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FILE PHOTO: A Ukrainian serviceman sits in a tank during anti-sabotage drills, amid Russia's attack on Ukraine, in Chernihiv region, Ukraine December 5, 2023. REUTERS/Valentyn Ogirenko/File Photo

© REUTERS/Valentyn Ogirenko

Ukraine-Invasion Tag 653: Worum es beim Streit zwischen Selenskyj und seinem obersten General geht

Was Russlands neues LGBTIQ-Gesetz bedeutet, knapp 500 Orte in der Ukraine ohne Strom, ukrainische Soldaten trainieren in Polen. Das Update am Abend.

Wie es für die Ukraine im Krieg gegen Russland weitergehen soll, fragt man sich derzeit nicht nur in den westlichen Hauptstädten. Auch in Kiew gibt es innenpolitischen Streit um die Rolle der Armeeführung. Dabei geht es auf den ersten Blick nicht wirklich um politische Differenzen, sondern eher um politische Eitelkeiten, um Machtspiele. 

Im Zentrum: Der amtierende Präsident Wolodymyr Selenskyj und der Armeechef Walerij Saluschnyj – und am Rande auch Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko, der Saluschnyj öffentlich zur Seite springt. Saluschnyj war zuletzt mit eigenen Interpretationen zum Stand des Krieges vorgeprescht, die nicht zum Optimismus von Selenskyj passen. Und mit ihm nicht abgestimmt waren. Saluschnyj sieht ein womöglich dauerhaftes Patt an der Front, Selenskyj gibt sich weiter siegesgewiss.

Der Präsident zeigte sich verschnupft darüber, dass sich der Armeechef so offen geäußert hatte und unterstellte ihm politische Ambitionen. Auch bei den ausländischen Verbündeten musste Selenskyj laut einem Bericht der US-Nachrichtenseite „Politico“ wohl vorsprechen und Zweifel ausräumen. Sowas macht kein Chef gerne, schon gar kein Regierungschef.

Saluschnyj revanchierte sich und beschwerte sich offenbar bei einem Treffen mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, dass Selenskyj ihn bei wichtigen militärischen Entscheidungen übergehe und direkt mit rangniedrigeren Kommandeuren kommuniziere. Aus dem Umfeld Selenskyjs wird Saluschnyj wiederum vorgeworfen, dass er mitten im Krieg an seiner Dissertation arbeite. Teile davon erschienen im britischen Magazin „Economist“. 

Man kann zu Recht fragen, ob es in Kiew derzeit nicht wichtigere Probleme gibt. Aber die vermeintlichen Kinkerlitzchen haben doch mit einer wichtigen Frage zu tun: Wie weiter im Krieg? Worauf dürfen die Ukrainer hoffen? Selenskyjs Linie: Auf den Sieg über Russland, auf das Zurückdrängen der Invasoren aus den besetzten Gebieten. Saluschnyjs Linie: Auf einen jahrelangen Stellungskrieg. Dafür seien auch mehr Soldaten nötig, ein in der Ukraine verständlicherweise unpopuläres Thema. Schon seit Monaten drückt sich die Regierung um eine weitere große Rekrutierungswelle und die Absenkung des Wehrpflichtigenalters von 27 auf 25 Jahre. 

Die Differenzen betreffen damit auch die künftige Strategie im Krieg. Politiker aus dem Selenskyj-Lager werfen Saluschnyj vor, er habe keine – außer immer mehr Waffen und mehr Soldaten zu fordern. Normalerweise würden solche Animositäten und fundamentalen Differenzen über das Wie-Weiter wohl zu einer Entlassung Saluschnyjs führen. Das Problem für Selenskyj: Saluschnyj ist extrem beliebt im Volk, ihn abzusetzen, könnte Selenskyj selbst Popularität kosten. Und so wird die Rivalität in Kiew wohl weitergehen und auch öffentlich ausgetragen werden. Die Frage ist: Ab wann wird sie zu einem Schaden für das Land im Krieg, das so dringend politischen Frieden braucht?

