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Eine ukrainische Schülerin geht auf den Trümmern in die Schule.

© dpa/Emilio Morenatti

Ukraine-Invasion Tag 693: Wie Ukrainer die traurigen Kriegserlebnisse verarbeiten

Kuleba nennt Erlangen der Kontrolle über den Luftraum Priorität. Erneut Drohnenangriffe auf die Ukraine. Der Nachrichtenüberblick am Abend.

Sie haben geliebte Menschen verloren, ihre Häuser liegen in Schutt und Asche, sie wurden selbst verletzt – der Krieg hat viele Ukrainer traumatisiert. Egal, ob Angehörige der Armee oder Zivilisten. Der „Guardian“ hat kürzlich mit Betroffenen darüber gesprochen, wie sie mit dem Erlebten umgehen und wie sie anderen Menschen helfen, dies zu verarbeiten (Quelle hier).

Die Zeitung erzählt zum Beispiel die Geschichte von Serhii Dovbysh, einem Major der ukrainischen Streitkräfte. Er befand sich im Häuserkampf in Tschernihiw, als russische Flugzeuge die Stadt bombardierten. Viele junge Soldaten, die unter seinem Kommando standen, starben. Dovbysh fühlt sich verantwortlich. „Alles zerbrach in meinem Kopf und meiner Seele“, sagt er. „Du bist am Leben, aber du fühlst dich nicht lebendig.“ Er fügt noch hinzu: „Ich wollte mutig und stark sein, um mein Land und meine Stadt zu schützen. Aber es war schwer, damit fertig zu werden.“

Dovbysh litt an Depressionen, aber hilft nun anderen Menschen, mit den Traumata des Krieges fertig zu werden. Seit er nicht mehr im Einsatz ist, arbeitet er mit Kriegsveteranen. Da gebe es diejenigen, die unter Angstzuständen litten, da gebe es aber auch die, die Gliedmaßen verloren hätten und sich auf ihr neues Leben mit Prothesen einstellen müssten. „Für diese Menschen ist es ein langer Prozess. Sie müssen einen Grund finden, um weiterzuleben“, sagt er.

Der „Guardian“ sprach auch mit dem irischen Schriftsteller und Geschäftsmann Paul Niland, der 2019 eine Hotline zur Suizidprävention und zur Unterstützung psychisch Kranker eingerichtet hat. Seit der Invasion habe sich die Zahl der Anrufe vervierfacht, sagt er. Es sind Anrufe von Menschen, die sich darum sorgen, ihre Angehörigen zu verlieren, die selbst Traumatisches erlebt oder mit den täglichen Bildern von zerstörten Städten zu kämpfen haben. Die Hotline war zunächst für Veteranen und ihre Angehörigen eine Anlaufbahn, inzwischen steht sie allen Menschen offen.

Menschen wie Vitaly Paraskun, ein evangelischer Pastor aus der Region Luhansk. Sein Trauma entstand bereits 2015, als ihn russische Separatisten sechs Monate in ein verlassenes Bergwerk sperrten. Als 2022 die russische Invasion begann und russische Truppen das Dorf besetzen, in dem er nun lebte, kamen die alten Erlebnisse wieder hoch. Paraksun floh und fing an, für andere Menschen in einem Luftschutzkeller zu beten. Inzwischen kommen viele zu ihm, die aus den besetzten Gebieten geflohen sind. „In Zeiten der Not beten die Menschen, vor allem die Frauen“, sagt er dem „Guardian“.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick:

