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Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador

© REUTERS/Luis Cortes

Auch Amtsinhaber Obrador bricht seine Versprechen: Wird je ein mexikanischer Präsident Wort halten?

Was wollte der Neue alles tun, als er 2018 gewählt wurde? Wirtschaft ankurbeln, Armut lindern, Korruption bekämpfen. Nichts klappt. Und das liegt nicht an Corona.

Ein Gastbeitrag von Jorge G. Castañeda

Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador hat den Anfang vom Ende seiner Amtszeit erreicht. Als AMLO, wie er weithin genannt wird, am 1. Dezember 2018 als Präsident vereidigt wurde, hat er versprochen, für eine Verbesserung der mexikanischen Wirtschaft zu sorgen, Armut und Ungleichheit zu reduzieren, Korruption und Gewalt zu bekämpfen und gleichzeitig die junge Demokratie zu stärken.

Am 30. September 2024 wird seine Amtszeit enden, sie ist also mehr als halb um – aber was er bisher erreicht hat, ist nicht viel.

Das geht bei der Wirtschaft los. Tatsächlich ist Mexikos Bruttoinlandsprodukt nicht einmal auf das Niveau aus der Zeit vor der Pandemie zurückgekehrt, und die Prognosen des Internationalen Währungsfonds und der OECD für 2023 und 2024 deuten darauf hin, dass es während AMLOs sechsjähriger Amtszeit möglicherweise überhaupt kein Wachstum geben wird.

Trotz aller Vorhersagen, wonach Mexiko vom „Nearshoring“, also dem Verlagern betrieblicher Aktivitäten in nahegelegenes Ausland, durch US-amerikanische Unternehmen profitieren wird, sind die aktuell niedrigen Investitionen (die Gesamtinvestitionen fielen nach 2019 auf unter 20 Prozent des BIP) fast eine Garantie für eine schwächliche Entwicklung in den kommenden Jahren. Mexikos Wirtschaft wird vielleicht eines Tages wieder wachsen, aber dieser Tag ist noch weit entfernt.

Fairerweise muss man sagen, dass eine weltweite Pandemie und eine Rezession dem Wirtschaftswachstum oder dem Abbau der Ungleichheit nicht gerade förderlich sind. Mehr als drei Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner sind zwischen Anfang 2020 und Ende 2021 in die Armut abgerutscht.

Trotz der unter AMLO eingeführten Sozialprogramme für Ältere, Schüler und indigene Bevölkerungsgruppen ist es unwahrscheinlich, dass die Lage in den Bereichen Ungleichheit und Armut bei seinem Ausscheiden aus dem Amt besser ist als bei Beginn seiner Amtszeit.   

Die Korruption kann AMLO nicht der Pandemie anlasten

Doch es gibt auch viele Probleme, die AMLO nicht auf die Pandemie schieben kann. Zunächst einmal wurde er wohl vor allem deshalb zum Präsidenten gewählt, weil die Bekämpfung der Korruption an oberster Stelle seines Wahlprogrammes gestanden hatte. Dieses Versprechen hat er gebrochen.  

Die Menschen in Mexiko hoffen immer, dass eine neue Regierung weniger korrupt ist als ihre Vorgängerregierung. Das traf in besonderem Maße zu, als AMLO 2018 antrat, um die Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto abzulösen, und deutlich gewann. Nieto hatte 2012 die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI), die Mexiko lange Jahre Züge einer Einheitspartei trug, nach zwei Legislaturen in der Oppositionen an die Macht zurückgebracht.

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Mitglieder von Nietos Kabinett wurde angeklagt und in Haft genommen.

Doch den meisten Menschen in Mexiko erschien der kleine Zirkel an Offiziellen, der Mexiko unter Nieto regierte, grenzenlos korrupt. AMLOs Sieg  weckte die Erwartung, dass unter seiner Führung mit dieser ewiger Ursünde endlich aufgeräumt würde.

Zwar hat AMLOs Regierung zwei Kabinettsmitglieder von Peña Nieto angeklagt und in Haft genommen, doch das wurde eher als symbolischer Akt gewertet und nicht als wirklicher Kurswechsel. Eine Umfrage nach der anderen zeigt, dass die Öffentlichkeit der Meinung ist, das Versprechen, die Korruption zu bekämpfen, sei nicht eingehalten worden.

