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Ukrainische Soldaten im Einsatz nahe Awdijiwka.

© REUTERS/RFE/RL/SERHII NUZHNENKO

Ukraine-Invasion Tag 644: „Zombies mit Stirnlampen“ an der Front in Awdijiwka

Türkei will Schwedens Nato-Beitritt rasch ratifizieren, russische Offensive durch schlechtes Wetter behindert, Baerbock verteidigt Reise zu OSZE-Treffen. Die Lage am Abend.

Die Angriffe auf die seit Wochen hart umkämpfte Stadt Awdijiwka werden in diesen Tagen noch heftiger, wie das ukrainische Militär am Mittwoch erklärte. Über die Situation vor Ort berichteten Medien zuletzt immer wieder, unter anderem auch das „Wall Street Journal“ (Quelle hier). „Nach und nach, nehmen sie unsere Stellungen ein“, sagte ein ukrainischer Offizier einem Reporter des „WSJ“.

Ein anderer Offizier beschreibt, wie die Russen nahe der Stadt vorgehen. Sie hätten die Müllhalde nahe Awdijiwka erobert, die tagelang umkämpft war, indem immer neue Einheiten über die „Leichen ihrer Kameraden gerobbt seien“, bis den Ukrainern die Munition ausging. Nun kontrollieren russische Truppen die kleine Anhöhe, die es erlaubt, die Umgebung unter Feuerkontrolle zu halten. Ein weiterer Soldat beschreibt die Taktik der Russen so: „Sie kommen wie die Zombies, manche tragen Stirnlampen. Damit sind sie für unsere Maschinengewehrschützen ein leichtes Ziel.“

Die Erzählungen der Soldaten klingen wie jene aus dem Frühjahr in Bachmut. Auch dort rannten die Russen so lange gegen die Stellungen an, bis den Ukrainern die Munition ausging. Ein gefangen genommener russischer Offizier erklärte, dass Moskaus Kommandeure die einfachen Soldaten als „Kanonenfutter“ sehen würden. 

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Es gibt aber ein paar wichtige Unterschiede zur Situation in Bachmut: Die Ukrainer verteidigen Awdijiwka auch mit Panzern aus dem Westen, Bradleys aus den USA und Leoparden aus Deutschland. Die Panzer werden als extrem effektiv in der Verteidigung beschrieben. Und sie schützen ihre Mannschaft sehr viel besser als das Gerät sowjetischer Bauart, das die ukrainische Armee noch vielfach nutzt. Der Munitionsmangel bleibt eine Herausforderung. 

Aber auch die ukrainischen Soldaten berichten von unsinnigen Befehlen der Generäle, darunter aussichtslose Angriffe auf von Russen eroberte Stellungen mit hohen Verlusten, die sich Kiews Armee eigentlich nicht leisten kann. Einige ukrainische Einheiten sind seit 18 Monaten mit nur kleinen Unterbrechungen in Awdijiwka im Einsatz. Sie sind nach Monaten des Kampfes unterbesetzt. Viele der neuen Soldaten haben nur wenige Tage Training, bevor sie an die Front kommen. Auf sie wartet ein unerbittlicher Verteidigungskampf. 