  • Der inhaftierte russische Kremlkritiker Alexej Nawalny ist nach eigenen Angaben bewusst vor drei Jahren in seine Heimat zurückgekehrt. Er werde oft gefragt, warum er nicht im Ausland geblieben sei, ließ Nawalny auf der Plattform X schreiben. Seine Antwort sei immer: „Ich habe mein Land und meine Überzeugungen.“ Wer in Russland dafür einstehen wolle, müsse notfalls bereit sein, in Einzelhaft zu sitzen. Mehr hier.
  • Russland will für die geplante Präsidentschaftswahl im März für seine Bürger auch in den USA Wahllokale einrichten. „In den USA planen wir die Eröffnung von drei Wahllokalen: in unserer Botschaft in Washington sowie in unseren Konsulaten in New York und in Houston“, erklärte der russische US-Botschafter, Anatoli Antonow, in einem von der russischen Botschaft veröffentlichten Interview. Mehr hier.
  • Das britische Verteidigungsministerium geht „fast mit absoluter Sicherheit“ davon aus, dass die Ukraine diese Woche ein russisches Überwachungsflugzeug vom Typ A-50 über dem Asowschen Meer abgeschossen hat. Dieser Abschuss sei für die Ukraine „signifikant“ und zwinge Moskau wohl, das Gebiet einzuschränken, in dem russische Flugzeuge operieren, teilte das Ministerium am Mittwoch bei X mit. Mehr hier.
  • In der russischen Republik Baschkortostan ist es bei der Verurteilung eines Bürgerrechtsaktivisten zu einer der seltenen Proteste gegen die Obrigkeit gekommen. Die Polizei setzte am Mittwoch in der Kleinstadt Bajmak 1380 Kilometer östlich von Moskau Tränengas gegen eine große Menschenmenge ein.
  • Das wichtigste Ziel der Ukraine für dieses Jahr besteht nach den Worten ihres Außenministers Dmytro Kuleba darin, die Kontrolle über den Luftraum zu erlangen. „Im Jahr 2024 ist es natürlich die Priorität, Russland vom Himmel zu holen“, sagte Kuleba in einer Rede beim Weltwirtschaftsforum im Schweizer Alpenort Davos. „Denn derjenige, der den Himmel kontrolliert, wird bestimmen, wann und wie der Krieg endet.“ Mehr dazu im Newsblog.
  • US-Außenminister Antony Blinken hat sich skeptisch zu den Chancen auf einen Waffenstillstand in der Ukraine geäußert. „Ich sehe das nicht“, sagte er am Mittwoch beim Weltwirtschaftsforum im Schweizer Alpenort Davos. Dafür müsse Russland bereit sein, „in gutem Glauben zu verhandeln“.
  • Russland wurde trotz der westlichen Sanktionen ukrainischen Angaben zufolge mit wichtigen Bauteilen beliefert. Der Wert betrage für die ersten zehn Monate 2023 knapp drei Milliarden Dollar, teilt das Büro von Präsident Wolodymyr Selenskyj mit. „Es wurden Produkte von mehr als 250 Firmen aus dem Westen in zerstörten oder beschlagnahmten russischen Waffen gefunden.“
  • Beim Brand einer südrussischen Kunststofffabrik nahe der Grenze zur Ukraine sind nach offiziellen Angaben zwei Menschen verletzt worden. „Tote gibt es vorläufigen Angaben nach nicht“, schrieb der Gouverneur des Gebietes Rostow, Wassili Golubew, am Mittwoch auf seinem Telegram-Kanal. In der Fabrik in der Stadt Schachty habe sich eine Explosion ereignet, worauf ein Brand ausgebrochen seiBerichte über einen Drohneneinschlag wies der Gouverneur zurück.
  • Obwohl russische Truppen in den meisten Teilen der Front im Osten weiter vorrücken, ist die Lage relativ statisch. Laut Vladislav Seleznev, einem ehemaligen Sprecher des Generalstabs der ukrainischen Armee, ist die Lage weniger dynamisch als noch vor Kurzem. Das Tempo der Kämpfe habe sich durch die Umgruppierung der russischen Truppen verringert.
  • Die ukrainische Armee hat nach eigenen Angaben in der Nacht zu Mittwoch 19 von 20 russischen Angriffsdrohnen abgewehrt. Russland habe 20 Drohnen iranischer Bauart von der russischen Region Primorsko-Achtarsk aus gegen die Ukraine gestartet, teilte die ukrainische Luftwaffe in Onlinediensten mit. 
  • Russland hat nach Angaben der regionalen Militärverwaltung von Odessa die gleichnamige ukrainische Hafenstadt am Schwarzen Meer mit Angriffsdrohnen attackiert. Bei dem Angriff in der Nacht zum Mittwoch seien Wohngebäude beschädigt und mindestens drei Menschen verletzt worden, teilte die Militärverwaltung bei Telegram mit. 

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