Eine Anfang Dezember 2020 von der Tageszeitung „Reforma“ veröffentlichte Umfrage ergab, dass nur 40 Prozent der Befragten die Leistungen der Regierung im Bereich Korruptionsbekämpfung goutierten.

Spricht man mit führenden Vertretern aus der Wirtschaft, mit Journalisten, zivilgesellschaftlichen Gruppen und vor allem mit einfachen Bürgern, stellt man fest, dass die Korruption auf allen Ebenen unverändert geblieben oder sogar noch schlimmer geworden ist.

Immer mehr Menschen werden als vermisst registriert

AMLO hat aber auch seine anderen Versprechen nicht eingehalten. Die Situation im Bereich Gewaltverbrechen hat sich verschlimmert. Die Zahl der Tötungsdelikte pro Hunderttausend Einwohner – die einzige wirklich belastbare und zuverlässige Kriminalitätsstatistik in einem Land, in dem mehr als 90 Prozent der Straftaten nicht angezeigt werden – stieg im Jahr 2019 und in der ersten Hälfte des Jahres 2020 deutlich an.

Auch wenn sich die Tötungsrate im Jahr 2022 etwas verringerte, bleibt sie höher als unter Peña Nieto. Und womöglich ist sie auch höher als offiziell angegeben. Darauf deutet die wachsende Zahl der vermissten Menschen hin. Manche Beobachter fragen sich bereits, ob die Behörden Tötungsdelikte als „Vermisstenfälle” einstufen.

Desgleichen hat AMLO zwar nie versprochen, Mexikos noch junge Demokratie zu perfektionieren, aber hat er doch angedeutet, sie stärken zu wollen. Stattdessen jedoch hat er autonome Behörden ausgehebelt, die Wahlbehörde des Landes attackiert und die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr gebracht. Menschenrechtsaktivisten und Journalisten werden zum Schweigen gebracht. Und bei AMLOs täglichen Presseveranstaltungen wurden seine Kritiker öffentlich bloßgestellt.

Am erschreckendsten aber ist, dass AMLO die Rolle der mexikanischen Streitkräfte ausgeweitet hat. Jahrelang beschränkten sich die Aktivitäten des Militärs in Mexiko auf Einsätze bei Naturkatastrophen, die Bekämpfung von Drogenhändlern und Kartellen sowie auf Paraden an nationalen Feiertagen.

In den vergangenen Jahren allerdings hat das Militär nicht nur die Strafverfolgung komplett übernommen, sondern auch die Infrastruktur, die Zollämter in den Häfen und auf Flughäfen sowie die Luftverkehrskontrolle. Die Streitkräfte stehen an vorderster Front bei der Drogenbekämpfung, sind auf den Autobahnen allgegenwärtig und verlegen sogar Schienen für eine Eisenbahnstrecke, die beliebte Touristenorte auf der Halbinsel Yucatán miteinander verbindet.

Der zahlenmäßige Ausbau der Streitkräfte und die Erweiterung ihrer Zuständigkeiten wurde damit begründet, dass das Militär ehrlicher und effizienter sei. Für diese Annahme gibt es in der Geschichte Mexikos jedoch keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil. Ein mächtiges Militär ist eine neue Herausforderung für die mexikanische Demokratie.

Sollte ein neuer Präsident beschließen, die Soldatinnen und Soldaten in ihre Kasernen zurückzuschicken, stellt sich die Frage, ob sich die Truppen und ihre Offiziere so einfach mit dem Verlust ihrer neuen Zuständigkeiten und Vorteile abfinden werden. AMLO scheint diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen zu haben – und wenn doch, scheint ihn diese Frage nicht zu kümmern.

Eine träge Wirtschaft, Korruption, Gewalt, die Aushöhlung der Demokratie und ein gestärktes Militär: So gestaltet sich die Präsidentschaft AMLOs. Uns bleibt nur das uralte mexikanische Ritual, zu hoffen, dass der nächste Präsident besser und anders sein wird. Vielleicht wird der nächste Präsident sein Wort halten. Vielleicht wird er die Korruption wirklich bekämpfen. Vielleicht wird er Mexiko zum Besseren verändern oder zumindest mehr erreichen als AMLO, der trotz all seiner Versprechungen nicht viel mehr getan hat, als sich durchzuwursteln.

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