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Wahlkampfstart in Russland: Putin tritt an – und Nawalny ist verschwunden. Der Präsident gibt seine Kandidatur offiziell bekannt. Die Opposition startet ihre Kampagne „Russland ohne Putin“. Mehr hier. 
  • Keine Flaggen, keine Hymne, keine Mannschaft: Athleten aus Russland und Belarus dürfen 2024 an den olympischen Spielen teilnehmen. Allerdings müssen sie weitreichende Einschränkungen in Kauf nehmen. Mehr hier. 
  • Die russischen Besatzungsbehörden in der ukrainischen Region Saporischschja haben nach Angaben der griechisch-katholischen Kirche die Religionsfreiheit massiv eingeschränkt. Die mit Rom verbundene Kirche veröffentlichte ein Dokument, mit dem der von Moskau eingesetzte Gouverneur Jewhen Balyzkyj der Kirche, dem Sozialverband Caritas sowie den ebenfalls katholischen Kolumbusrittern jede Tätigkeit in der Region verbietet. Mehr in unserem Newsblog.
  • In Westpolen stehen ukrainische Soldaten kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung durch EU-Militärs für den zermürbenden Stellungskrieg gegen die russischen Invasionstruppen. Auf einem schneebedeckten Feld in Wedrzyn nur etwa 40 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, wurden sie zuletzt für den Kampf in den Schützengräben trainiert, nur wenige Tage bevor sie an die Front geschickt werden. „Die meisten der Teilnehmer haben keinerlei militärische Erfahrung, und ihnen wird beigebracht, wie man einige grundlegende Taktiken ausführt“, sagte ein ukrainischer Soldat. „Uns wird beigebracht, wie man Waffen in städtischen Gebieten und in Schützengräben einsetzt.“ 
  • In der Ukraine sind nach offiziellen Angaben 492 Siedlungen ohne Strom. Grund seien russischer Beschuss und Luftangriffe sowie das schlechte Wetter, erklären ukrainische Behörden. Der Verbrauch habe zudem fast wieder einen Rekordwert erreicht. Der Betreiber Ukrenergo appelliert an die Bevölkerung, den Verbrauch möglichst zu drosseln.
  • Russische Kampfflugzeuge haben am Freitagmorgen 19 Langstreckenraketen auf Ziele in der Ukraine abgefeuert. Dabei wurde ein Zivilist in der Zentralukraine getötet, vier weitere verletzt, wie Regierungsvertreter mitteilen. Der Angriff war die erste große Raketensalve, die Russland seit Wochen abgefeuert hat. Ziel war auch die ukrainische Hauptstadt Kiew. In den letzten Wochen hatte Russland bei seinen nächtlichen Angriffen hauptsächlich Drohnen eingesetzt. Die Luftabwehr habe 14 Raketen über der Region außerhalb Kiews und der zentralen Region Dnipropetrowsk abgeschossen, wie Luftwaffensprecher Jurij Ihnat im Fernsehen sagte.
  • Bei russischen Raketenangriffen auf die ostukrainische Stadt Charkiw ist nach ukrainischen Angaben mindestens ein Mensch verletzt worden. Die regionale Militärverwaltung erklärte in der Nacht auf Freitag bei Telegram, die Stadt sei von sechs Raketen getroffen worden. Dabei seien mehrere Wohnhäuser beschädigt worden. 
  • Russische Streitkräfte fliegen dem ukrainischen Sprecher des Militärs zufolge verstärkt Lufteinsätze und setzten weitere Angriffstruppen ein, um die Stadt Awdijiwka in der Ostukraine einzunehmen. „Den zweiten Tag in Folge haben die Besatzungstruppen Kamikaze-Drohnen und Flugzeuge aktiv eingesetzt. Die Zahl der Gefechte hat deutlich zugenommen“, sagte der ukrainische Militärsprecher Oleksandr Stupun im staatlichen Fernsehen.
  • Angesichts großer politischer Widerstände gegen weitere Ukraine-Hilfen greift die US-Regierung inzwischen auch offensiv zu wirtschaftlichen Argumenten, um für weitere Unterstützung Kiews zu werben. „Wenn man sich die Investitionen ansieht, die wir in die Verteidigung der Ukraine getätigt haben (...), dann wurden 90 Prozent der von uns geleisteten Sicherheitsunterstützung tatsächlich hier in den Vereinigten Staaten ausgegeben - bei unseren Herstellern“, sagte US-Außenminister Antony Blinken nach einem Treffen mit seinem britischen Kollegen David Cameron in Washington. Demnach habe dies „mehr amerikanische Arbeitsplätze und mehr Wachstum in unserer eigenen Wirtschaft geschaffen“.
  • Die Ukraine hat ihre Bewohner zum Stromsparen aufgerufen, nachdem ein Kraftwerk in der Nähe der Front bei russischen Angriffen getroffen wurde. Das Energieministerium appellierte am Donnerstag an die Verbraucher, „Strom vernünftig und sparsam zu verbrauchen, insbesondere während der Spitzenlastzeiten“. Ministerpräsident Denys Schmyhal rief in Onlinediensten „jeden dazu auf, Stromverbrauch zu reduzieren“.

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