit dem Sonderbeauftragten des Papstes für eine Beilegung des Ukraine-Kriegs bereit. Kardinal Matteo Zuppi werde wieder nach Moskau kommen, sagte Lawrow laut staatlichen russischen Nachrichtenagenturen am Freitag in Moskau vor Diplomaten aus mehr als 30 Staaten. „Wir sind bereit, uns mit allen zu treffen, wir sind bereit, mit allen zu sprechen“, so Lawrow. 
  • Die USA und ihr Verbündeter Südkorea warnen mit Nachdruck vor einer Militärkooperation zwischen Nordkorea und Russland. Jeder Waffenhandel Moskaus mit Pjöngjang würde gegen bestehende UN-Beschlüsse verstoßen, die sich gegen das Atomwaffenprogramm Nordkoreas richten, betonten Teilnehmer der gemeinsamen Strategie- und Beratungsgruppe über die erweiterte Abschreckung (EDSCG) bei ihrem vierten Treffen am Freitag in Seoul. 
  • In der ukrainischen Stadt Uman sind trotz des russischen Angriffskrieges Zehntausende Pilger zum jüdischen Neujahrsfest eingetroffen. Das ukrainische Innenministerium nannte am Freitag eine Zahl von mehr als 32.300 Chassiden, wie die Anhänger dieser jüdisch-orthodoxen Glaubensrichtung genannt werden, die schon in der Stadt seien. Allein seit Donnerstag seien mehr als 10.000 in die Ukraine eingereist. Um Uman wurden aus Sicherheitsgründen Kontrollpunkte errichtet, an denen die Pilger kontrolliert und registriert werden. Die Feiern werden bis Sonntag gehen. 
  • Die bei ukrainischen Drohnenangriffen im Krim-Hafen von Sewastopol getroffenen russischen Schiffe sind nach Einschätzung britischer Militärexperten auf lange Sicht außer Gefecht gesetzt. Das geht aus dem täglichen Geheimdienstbericht zum Krieg in der Ukraine des Verteidigungsministeriums in London am Freitag hervor. 
  • Erneut hat ein Frachtschiff nach ukrainischen Angaben den Hafen von Odessa verlassen, obwohl Russland das Getreideabkommen zum sicheren Transport über die von ihm kontrollierten Routen durch das Schwarze Meer ausgesetzt hat. „Vor wenigen Minuten hat die unter der Flagge der Cayman-Inseln fahrende ‘Puma’ den Hafen von Odessa ins Schwarze Meer verlassen“, schrieb der Abgeordnete Olexij Hontscharenko auf Telegram. Dazu postete er ein Foto des Schiffes. 
  • Dem wegen Geldwäsche bereits inhaftierten ukrainischen Geschäftsmann Ihor Kolomoisky werden nach Angaben eines Beraters im Büro des ukrainischen Präsidenten weitere Vergehen vorgeworfen. Wie der frühere Enthüllungsjournalist Sergej Leschtschenko auf Telegram mitteilte, wird Kolomoisky nun auch Fälschung von Dokumenten, die illegale Übernahme von Eigentum durch eine organisierte Gruppe und der Erwerb von Eigentum unter fragwürdigen Umständen vorgeworfen. 
  • Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich dafür ausgesprochen, den Schutzstatus für ukrainische Kriegsflüchtlinge in Europa über den kommenden März hinaus zu verlängern. „Wir müssen weiter die Leben vieler Menschen schützen, die vor Putins barbarischem Krieg fliehen mussten“, sagte Faeser den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

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