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • USA zweifeln an Putins Willen zu Friedensvereinbarung vor US-Wahl: Russlands Präsident hofft darauf, dass es nach der Wahl 2024 einen ihm wohlgesonnen US-Präsidenten gibt. Den Westen sieht er wirtschaftlich geschwächt und international isoliert. Mehr hier.
  • Die Türkei hat lange Zeit den NATO-Beitritt Schwedens blockiertJetzt gibt es einen zeitlichen Rahmen für die Ratifizierung. Mehr hier.
  • Nach Einschätzung der Nato hat die Zahl der in der Ukraine getöteten oder verwundeten russischen Soldaten die Marke von 300.000 überschritten. „Militärisch hat Russland einen erheblichen Teil seiner konventionellen Streitkräfte verloren“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch nach einem Bündnistreffen mit dem ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba in Brüssel. Dazu gehörten auch Hunderte Flugzeuge und Tausende Panzer. Zugleich warnte Stoltenberg davor, große Hoffnungen darauf zu setzen, dass die Verluste zu einem schnellen Ende des Kriegs in der Ukraine führen. Der russische Präsident Wladimir Putin habe eine hohe Toleranzschwelle, was die Opfer angehe, sagte der Norweger. Mehr in unserem Newsblog.
  • Vor dem Hintergrund ausbleibender militärischer Fortschritte hat die Ukraine die Nato zu weiterer militärischer Unterstützung gegen Russland aufgerufen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba appellierte am Mittwoch im Brüsseler Nato-Hauptquartier an die Verbündeten, ihre Rüstungsproduktion hochzufahren, um der Ukraine Munition und andere Waffen liefern zu können. Von zunächst zugesagten eine Million Artilleriegranaten hat die Europäische Union der Ukraine nach Angaben von Kuleba bislang rund 300.000 geliefert. 
  • Die russischen Luftstreitkräfte haben in der Ukraine nach britischen Angaben zuletzt verstärkt Streubomben vom sowjetischen Typ RBK-500 genutzt. Das britische Verteidigungsministerium berief sich am Mittwoch auf Berichte, dass die Sprengkörper gegen ukrainische Truppen bei Wuhledar und Awdijiwka im ostukrainischen Gebiet Donezk eingesetzt worden seien.
  • Russland meldet militärische Fortschritte in der umkämpften ostukrainischen Region Donezk. Den Streitkräften sei es gelungen, den Ort Artjomowskoe einzunehmen. Der Ort, der von den Ukrainern als Chromowe bezeichnet wird, liegt am westlichen Rand von Bachmut, das russische Soldaten im Sommer nach monatelangen Kämpfen unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Vor Beginn des Kriegs lebten etwa 1000 Menschen in Chromowe.
  • Ausländer sollen künftig bei ihrer Einreise in Russland einem Medienbericht zufolge eine Loyalitäts-Erklärung abgeben, die im Kern einer Verpflichtung zur Selbstzensur in der Öffentlichkeit gleichkommt. Das Innenministerium bereite einen Gesetzentwurf vor, nach dem Kritik an der Regierungspolitik, an der Militärgeschichte der ehemaligen Sowjetunion und Infragestellung traditioneller Familienwerte verboten sind, meldet die Nachrichtenagentur Tass. 
  • Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat ihre geplante Reise zu einem OSZE-Ministertreffen mit russischer Beteiligung verteidigt. Russland wolle die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ebenso wie die Ukraine zerstören, sagte die Grünen-Politiker am Mittwoch am Rande eines Nato-Treffens in Brüssel. Es sei wichtig, sich diesen „imperialen Wahn“ entgegenzustellen. Gerade jetzt brauche es mehr Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa. 
  • Russland hat ukrainischen Angaben zufolge seine Angriffe auf die ostukrainische Stadt Awdijiwka intensiviert. „Der Feind hat in den vergangenen Tagen seine Aktivitäten deutlich verstärkt. Er setzt gepanzerte Fahrzeuge ein“, sagte der für das Gebiet zuständige ukrainische Kommandeur Oleksandr Tarnawsky am Mittwoch. Seinen Angaben zufolge führten die russischen Streitkräfte fast 20 Luftangriffe aus und feuerten vier Raketen sowie mehr als tausend Artilleriegeschosse ab. 
  • Die ukrainische Armee hat nach eigenen Angaben in der Nacht zum Mittwoch massive russische Luftangriffe im ganzen Land abgewehrt. Insgesamt seien 21 Drohnen iranischer Bauart vom Typ Schahed und drei Lenkraketen von Russland gestartet worden, teilte die ukrainische Luftwaffe in Onlinenetzwerken mit. 
  • Schlechtes Wetter behindert nach ukrainischen Angaben den russischen Vormarsch in der Ostukraine. „Wir sehen keine ankommende Ausrüstung“, sagt ein ukrainischer Offizier im Staatsfernsehen. „Das Wetter ist schlecht. Aber sobald der Frost kommt und der Boden härter wird, ist ein Angriff mit schwerem Gerät möglich“. Heftige Stürme mit starken Regenfällen – und Schnee im Süden – haben den Boden aufgeweicht und für militärische Manöver untauglich gemacht. Der ukrainische Militärsprecher Wolodymyr Fitio bestätigt, dass das schlechte Wetter die Russen zu „Anpassungen“ gezwungen habe.

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